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Christen im Visier der Nationalisten

Artikel drucken Über die Situation in Indien

Lange Zeit sah man Indien als eher friedfertiges Land an, den Hinduismus als tolerant, der andere Religionen akzeptierte. Das hat sich in den letzten Jahren verändert, denn seit 2014 haben die Nationalisten das Sagen auf der politischen Bühne. Gespräch mit einem indischen Bischof, der als Generalsekretär der Bischofskonferenz die Situation im Lande gut zu beurteilen vermag.

Welchen Stellenwert haben die Christen in Indien?
Bischof Théodore Mascarenhas: Wir sind ein sehr großes Land mit einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen. Die wichtigste Religion ist der Hinduismus (80%), dann kommt der Islam (12%). Nur 2,3% sind Chris­ten. Diese winzige Minderheit engagiert sich bei der Bildung, im Gesundheits- und im Sozialdienst. Wir betreiben 85.000 christliche Schulen im Land, von denen 54.000 von der katholischen Kirche betreut werden. Insgesamt studieren 60 Millionen Schüler in unseren Einrichtungen. Der Großteil dieser Schulen befindet sich in schwer erreichbaren Regionen, wo Ärmsten leben. Dort wird werden die Christen massiv von der Bevölkerung und der Regierung unter Druck gesetzt. In den Regionen, wo wir nur einen geringen Anteil der Bevölkerung darstellen, vor allem im Norden, werden wir oft angegriffen.

Was bedeutet das?
Bischof Mascarenhas: Außer den Drohungen, welche die Regierung gegen unsere Schulen ausspricht, die sie verstaatlichen wollen, kommt es nicht selten zu Verleumdungskampagnen gegen die christlichen Gemeinschaften. Im August 2017 beispielsweise haben sehr populäre Medien christliche Missionare beschuldigt, die Menschen zu manipulieren und zwangsweise zu bekehren. Eine Woche darauf hat die Regierung des Staates Jharkand ein Gesetz beschlossen, das Bekehrungen verbietet. Es zwingt Personen, die zu einer anderen Religion übertreten wollen, eine polizeiliche Genehmigung einzuholen. Das ist eine Verletzung des Rechts auf Religions- und Gewissensfreiheit.

Ist der zunehmende hinduistische Nationalismus eine Gefahr für die Christen?
Bischof Mascarenhas: Es gibt rechts-extreme Organisationen, die ganz offen verlangen, dass Indien in fünf Jahren ein komplett hinduistisches Land sein soll. Sie wollen, dass die Muslime nach Pakistan gehen und die Christen in den Vatikan übersiedeln! Sie werden alles unternehmen, um uns zu bekehren oder ins Exil zu schicken. Vor einem Jahr hat ein indischer Bischof einen offenen Brief verfasst, in dem er dazu aufgerufen hat, für die neue Regierung zu beten. Das hat eine solche Polemik hervorgerufen, dass vier Tage hindurch in allen Medien des Landes behauptet wurde, die Chris­ten seien gegen die BJP (die Partei des Volkes. Der indische Premierminister Narendra Modi steht an der Spitze der Partei, die sich dem hinduistischen Nationalismus verschrieben hat, Anm.). Und das, weil wir von einer „neuen Regierung“ gesprochen hatten. Heute sind wir sehr vorsichtig, was den Umgang mit den Medien anbelangt. Etwas kann jederzeit gegen uns ins Treffen geführt werden.

Was werfen die Nationalisten den Christen vor?
Bischof Mascarenhas: Einige glauben wirklich, dass die Christen äußerst gefährlich sind, weil sie die Leute bekehren. Und dabei machten die Christen 1947, zum Zeitpunkt der indischen Unabhängigkeit, 2,7% der Bevölkerung aus. Heute sind es nur mehr 2,3%! Was heißt da Bekehrungen? Die hinduistischen Extremisten nennen uns „Fremde“ in der Meinung, dass die christliche Kultur in Indien nichts zu suchen habe. Vergangenen Oktober sind im Staat Madhya Pradesh im Norden des Landes rund 40 junge Männer in eine Schule eingedrungen. Sie haben den Direktor umzingelt und ihn aufgefordert: „Sie müssen die Statue der mütterlichen Göttin anbeten.“ Der Direktor hat dies abgelehnt. Darauf haben ihm die Männer geantwortet: „Wenn du das ablehnst, bist du ein Antinationalist. Wir kommen in ein paar Monaten wieder. Dann werden wir dafür sorgen, dass du die Göttin anbetest und den Hinduismus liebst…“

Wie reagieren die Christen angesichts dieser Einschüchterungen?
Bischof Mascarenhas: Je mehr wir bedrängt werden, umso stärker wird unser Glaube. Die Leute lehnen es ab, ihre Religion zu wechseln. Ein armer Mensch hat mir einmal gesagt: „Herr Bischof, ich werde niemals meine Religion verleugnen. Sollen sie zu Hunderten daherkommen, sollen sie mich schlagen. Ich gebe nicht auf.“ Das habe ich unzählige Male den Politikern gesagt, wenn ich ihnen begegne. „Wenn ihr uns verfolgt, werden wir nur stärker.“

Auszug aus einem Interview mit Bischof Théodore Mascarenhas, Generalsekretär der indischen Bischofskonferenz. Das Gespräch führten Théo Debavelaere & Hugues Lefèvre für Famille Chrétienne v. 29.3.19



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