VISION 20001/2016
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Bewusst gegen den Strom schwimmen

Artikel drucken Die Herausforderung für christliche Familien heute (Christof Gaspari)

Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, wird heute oft als Vorurteil, als unbegründetes Tabu in Frage gestellt. Was das Leben von Generationen geprägt hat, wird plötzlich rechtfertigungspflichtig. Das gilt besonders für das Thema Familie.

Stellen Sie doch einmal in einer größeren Runde die Behauptung in den Raum, eine Ehe könne nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden. „Wie begründen Sie denn das?“, wird man sie fragen. Schließlich müsse „Gleiches Recht für gleiche Liebe“ gelten auch für andere Konstellationen – da dürfe man niemanden aus­schließen. Auch würden Kinder, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren aufwachsen, sich ebenso gut entwickeln wie jene aus „traditionellen“ Familien.
Abgesehen davon, dass ernstzunehmende Untersuchungen das Gegenteil zeigen, stehen Sie plötzlich unter Argumentationszwang. Sie müssen eine Institution verteidigen, die sich in den letzten 1.000 Jahren in Europa bewährt hat, die ein Pfeiler des kulturellen Höhenflugs unseres Kontinents ist. Eigentlich müsste man in einem solchen Gespräch das Wort des Aristoteles abwandeln: „Wenn jemand sagt, man dürfe seine Mutter töten, so verdient er nicht Argumente, sondern Zurechtweisung.“
Tatsächlich gibt es eine Unmenge von Argumenten, die für die traditionelle Familie, die lebenslange Ehe, für Kinderfreudigkeit sprechen. Wir wurden in den 27 Jahren des Bestehens der Zeitschrift nicht müde, sie ins Treffen zu führen. Natürlich handelt es sich da um ein herausforderndes Lebensmodell. Klar, dass es auch scheitern kann. Aber gerade die verheerenden Folgen des ausufernden Scheiterns heute sind schlagende Argumente dafür, dass es sich lohnt, alles dafür einzusetzen, dass Familienleben gelingt.
Ein Überblick über die Debatten zum Thema Familie zeigt jedoch, dass alles Argumentieren nicht geholfen hat. Ihre Demontage geht weiter. Denn wo eine Ideologie im Vormarsch ist, lässt sie sich nicht durch noch so gute Argumente aufhalten. Das galt für den Nationalsozialismus wie für den Kommunismus. Und es gilt für die vorherrschende Ideologie, die schwer unter einen Begriff zu fassen ist. Sie ist eine Mischung unterschiedlicher Denk­ansätze (Evolutionismus, Liberalismus, Ökonomismus, Genderismus, Multikulturalismus, Feminismus…), die eines verbindet: ihre Gottlosigkeit.
Selbstverständlich darf der Einzelne nach wie vor im privaten Bereich ein religiöses Leben führen. Aber dort, wo es um Entscheidungen für die Allgemeinheit geht, da ist das Thema Glaube tabu. Ohne dass dies groß hinausposaunt wurde, ist der Atheismus zur Staatsreligion geworden. Und dieser kennt keine jenseitige Heilsbestimmung des Menschen,  sondern hat nur die „Verbesserung“ seiner (diesseitigen) Lebensbedingungen im Visier: bessere Gesundheit, mehr Bildung, höheres Alter, mehr materieller Wohlstand. Die Mitwirkung an dieser Art der Perfektionierung der Gesellschaft und der Genuss all ihrer Wohltaten wird so zum Sinn des Lebens.
Genau das aber führt zu einer zunehmenden Aushöhlung und letztlich zur Zerstörung des intimen Bereichs der Familie, weil der Einzelne nicht mehr als Person mit halbwegs erfüllten persönlichen Beziehungen, sondern als zahlungskräftiger Konsument von Waren und Dienstleistungen und als funktionstüchtiges Rädchen in der Produktionsmaschinerie gesehen wird. An deren Spielregeln hat sich sein Leben anzupassen. Alles wird unpersönlicher, alles Wichtige geschieht außerhäuslich.
Auf der Strecke bleiben die persönlichen Beziehungen, nicht nur die familiären. Dank des enormen Fortschritts der elektronischen Kommunikationsmittel vermehren sich zwar die Kontakte zu anderen Personen, diese verlieren aber zunehmend den Charakter echter menschlicher Begegnungen: Das Telefonat ersetzt den persönlichen Kontakt, WhatsApp, SMS oder E-Mail das Telefonat, das Rundschreiben die persönliche Mitteilung. Was bleibt, ist die Information.
Viele, vor allem Jugendliche verlegen damit ihre Kontakte aus der realen in eine virtuelle Welt, in der zwar beliebig viel Information gesammelt werden kann, die persönlichen Beziehungen jedoch verkümmern. Über die sozialen Medien erfährt man zwar unheimlich viele Details über unheimlich viele „Freunde“, die man jedoch im Grunde überhaupt nicht kennt und denen man großteils nie begegnen wird.
