VISION 20001/2016
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„Mama sollst du mir sein!“

Artikel drucken Ãœber das Muttersein, eine Beziehung, die weitaus mehr ist als Freundschaft (Maria Eisl)

Haushalte, die zum Treffpunkt außerhäuslich beschäftigter Personen degenerieren, sind kein Raum, in dem für das Leben wegweisende Gespräche ge­deihen. Wie wichtig diese aber sind, zeigt das folgende Zeugnis.

Meine Tochter Maria Christine begleitete mich von klein auf zum „Mutter-Tochter-Tag“, einem Seminar innerhalb des Elternprojektes Tief verwurzelt (siehe Kasten), das mein Mann und ich 1991 gegründet haben. Als sie nun selbst in die Pubertät kam, unternahmen wir beide bewusst einen Mutter-Tochter Tag der besonderen Art: Beim gemeinsamen Essen in einem Restaurant sagte ich zu ihr: „Auf dem Weg zum Erwachsenwerden möchte ich dir eine gute Freundin sein.“ Meine Tochter überlegte nicht lange und antwortete prompt: „Dies wäre mir zu wenig. Mama sollst du mir sein!“
Dieser Satz hat mich tief ins Herz getroffen. Ja, Mama soll ich ihr sein. Eine Berufung, die weit über Freundschaft hinausgeht. Wer liebevolle Eltern hatte, weiß, wie viel Gutes er durch deren Liebe und Vorbild in sein Leben mitnehmen durfte. Und wem elterliche Liebe versagt wurde, weiß, wie viele Wunden dadurch in seinem Leben geschlagen wurden.
Der Schlüssel zum anderen ist das Gespräch von Herz zu Herz. Ich verdanke es meinem Mann, der von Anfang an gefordert hat, dass wir als Familie einmal am Tag beim gemeinsamen Essen versammelt waren. Dort kamen alle Themen auf das Tablett, von allgemeinen organisatorischen Fragen und Diskussionen über Gott und die Welt bis hin zu sehr persönlichen, tiefgehenden Gesprächen. Es war ganz normal, dass alles angesprochen werden durfte. Bei diesen Gesprächen ging es manchmal auch sehr emotional und kontrovers zu.
Es kam vor, dass einer von uns sich völlig missverstanden gefühlt hatte oder einfach nur bewusst seinen Willen durchsetzen wollte – doch genau so ist das Leben: spannend, herausfordernd, schön, nicht selten verletzend und manchmal ganz anders, als man denkt. Da begann dann die Schule der Versöhnung und wie man dem anderen zeigen kann, dass er trotz ganz anderer Meinung wertgeschätzt und geliebt ist. Diese Schule der Liebe, Wertschätzung und Versöhnung erlebt man in einer Familie hautnah, denn man ist tagtäglich aufeinander geworfen.
„Mama sollst du mir sein“, ist eine große Herausforderung. Denn es liegt an uns als Erwachsene, diese Gesprächsatmosphäre zu schaffen, in der sich Kinder und Jugendliche angenommen und geborgen fühlen. Ich bin überzeugt, wenn wir ihnen dieses „zu Hause“ schaffen, haben wir auch ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt, da unsere Kinder erwachsen sind, kann ich sagen, dass vor allem diese Zeit des Gespräches, ob im Familienverband oder unter vier Augen, uns als Familie geformt und einander nahegebracht hat. Diese gemeinsame Zeit, wo wir uns das Herz schenken durften, einschließlich unserer Schwächen und Wunden.
An ein Gespräch mit meinem Vater denke ich mit großer Dankbarkeit: Gerade sehr unglücklich verliebt, konnte ich es in meiner Familie nicht verbergen, dass es mir schlecht ging. Es wusste jeder, dass ich mich gerade von meinem Freund getrennt hatte. Da kam mein Vater zu mir, nahm mich in den Arm und sagte zuerst einmal nichts. Dann sprach er nicht über mich, was ich oder mein damaliger Freund richtig oder falsch gemacht hätten, sondern erzählte mir von seinen Erfahrungen.
„Weißt du, Maria, ich war auch einmal in einer solchen Situation. Es ist wirklich nicht leicht – und manchmal sind Gespräche darüber gar nicht erwünscht. Man möchte in sich hineinschweigen. Doch eines möchte ich dir sagen: Ich habe mir damals nicht vorstellen können, dass ich einmal eine so wunderbare Frau wie die Mama finde und dass ich einmal so viel Glück erleben darf. Doch dieses Glück ist möglich.“ Dann ging er, ohne einen Kommentar von mir einzufordern. Er hat mir seine Wunde gezeigt und dadurch wahrscheinlich den besten Weg gewählt, mich in meiner Wunde ansehen zu können.  
