VISION 20006/2012
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Spuren der Nächstenliebe

Artikel drucken „Bauern helfen Bauern“: Geschichte einer Privatinitiative

Vor etwa 20 Jahren ereignete sich vor unserer Haustüre eine der größten menschlichen Tragödien seit Ende des 2. Weltkriegs. Nacheinander verwandelten sich die ehemals jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und der Kosovo in Schlachtfelder. Bilder unermesslichen Leids flimmerten täglich über unsere Bildschirme.
Während dieses sinnlosen Mordens spielte die internationale Politik eine mehr als klägliche Rolle. In einem Beitrag zum Buch spricht der heutige „Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina“, der Österreicher Valentin Inzko, von einer der schwärzesten Stunden Europas: „Europa, aber auch die internationale Gemeinschaft sahen zu, wie sich der Krieg am Balkan ausbreitete, und außer Worten des Bedauerns gab es keine konkreten, effektiven Maßnahmen um diesem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Eine leuchtende Ausnahme bildete ‚Nachtbar in Not’ oder ‚Bauern helfen Bauern.’“
Von letzterer Initiative handelt das Buch Spuren der Nächstenliebe. Doraja Eberle (Portrait 6/1998), diplomierte Sozialarbeiterin, später auch Landesrätin in Salzburg, berichtet, wie sie im November 1992 vor dem Fernseher den Beschuss Sarajevos miterlebte: Dieser Krieg geschah direkt vor unserer Haustüre, nicht irgendwo im fernen Afrika!
Ihre spontane Idee: hinfahren und helfen. Eberle wusste anfangs nicht genau wohin , nicht wie sie konkret helfen könnte. In Zagreb traf sie Jelena Brajsa (Portrait 1/1994), den kroatischen „Engel der Caritas“. Mit einem katholischen Priester fuhr sie am nächsten Tag in ein Lazarett. Sie besuchte in der Folge Flüchtlinge, die unter menschen­unwürdigen Bedingungen in Zelten, Containern und unter Plastikplanen hausten.
Thomas Gottschalks Sendung Wetten, dass inspirierte sie zu einer kühnen Idee. In einer Folge der Sendereihe lief die Wette, dass 100 Männer in 100 Stunden 100 Häuser bauen könnten. Eberle rief daraufhin beim Sender an und erkundigte sich, ob jemand ihr das beibringen könne. So lernte sie Hans Fritz, einen Bayer, kennen, mit dem sie sich schon einen Monat später auf den Weg nach Kroatien machte, um dort das erste Blockhaus für Flüchtlinge zu bauen.
Das war der Beginn der Initiative „Bauern helfen Bauern“: Die Initiatorin und ihr Team schrieben Briefe an mögliche Helfer und Spender mit der Bitte um Geld- und Holzspenden für Blockhäuser. Die erste Antwort bekam sie von einem Bauern aus Siezenheim bei Salzburg – und das erste Haus bekam ein Bauer aus Kroatien, Stjepan, der direkt an der Front wohnte. So war der Name der Initiative geboren.
In den folgenden Monaten und Jahren fertigte „Bauern helfen Bauern“ Hunderte dieser einfachen Blockhäuser in den Kriegsgebieten Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas an und schenkte damit vielen Kriegsopfern einen Neustart, neue Hoffnung für ihr Leben. „Bauern helfen Bauern“ baute den Kriegsopfern nicht nur neue Häuser, sondern kümmerte sich auch um die Lebensschicksale dieser traumatisierten Menschen. Einige bewegende menschliche Schicksale werden im vorliegenden Buch auch vorgestellt.
Doraja Eberle startete in der Folge immer wieder innovative Initiativen. So spendeten die 119 Salzburger Gemeinden nach einem Aufruf 190 trächtige Kühe, um der bäuerlichen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina wieder auf die Beine zu helfen.
Besonders berührend ist das Zirkusprojekt des Salzburger Zirkkus-Pädagogen Michael Kowarsch: Auf Einladung von „Bauern helfen Bauern“ machte er dreimal in Srebrenica Station. Kinder der Volksgruppen, die sich im Krieg feindlich gegenüber standen, übten eine Woche lang mit dem Wanderzirkus und präsentierten dann am Ende eine vielumjubelte Zirkusvorstellung. Die Zirkus­idee entwickelte sich zu einer unglaublichen Erfolgsgeschichte und zu einem nicht für möglich gehaltenen Friedensprojekt.
In Spuren der Nächstenliebe kommen Mitarbeiter und Weggenossen von Doraja Eberle ebenso zu Wort wie ORF-Balkankorrespondent Christian Wehrschütz, Valentin Inzko, oder der Theologe und Philosoph Clemens Sedmak. Wer diese Beiträge liest, ist beeindruckt, was die Idee einer einzelnen Christin alles bewirken kann. Ihre Initiative hat vielen Menschen in den Kriegsregionen des Balkans wieder Hoffnung und einen neuen Glauben an eine friedliche Zukunft geschenkt.
Christoph Hurnaus

Spuren der Nächstenliebe. Von Doraja Eberle, Verlag Styria, 24,99€.

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