VISION 20006/2012
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Aus Christen Gläubige machen

Artikel drucken Die große Herausforderung des eben begonnen Jahres des Glaubens

In Rom fand die Bischofsynode zur Neuevangelisierung statt. Anlass für den katholischen Fernsehsender kto mit dem Vorsitzenden ein Gespräch zum Thema der Synode zu führen. Im folgenden Auszüge daraus:

Wie erleben Sie diese Synode?
Kardinal André Vingt-Trois: Es herrscht ein ausgesprochen brüderliches Klima unter den Teilnehmern. Es wird von der Art des Papstes, durch die Weise, wie er die Synode eingeleitet hat, durch seine gelassene und einfache Art mitbeeinflusst. In der ersten Phase hat jeder die Möglichkeit, etwas einzubringen. Das ergibt ein kaleidoskopartiges Bild mit unterschiedlichsten Elementen. Es zeigt, wie unterschiedlich die Neuevangelisierung in den verschiedenen Teilen der Welt gesehen wird. Der Gesamteindruck ist ermutigend.

Sie haben sich im Plenum zu Wort gemeldet. Was war der Inhalt Ihrer Aussagen?
Kardinal Vingt-Trois: Ich habe die Frage angeschnitten: Was bedeutet Neuevangelisierung in einer säkularen Gesellschaft? Aufgrund einiger Wortmeldungen hatte ich den Eindruck, dass man der Ansicht war, wir befänden uns in einer nachchristlichen Ära, in der die Kirche ihren Schäfchen, die sich ins Freie verirrt hätten, nachlaufen müsse. Meiner Meinung nach stimmt das heute nicht mehr. Uns sind nicht die Pfarrmitglieder davongelaufen, sondern wir haben es mit  Mitbürgern zu tun, denen die Botschaft Christi einfach fremd ist. Es geht nicht darum, ein bißchen herumzukratzen, um das in Vergessenheit geratene Katechismuswissen ans Tageslicht zu befördern. Es geht um die Erstverkündigung des Evangeliums, nicht darum, Erinnerungen wachzurufen, sondern in einen Dialog einzutreten, bei dem man die Hebeln eines richtigen Gesprächs erst entdecken muss.

Muss man dazu ein klares Bild vom Umfeld haben?
Kardinal Vingt-Trois: In Frankreich jedenfalls haben wir ein Umfeld, das immer weniger religiös, immer weniger christlich ist – und, verzeihen Sie mir diesen Ausdruck, das immer weniger intelligent ist. Lassen Sie mich das erklären: Die menschliche Fähigkeit, die Vernunft bei Entscheidungen zum Zug kommen zu lassen, hängt vom kulturellen Instrumentarium ab. Und dieses besteht heute im wesentlichen aus momentanen Impulsen und dem Gefühl, nicht jedoch aus der Vernunft. Wenn man sich also an die Vernunft wenden will, hat man einiges an kultureller Vorarbeit zu leisten. (…) Wenn man aber Jesus Christus verkündet, wendet man sich nicht allein an das Gefühl. Da geht es auch um die Vernunft.  (…)

Geht es bei der Neuevangelisation um Techniken, Strukturen oder um Haltungen bei den Katholiken?
Kardinal Vingt-Trois: Manche meinen, es gehe um Methoden. Meine Meinung ist das allerdings nicht…

Methoden haben aber ihre Bedeutung…
Kardinal Vingt-Trois: Ja, aber diese Methoden kennt man seit jeher. Sie mögen sich zwar in der Zeit etwas ändern, aber ihre Grundstruktur bleibt immer dieselbe. Die Methoden der Evangelisation sind jene der Kommunikation. Wichtig aber ist es klarzustellen: Woran glauben wir? Was ist der Inhalt unserer Botschaft? Wir hatten diesbezüglich interessante Gespräche: Es wurde deutlich, dass in unserer Gesellschaft zwar durchaus von Gott gesprochen wird, dass Christus aber so gut wie unbekannt ist. Da stehen wir also vor einer ernsthaften Frage: Glauben die Christen, die römisch-katholischen, an Jesus Christus, der gestorben und auferstanden ist? Das ist eine zentrale Frage der Neuevangelisation. Denn, wer das nicht glaubt, was soll der verkünden? Vielleicht irgendeine Art Transzendenz, eine Art Großherzigkeit… Im Angesicht des Todes hilft das allerdings nicht viel weiter.

Es geht also um das Zeugnis…
Kardinal Vingt-Trois: Es geht um eine neue Art, Christus zu verkündigen. Um die Frage: Was bedeutet es im 21. Jahrhundert daran zu glauben, dass Jesus von Nazareth gestorben und auferstanden ist.

Viele sagen, die Kirche habe sich so weit von der Welt entfernt, dass sie einer Reform bedürfe, um überhaupt ernstgenommen zu werden…
Kardinal Vingt-Trois: Die Kirche ist nicht gegründet worden, um sich anzupassen. Sie wurde gegründet, um zu handeln, zu missionieren, nicht um Kircheninterna zu behirnen. Natürlich muss man immer wieder sein Gewissen erforschen, Entscheidungen treffen, um dem Evangelium besser zu entsprechen, aber es ist illusorisch zu glauben, dass es eine gesegnete Zeit geben könne, in der die Kirche mit der Welt übereinstimmen werde. Welt und Kirche können nicht über­einstimmen. Das muss man zur Kenntnis nehmen und sich damit abfinden, eben anders zu sein.