Ich werde eine weitere Begebenheit nie vergessen: Mein Sohn Rupert erzählte mir von einem Vorhaben. Gleich präsentierte ich ihm sehr bestimmend meine Überlegungen dazu. Rupert lächelte und sagte: „Hab’ dich lieb, Mama, aber ich wollte dich nur informieren und keine Abhandlung haben, was jetzt das Beste wäre.“ Herrlich!
Ich habe mir eine Tasse Kaffee gemacht, in mich hineingelächelt und mir gedacht: „Gut hast du ihn erzogen. Er weiß, was er will und hat mir meine Grenzüberschreitung liebevoll aufgezeigt.“ Dann habe ich mich bei ihm entschuldigt. Ich denke, in solchen Augenblicken passiert etwas Großes, wenn wir den Mut haben, um Verzeihung zu bitten und das große Geschenk erfahren, dass uns verziehen wird.
In einem Buch habe ich folgende Geschichte gelesen: Ein junger Mann erzählt seinem Vater, was er in nächster Zeit vorhabe. Dieser klärt ihn sofort über alle Gefahren auf, die damit verbunden sein könnten. Darauf antwortet der Sohn: „Mach dir keine Sorgen, ich werde nur die Dummheiten machen, die du in diesem Alter auch gemacht hast.“ Und der Vater war eigenartig beunruhigt.
Um als Eltern nicht in den Sorgen und Ängsten um unsere Kinder gefangen zu werden, ist Humor und Frohsinn ein wichtiges Lebenselixier. Mein eigenes Fundament für die Lebensfreude war von Kind an eine lebendige Beziehung zu Gott. Zu wissen, dass ich von Anbeginn von Gott geliebt bin und eine Zukunft in alle Ewigkeit habe, hat mein Leben froh gemacht. Und diese Muttersprache des Glaubens habe ich an meine Kinder weiterzugeben versucht. Der Glaube an die Auferstehung ist für mich kein Trostpflaster, sondern Wirklichkeit und Realität.
Mein Mann fiel vor einigen Jahren vom Dach und erlitt schwere Verletzungen. Als ihn der Hubschrauber mit dem Notarzt wegbrachte, war das gemeinsame Gebet mit meinen Kindern während der Fahrt ins Krankenhaus die Hilfe, die uns in dieser schweren Not trug. Als ich meinen Mann im Krankenhaus dann kurz einmal sehen durfte, sagte er zu mir: „Maria, versprich mir, Lobpreis bis ans Lebensende.“ Ja, die Freude am Herrn ist unsere Stärke, die wir uns von niemandem und keinem Lebensereignis nehmen lassen sollten. Die Gelassenheit und das Gottvertrauen, das mein Mann in der Zeit der langen Rehabilitation zeigte, hat einen großen Eindruck bei unseren Kindern hinterlassen.
Eine weitere Begebenheit, die mein Muttersein begleitet hat: Die Großmutter meines Mannes, Christine, lag schwer erkrankt mit ihren 77 Jahren im Bett. Da besuchte sie ihre Mutter, die bald ihren 100. Geburtstag feiern würde. Als sie ans Krankenbett trat, nahm sie die Hand ihrer Tochter und sagte: „Ach mein Kind, wenn ich doch für dich all diese Schmerzen ertragen könnte. Ich bin bei dir.“
Dieser Satz kam mit so viel Mitgefühl tief aus ihrem Herzen, dass ich dabei weinen musste. Dann streichelte sie Christine immer wieder sanft über Hände und Gesicht. Da habe ich verstanden, dass Muttersein nie aufhört, ob eine junge Mutter oder eine alte Mutter. Mama sein zu dürfen, ist eine wunderbare Berufung, die einem das Beste abverlangt, das man zu geben vermag.


Das Elternprojekt
Angebot, um mit Jugendlichen zwischen 12 und 16 über wichtige Fragen der Pubertät ins Gespräch zu kommen und im Gespräch zu bleiben:
Mutter-Tochter-Tag:     Zeit: 24. September
Vater-Sohn-Tag:
Zeit: 1. Oktober
Ort: Fuschl am See
Zwischen Begleitung und Loslassen der Jugendlichen in der turbulenten Zeit der Pubertät  und  Chancen für gegenseitiges Verstehen: Vortrag: Pubertät – einst Kinderzimmer, jetzt wird umgeräumt
Zeit: 3. Mai
Ort: Pfarrhof, A-5421 Adnet
Info: www.tiefverwurzelt.at

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