VISION 20006/2018
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Du sollst nicht töten!

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Die Katechese ist heute  dem 5. Gebot gewidmet: Du sollst nicht töten. Wir befinden uns da schon im 2. Teil des Dekalogs, dem Teil, in dem es um die Beziehungen zum Mitmenschen geht. Durch seine prägnante, kategorische Formulierung errichtet dieses Gebot geradezu eine Mauer zum Schutz des Grundwertes aller menschlichen Beziehungen. Und welcher ist dieser Grundwert der Beziehungen? Der Wert des Lebens. Daher: Du sollst nicht töten.
Man könnte sagen, dass alles Böse, das in der Welt geschieht, auf die Missachtung des Lebens zurückgeführt werden kann. Das Leben wird durch Kriege angegriffen, durch Organisationen, die den Menschen ausbeuten – was lesen wir doch alles in Zeitungen, sehen es in Fernseh-Nachrichten –, durch Spekulationen mit der Schöpfung, durch die Wegwerf-Kultur und Systeme, die menschliche Existenz einem Nützlichkeitskalkül unterwerfen, während eine skandalöse Unzahl von Leuten unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. All das ist Lebensverachtung, also in gewisser Weise Tötung.
Um andere Rechte zu schützen, gestattet auch ein in sich widersprüchliches Denken die Beseitigung menschlichen Lebens im Mutterleib. Aber wie kann ein Akt, der unschuldiges, wehrloses, sich entfaltendes Leben beseitigt, therapeutisch, zivil oder menschlich sein? Ich frage euch: Ist es gerecht, ein menschliches Leben zu „beseitigen“, um ein Problem zu lösen? Ist es gerecht, einen Auftragsmörder zu bezahlen, um ein Problem zu lösen? Nein keinesfalls. Es ist ungerecht, ein menschliches Wesen zu „beseitigen“, selbst wenn es klein ist, um ein Problem zu lösen. Das ist, wie wenn man einen Auftragsmörder dingt, um ein Problem zu lösen.
Woher kommt das? Wo ist der Ursprung solcher Gewalttätigkeit und Ablehnung des Lebens? Es ist die Angst. Die Aufnahme des anderen stellt nämlich eine Herausforderung für den Individualismus dar. Denken wir etwa an den Moment, an den man entdeckt, dass ein Kind im Mutterleib – sogar schwer – behindert ist. Die Eltern bedürfen in dieser dramatischen Zeit echter Nähe, wahrer Solidarität, um sich der Realität zu stellen und ihre verständlichen Ängste zu überwinden. Und da bekommen sie im Gegenteil überhastet den Rat, die Schwangerschaft abzubrechen, anders ausgedrückt: „Schwangerschaft abbrechen“ bedeutet jemanden richtiggehend „zu beseitigen“.
Ein krankes Kind braucht wie jeder notleidende Mensch auf Erden, wie auch ein alter Mensch, wie so viele Arme, die sich schwertun, Hilfe: Wer so aussieht, als wäre er ein Problem, ist in Wahrheit ein Geschenk Gottes, das mich aus meiner Ichbezogenheit herausführen und in der Liebe wachsen lassen kann. Das verletzliche Leben weist uns den Ausgang, den Weg, auf dem wir dem Um-sich-selbst-Kreisen entgehen und die Freude der Liebe entdecken können. (…)
Was führt den Menschen dazu, das Leben abzulehnen? Es sind die Götzen dieser Welt: Geld – man muss ihn beseitigen, weil er uns viel kosten wird –, die Macht, der Erfolg. Alles falsche Faktoren, um Leben zu bewerten. Das einzig wahre Maß für das Leben – was ist es? Es ist die Liebe, die Liebe, mit der Gott liebt! Die Liebe, mit der Gott das Leben liebt: Das ist das Maß. Die Liebe, mit der Gott jedes menschliche Leben liebt.
Denn, was ist denn der positive Sinn von „Du sollst nicht töten“? Dass Gott „das Leben liebt“, wie wir es gerade in der Schriftlesung gehört haben.

Auszug aus der Ansprache des Papstes bei der Generalaudienz v. 10.10.18

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