VISION 20001/2016
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Ermutigung für Geschiedene

Artikel drucken Wahrheit und Barmherzigkeit verbinden (Von Bischofsvikar Christoph Casetti)

Rund um die Bischofssynode war viel von zerbrochenen Ehen, zivil wiederverheirateten Ge­schie­denen die Rede. Nur wenig war von den wertvollen Initi­a­tiven zu hören, die diesem Per­sonenkreis beistehen und ihn ermutigen, nach der Lehre der Kirche zu leben. Im folgenden der Beitrag eines Priesters, der solche Gruppen betreut.

Ich möchte etwas von meinen Erfahrungen berichten. In den vergangenen zehn Jahren habe ich bei etwa 25 Einkehrnachmittagen und 16 Wochenend-Seminaren für Getrennte, Geschiedene und Wiederverheiratete als geistlicher Begleiter mitgewirkt. Angefangen hat dieser Dienst mit der Gruppe „Magnificat“. Sie ist als  eine Art Selbsthilfegruppe von Betroffenen gegründet worden. Diese Gemeinschaft hat inzwischen von der Diözese Augsburg die kirchliche Anerkennung erhalten.
Die Mitglieder von „Magnificat“ möchten ihren Platz in der Kirche finden und ihren Weg mit der Kirche gehen. Getrennte, Geschiedene und (zivil) Wiederverheiratete brauchen vor allem Ermutigung. Die vielen Scheidungen sind ein gewaltiges Problem unserer Gesellschaft: für alle Betroffenen! Hier jedoch gilt es, Wahrheit und Barmherzigkeit zu verbinden. Wie kann die geduldige und fordernde Barmherzigkeit des Herrn vermittelt werden? Die Erfahrung zeigt, dass die Lehre der Kirche wenig bekannt ist. Die Menschen sind dafür offen, wenn man sie ihnen behutsam und geduldig erklärt.
Besondere Seminare für getrennte, geschiedene oder zivil wiederverheiratete Paare können hier helfen. Zum Programm sollten gehören: geistliche Impulse, Zeugnisse, der Austausch in Gruppen, Zeiten mitmenschlichen Zuhörens, Gebet und Anbetung.
Alles soll in großer Treue gegenüber dem Evangelium und der Lehre der Kirche, aber auch in einem großen Respekt vor dem persönlichen Lebensweg jedes Einzelnen geschehen. Alles muss in einer Atmosphäre geschehen, wo auch andere Standpunkte zu Wort kommen dürfen. Ein Glaubensweg braucht seine Zeit, oft eine sehr lange Zeit. Es kann immer wieder auch Umwege geben.
Außerhalb des deutschen Sprachraumes sind eine Reihe von Initiativen zur Geschiedenenpastoral entstanden (siehe Kasten). Im deutschen Sprach­raum machen die Schönstatt-Frauen besondere Angebote für getrennte und zivil geschiedene Frauen. Leider wird in den deutschsprachigen Ländern die Geschiedenenpastoral meistens reduziert auf die Frage der Zulassung zu den Sakramenten.
Auf eine Gruppe möchte ich besonders hinweisen, auf die „Familie Solitude Myriam“. Sie ist 1982 in Kanada gegründet worden und inzwischen auch kirchlich anerkannt. Ich freue mich besonders darüber, dass diese Gemeinschaft inzwischen auch Mitglieder in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich hat. Danielle Bourgeois, die Gründerin, war selbst eine geschiedene und zivil wieder verheiratete Frau.
In einer schweren gesundheitlichen Krise bat sie Jesus um eine zusätzliche Lebensfrist von fünf Jahren und wurde erhört. Als die Frist abgelaufen war, wurde ihr bewusst, wie fern von Christus sie bisher gelebt hatte. Als eine Frau vor ihr bei einem charismatischen Gottesdienst von ihrer Lähmung geheilt wurde, erkannte sie, dass Jesus wirklich lebt, und sie bekehrte sich.
Sie entschloss sich, mit ihrem Mann nicht mehr ehelich, sondern geschwisterlich zusammenzuleben, was dieser zunächst annahm, ohne es zu verstehen. Ihr Glaubenszeugnis führte dazu, dass sich bei ihr viele Menschen in sehr schwierigen Situationen meldeten. Als sie sich deshalb überfordert fühlte und im Gebet an Jesus wandte, hörte sie im Traum folgende Worte:
„Danielle, schau, wie sie verletzt sind, es sind meine Schafe und ich liebe sie. Beeile dich, sie bei dir zu versammeln, denn die Wölfe sind im Begriff, sie zu zerreißen. Versammle sie, ich werde sie heilen, ich werde ihre Herzen von der Traurigkeit befreien, ich werde ihnen  die Freude wieder geben. Du wirst aus ihnen nicht mehr Geschiedene machen, sondern Geweihte für mein Reich.
Dein Haus wird Solitude Myriam heißen. Es werden zu dir Priester kommen, die bei dir die Freude für ihren Zölibat und die Kraft für ihre Einsamkeit schöpfen werden.“
Das Ziel der Gemeinschaft ist es, den durch das Scheitern der Ehe verletzten Personen zu Hilfe zu kommen. Solitude heißt Einsamkeit: Das Scheitern der Ehe führt in die Einsamkeit. Myriam ist Maria, welche die Einsamkeit unter dem Kreuz durchlitten hat. Familie ermöglicht die Heilung durch geschwisterliche Beziehungen.