Trotz oder gerade wegen dieser Überfülle flüchtiger, unpersönlicher Bekanntschaften finden es junge Leute immer schwieriger, wirkliche Freundschaften zu schließen, einen Ehepartner fürs Leben zu finden.
Von dieser Entwicklung, die sich in den letzten Jahren beschleunigt hat, ist mehr oder weniger jede Familie betroffen. Das geistige Umfeld und die Lebensbedingungen, in denen wir stehen, sind familienfeindlich. Daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Wer da überleben will, muss bewusst gegensteuern. Andere Prioritäten als seine Umwelt setzen. Vor dieser Herausforderung steht die christliche Familie heute.
Und das bedeutet: Zunächst einmal Einbeziehung des lebendigen Gottes in unseren Alltag. Ohne Ihn gibt es auf Dauer kein erfolgreiches Schwimmen gegen den Strom. Ohne Ihn geht einem einfach die Kraft aus. Je gottloser das Umfeld, umso intensiver muss das Aufsuchen der Nähe Jesu Christi sein. Seit Jahrzehnten hören wir aus Medjugorje: „Betet, betet, betet!“ „A family that prays together, stays together,“ ist die selige Mutter Teresa nicht müde geworden zu wiederholen: „Eine Familie, in der man miteinander betet, wird zusammenbleiben.“
Noch einmal: Das ist das Überlebensrezept für die christliche Familie, die nicht mehr ein rundum gefördertes Lebensmodell ist, sondern eines, das systematisch unterwandert wird. Gleichzeitig ist sie aber der Hoffnungsträger für eine gedeihliche Zukunft. Von ihrer Fruchtbarkeit hängt alles ab.  
Und sie wird fruchtbar sein, wenn sie die Gebote Gottes dankbar als Wegweiser annimmt, deren Befolgung das Leben gelingen lässt. Dazu gehört das Wissen, dass nur die Ehe zwischen Mann und Frau – und zwar die unauflösliche – dem Menschen entspricht. Zu dieser Ordnung gehört die Fruchtbarkeit des Einswerdens von Mann und Frau. Sie steht nicht in der Verfügbarkeit des Menschen allein. Denn sie ist Ursprung neuen Lebens, von Menschen, deren Berufung das ewige Leben bei Gott ist. Und das geht Gott etwas an.
Weiters bedürfen Kinder für ihre Persönlichkeitsentwicklung der liebevollen persönlichen Zuwendung einer stabilen Umgebung (insbesondere der Vorfahren, aber auch der Geschwister), der Wegweisung durch wohlverstandene Autorität. Und weil Gott, der Schöpfer, die Liebe ist, ist die erfahrene und mitgeteilte Liebe notwendiger Baustein der Persönlichkeitsentwicklung aller Mitglieder des Lebensraums Familie. Eine Liebe, die unbedingt Ja zum anderen sagt, bereit zu totalem, weder zeitlich noch örtlich begrenzten Einsatz. Daher macht Ehe eben nur Sinn, wenn sie für das Leben geschlossen wird.
Ich weiß schon: Das klingt furchtbar „fromm“. Aber es ist nun einmal die Wahrheit. Und alle Menschen tragen die Sehnsucht nach einer solchen Familie im Herzen. Das bestätigen alle Umfragen. Selbstverständlich, um diese Liebe muss man ringen, ein Leben lang. Sie ist immer wieder angefochten, im Alltag oft nicht verwirklicht. Ich male hier keine heile Welt. Aber die Richtung, in die wir uns bewegen wollen, muss klar und die Bereitschaft gegeben sein, nach jedem Scheitern neu anzufangen.
Auf diese Weise kann das wachsen, was heute unter die Räder zu kommen droht: die menschliche Beziehung, die tragfähig ist, gerade in Krisenzeiten. In der wir die Erfahrung machen können, dass wir für andere der besondere Mensch sind, mit unverwechselbarem Gesicht und einem Namen. Denn das ist das Besondere an familiären Beziehungen: Da sind wir – im Gegensatz zu den meisten Lebensbereichen – unaustauschbar. Bei der Eheschließung habe ich nicht die Rolle des Ehegatten meiner Frau übernommen, sondern bin ein für alle Mal ihr Wegbegleiter in einer einmaligen Lebensgeschichte geworden. Unvorhersehbar, abenteuerlich, unwiederholbar.
Auch bin ich in der Familie nicht etwa Funktionsträger mit väterlichen Aufgaben – quasi mit abstrakter Stellenbeschreibung – sondern der Vater einmaliger Personen, von Nicole, Bernadette und Markus. Und zwar mit jedem in einer einmaligen Beziehung. Unvergleichlich, statistisch nicht erfassbar. Ein Leben lang, unaufhebbar. Ich mag versagen, aber ich bleibe der Vater.
In dieser Art von Beziehung kann jedes Familienmitglied erfahren, dass es kostbar ist, weil einmalig und liebenswert. Welch wunderbare Berufung!


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