Handelt man sich damit nicht das Image ein, immer nur nein zu sagen und die Welt, so wie sie ist, nicht zu mögen?
Kardinal Vingt-Trois: Man muss ja nicht dauernd nein sagen. Aber in mancher Hinsicht lässt es sich nicht vermeiden. Man kann nicht alles so nehmen und anerkennen, wie es ist. Manches schon, anderes aber nicht. Wir können unsere Ablehnung umso besser artikulieren, als wir auch bereit sind, das anzuerkennen, was gut ist.

In der Eröffnungsansprache hat der Papst auch auf die Ehe Bezug genommen. Er hat sie als gute Nachricht für die Menschheit bezeichnet. In unserer Gesellschaft aber sieht man die Ehe als Auslaufmodell…
Kardinal Vingt-Trois: Diese Sichtweise ist doch etwas oberflächlich. Darf ich daran erinnern, dass weit mehr als 50 Prozent der Franzosen, die zusammenleben, verheiratet sind. Man hat sie nicht dazu gezwungen. Offenbar wollten sie es. Da wird uns etwas vorgegaukelt. Es gibt Lobbys, die zwar die Ehe als überholt, andererseits aber als etwas darstellen, das jedem zusteht. Da frage ich: Warum soll jedem etwas zustehen, was längst überholt ist? Wozu um etwas kämpfen, was nichts wert ist?

Ist das Jahr des Glaubens eine gute Gelegenheit, der Neuevangelisierung Impulse zu geben?
Kardinal Vingt-Trois: Ja, weil es den Christen hilft, sich in Erinnerung zu rufen, dass sie Gläubige sind. Denn viele Menschen sind zwar Christen, aber nicht gläubig. In diesem Jahr gilt es, die Frage aufzuwerfen: Wo­ran glaube ich? Wem glaube ich? Wie glaube ich? Das sollte Thema der Sonntagsgottesdienste sein. Sie sind ja der Ort schlechthin, an dem sich die christliche Zugehörigkeit artikuliert. Wer zur Messe kommt, bringt doch zum Ausdruck, dass er Christ ist. Sonst wäre er ja ein Masochist. Schließlich wird am Tag des Herrn das Glaubensbekenntnis gesprochen.
Da gilt es also, die Christen auf das aufmerksam zu machen, was im Sonntagsgottesdienst, den wohl viele vielleicht nur routiniert besuchen, eigentlich geschieht.

Wir begehen auch das 50-Jahres-Jubiläum des 2. Vatikanischen Konzils. Besteht bei diesem Rückblick nicht die Gefahr, dass die Konflikte über dessen Interpretation, wie wir sie ja erlebt haben, neu aufflammen?
Kardinal Vingt-Trois: Es geht darum zu klären, ob man das 2. Vaticanum in einer authentisch katholischen Sichtweise interpretiert oder nicht. Der Papst hat das nach seinem Amtsantritt ja klargestellt: Das Konzil ist in der Gesamtheit der kirchlichen Tradition zu deuten. Das Lehramt liefert den Schlüssel zum Verständnis. Wer aus dem Konzil eine Blütenlese von Texten mit unterschiedlicher Interpretation machen will, liest es nicht in einer katholischen, sondern in einer reformierten Perspektive. Man kann das durchaus tun, muss sich dann aber darüber im Klaren sein, wo man steht. Wenn ein Bischof erklärt, er interpretiere das Konzil anders als der Papst, dann verhält er sich – tut mir leid, es so zu sagen – wie Luther. Das ist nicht diffamierend. Man muss die Dinge aber beim Namen nennen.

Brauchen wir ein 3. Vatikanisches Konzil?
Kardinal Vingt-Trois: Das ist so eine Art Phantasievorstellung, obwohl es an sich nicht absurd wäre. Aber was heißt es in der Realität? Sollen wir 5.000 Bischöfe in Rom versammeln? Und was sollen sie tun? Für wie lange? Schon vor 50 Jahren war man knapp vor einem Bruch. Vielen Bischöfe war das einfach zu viel. Eine solche Versammlung ist nicht der geeignete Rahmen. Die Synode, ja das geht. Da sind wir 300. Mag sein, dass die Synoden nicht alles bringen, was man sich von ihnen erwartet. Aber das ist die Größenordnung, in der ein Treffen noch etwas bringen kann. Zu verlangen, mehrere Tausend Bischöfe zusammenzurufen, bedeutet, dass man die Macht einer Bande von in den Kulissen versteckten Experten überlässt.

Auszug aus einem Interview mit dem Pariser Erzbischof und Vorsitzenden der Französischen Bischöfskonferenz auf kto – Télévision Catholique ausgestrahlt am 11.10.12

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