„Solitude Myriam“ ist entstanden durch Umwandlung eines ehelichen Misserfolges in einen Weg der Bekehrung und der Auferstehung. So glauben die Mitglieder von „Solitude Myriam“ demütig, dass sie die Gnade erhalten haben, an den Verwundungen der Ehepaare und der Familien zu arbeiten, das Sakrament der Ehe zu vertiefen und die Ehe als eine Weihe zu leben.
Das gemeinsame Ziel all dieser erwähnten Gruppen und Inititiativen ist es, eine Seelsorge anzubieten, welche die Vorgaben der Kirche beachtet. Maßgebend dabei ist das Apostolische Schreiben von Papst Johannes Paul II. Familiaris consortio.
Darin wird einerseits an der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe festgehalten und in der Folge davon an der Unmöglichkeit, die getrennten und zivil geschiedenen Gläubigen, welche in einer neuen Beziehung leben, zu den Sakramenten zuzulassen. Andererseits aber wird darin unterstrichen, dass diese Gläubigen nicht aus der Kirche ausgeschlossen sind und das Recht auf eine besondere Seelsorge haben.
Wie nun kommen diese Grundsätze in den Gruppen, welche ich begleiten darf, zur Anwendung? Zunächst einmal ist es wichtig, dass die Betroffenen in Gruppen zusammenkommen. Sie machen die Erfahrung, dass sie mit ihrer leidvollen Geschichte nicht allein sind. Es gibt Menschen, die sie verstehen, weil sie Ähnliches erlebt haben. In einer Atmosphäre, wo ihnen mit großem Respekt vor der individuellen Geschichte zugehört wird, können sie sich öffnen.
Dies geschieht in großer Diskretion und ohne irgendwelche wertende Kommentare. Bei den gemeinsamen Treffen hat auch das gesellige und frohe Beisammensein seinen wichtigen Platz. Die Ermutigung zur Lebensfreude ist auch Teil der Seelsorge.
Meine Anwesenheit als Priester und somit als Vertreter der Amtskirche wird von zwei Seiten geschätzt. Alle, die Mühe  haben mit der Lehre der Kirche oder mit dem, was sie für die Lehre der Kirche halten, sind froh, einmal einem Vertreter der Kirche direkt zu sagen, dass sie die Kirche und ihre Lehre nicht verstehen können.
Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, welche ausdrücklich wünschen, die authentische Lehre der Kirche erklärt zu bekommen. Selbstverständlich ist das seelsorgliche (Beicht-) Gespräch mit dem Priester ganz wichtig, um der persönlichen Situation des Einzelnen gerecht zu werden.
Damit komme ich zu einem weiteren Pfeiler dieser Seelsorge, die Katechese. Es zeigt sich immer wieder, dass die Kenntnis der Glaubenslehre in Bezug auf Ehe und Familie sehr rudimentär ist. Die Regeln sind zwar manchmal noch bekannt, aber deren Begründungen überhaupt nicht.
Deshalb verwende ich bei meinen geistlichen Impulsen immer wieder wichtige Texte und erläutere sie: Auszüge aus Gaudium et spes, aus Humanae vitae, Familiaris consortio und aus Papstansprachen. Aber auch die entsprechenden Texte der Heiligen Schrift erkläre ich. Daneben können andere Glaubensthemen aufgegriffen und unter besonderer Berücksichtigung der Geschiedenenpastoral beleuchtet werden.
Das Ziel ist, denjenigen, deren Ehe nicht gelungen ist, zu zeigen, dass sie trotzdem eine Berufung haben in der Kirche. Auch in ihrer schwierigen Situation können sie Zeugnis geben für den Plan Gottes zu Ehe und Familie. Es kann dann durchaus vorkommen, dass Betroffene mir sagen: „Warum hat uns dies bisher noch niemand gesagt?” Sie hätten es als Hilfe empfunden, wenn sie die größeren Zusammenhänge der kirchlichen Lehre in ihrer schwierigen Ehesituation gekannt hätten.
Ein wichtiges Thema ist bei unseren Treffen das Verzeihen-Lernen. Auch wenn eine Versöhnung noch nicht möglich ist, sind erste Schritte der Vergebung wichtig. Es geht dann nicht nur darum, dem getrennten oder geschiedenen Ehepartner zu vergeben, sondern auch sich selbst und manchmal auch Gott, mit dem man hadert. Außerdem gilt es, den eigenen Anteil an Schuld zu erkennen und diejenigen um Verzeihung zu bitten, die man verletzt hat. Hier kommen dann meistens die Kinder zur Sprache, an denen die Trennung und Scheidung in der Regel nicht spurlos vorübergeht.
Das Gebet und der Gottesdienst sind wichtige Elemente dieser Treffen. Dabei gilt es, die persönliche Freundschaft mit Jesus Christus zu vertiefen. Eine Frau, deren Mann sie nach einer schweren Erkrankung verlassen und mit den Kindern allein gelassen hat, sagte mir: „Ich hätte Jesus nie so tief erfahren können, wenn das nicht geschehen wäre.“
Der Lobpreis lädt die Betroffenen ein, nicht mehr nur um die eigene Geschichte zu kreisen. Das fürbittende Gebet lässt Hilfe Gottes und den gegenseitigen Beistand erfahren. Ein ausdrückliches Heilungsgebet tut gut angesichts der vielfältigen seelischen Verletzungen, unter denen Betroffene leiden können. Für mich zeigt die Erfahrung, dass es möglich ist, im Rahmen der kirchlichen Vorgaben Menschen, deren Ehe gescheitert ist, seelsorglich gut zu begleiten.



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