VISION 20006/2007
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Der Speckpater

Artikel drucken P. Werenfried van Straaten

Das Geheimnis seiner anhaltenden Wirkung auf Menschen jeden Alters, jeder Nationalität wurde schon 1948 deutlich, als die von ihm selbst so genannte “große Speckschlacht" begann. Erschüttert war P. Werenfried von einer Deutschlandreise heimgekommen. Dort hatte er die Not der vertriebenen, oft obdachlosen Deutschen gesehen.

Hundert Kilometer ostwärts liegt eine Stadt in Trümmern", schrieb er damals im Weihnachtsartikel der Abtei-Zeitschrift. “Es ist fast nichts mehr übrig, als ein riesenhafter Bunker ... Die übriggebliebenen, völlig verarmten Menschen der Stadt hausen in diesem einzigen Bunker. Tausende hocken im pestigen Gestank zusammen... Es gibt weder Feuer noch Wärme, es sei denn die Wärme anderer Körper, an die man sich festklammert ... Christus will auch in diesen Menschen mit Seiner Reinheit, Seiner Nächstenliebe und Güte leben... Nach menschlichem Ermessen kann Christus dort nicht leben, weil kein Platz für Ihn da ist."

Daß da ein Priester auf die Not von Flüchtlingen aufmerksam machte, war an sich nichts Besonderes. Daß dieser Priester aber drei Jahre nach dem Ende eines grausamen Krieges die Nächstenliebe zu den besiegten Deutschen ausgerechnet bei Niederländern und Belgiern einforderte und sich nicht scheute, Frauen um Hilfe zu bitten, die Ihren Mann oder Sohn im Krieg verloren hatten, das war ein unerhörter Vorgang, der bei manchen Empörung auslöste.

Doch Werenfried ließ sich nicht beirren: “Die Nächstenliebe liegt nicht in schönen Worten", schrieb er im Februar 1948. “Sie fordert Taten und Opfer. Sie fordert ein Stück von uns selbst... Die Nächstenliebe fordert also, daß wir Christus auch in denen erkennen und trösten wollen, die durch die Schuld gewissenloser Kriegshetzer zwar eine feindliche Uniform trugen, aber dennoch unsere Brüder blieben, weil Christus sie berufen hat, Kinder desselben himmlischen Vaters zu sein. Diese Ärmsten unserer Brüder sind in größter Not ... Wer an so viel Leid achtlos vorübergeht, darf sich nicht mehr Christ nennen."

Solche Ansprachen blieben nicht ohne Wirkung. Einige Priester luden den Ordensmann ein, in ihrer Gemeinde über die Not der Deutschen zu predigen. Eines Nachmittags sprach er so vor einem Kreis von 150 Bäuerinnen. Als er geendet hatte, weinten viele von ihnen vor Erbarmen mit dem Schicksal der schwergeprüften ehemaligen Feinde. Jetzt war eigentlich die Kollekte an der Reihe, aber plötzlich kam P. Werenfried eine andere Idee: “Ich schlug vor, jede der Anwesenden sollte ein nicht zu klein bemessenes Stück Speck aus dem Kamin holen und es in den nächsten Tagen im Pfarrhaus abliefern. Am Ende der Woche würde ich dann mit einem Auto den Speck abholen."

28 Zentner Speck bekam der wortgewaltige Pater allein in dieser Pfarrei. Bald gab es keine Woche mehr, in der er nicht mehrmals auf Kaffee-Festen der Bäuerinnen sprach. Mit bloßen Füßen arbeiteten sich die Novizen von Tongerlo durch den Speckberg hindurch und schnitten Zwei-Pfund-Pakete für den Versand nach Deutschland zurecht.

Vor einer Großkundgebung rief eine Bauersfrau: “Da kommt der ’Speckpater'!" Eine katholische Zeitung brachte diesen Ehrentitel als fette Schlagzeile. P. Werenfrieds Organisation, die “Ostpriesterhilfe", war damit plötzlich populär geworden.

Später wurde die dann “Kirche in Not/Ostpriesterhilfe" genannte Hilfsaktion ein Werk päpstlichen Rechts und nahm sich der verfolgten oder durch andere Notlagen behinderten Kirche in aller Welt an. Heute finanziert das Werk seelsorgliche Vorhaben in mehr als 140 Ländern, allein 60.000 Menschen spenden jedes Jahr in Deutschland.

Daß viele dem Werk des Prämonstratensers auch nach seinem Tod im Jänner 2003 treu geblieben sind, hat mit dem zu tun, was P. Werenfried schon in der “Speckschlacht" von 1948 ausgezeichnet hat: seine Fähigkeit, das Beste im Menschen wachzurufen, die Selbstverleugnung, das Erbarmen mit Feinden und Fremden. Der frühere Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Eggert, schrieb einmal, daß Kirche in Not mit großem Erfolg die Formung barmherziger Menschen in die Hand genommen habe.

Vielleicht liegt es daran, dass “Kirche in Not" kontinuierlich wächst und auch in Deutschland jedes Jahr mehr als fünftausend neue Spender, im Werk “Wohltäter" genannt, hinzugewinnt.

Werenfried van Straatens unaufhörlicher Einsatz für Menschenwürde und Versöhnung steckt an. Der Brief einer sudetendeutschen Flüchtlingsfrau illustriert das: “Schon seit zwei Jahren bekomme ich von unserem Pfarrer einen Teil der Liebesgaben, die er regelmäßig aus Belgien empfängt. Es hat angefangen mit Speck, und gestern bekam ich sogar ein Paar wunderschöne Schuhe. Obwohl ich durch die Vertreibung arm geworden und wegen Krankheit nicht in der Lage bin zu arbeiten, glaube ich, daß es meine Pflicht ist, auch meinerseits etwas zu opfern. So habe ich meinen Ehering vom Finger gezogen, den ich beifüge. Helfen Sie damit den Tschechen, die uns vertrieben haben, wie Sie uns helfen, obwohl Ihr Volk schwer unter den Deutschen gelitten hat. Mein Mann ist 1946 in Troppau verhungert. Auch ohne Ring will ich ihm die Treue halten und alle Schwierigkeiten zur Ehre Gottes tragen."

Auch über seinen Tod hinaus mahnt P. Werenfried die satten Christen des Westens, ihre Berufung zur Heiligkeit neu zu entdecken: “Wir sind persönlich verantwortlich für das Stück Gottesreich, das wir selbst darstellen. Erst wenn Christus die einzige Richtschnur unseres Handelns ist, wenn seine Liebe zu Gott und zu den Menschen unwiderstehlich durch uns hindurch nach außen bricht, wenn Hirten und Könige, Machthaber und Unterdrückte staunend vor Freude die Knie beugen, weil sie in uns den Erlöser entdecken, erst dann ist Christus in dieser Zeit und in uns geboren und kann Friede auf Erden sein."

Michael Ragg


Kinderbibel

Rekordverdächtig ist “Gott spricht zu seinen Kindern", die Kinderbibel von “Kirche in Not": in 155 Sprachen, 139 Ländern, einer Auflage von 45 Millionen. Ein Buch mit Texten aus der Bibel in einer Sprache, die Kinder verstehen. Die Initiative geht auf P. Werenfried zurück. 1979, im UNO-Jahr des Kindes griff er den Wunsch Papst Johannes Paul II. auf: Bringt das Wort Gottes den Schwächsten, den Kindern, die weltweit unter Armut und Not leiden. Heute steht die Kinderbibel auch im Internet und es gibt eine Hörbuch-Version.

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