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Zeugnis ungeschminkter Wahrheit

Artikel drucken Die Tagebücher von Isa Vermehren (Christa Meves)

Dem Verblassen der Erinnerung an eine hervorragende Persönlichkeit und eine beeindruckende Zeitzeugin möchte ich mit dieser Info vorbeugen. Aktuell kommt dem eine Publikation entgegen: Die kaum gekürzten Tagebücher dieser „Super-Nonne“ sind 2016 unter dem Titel Isa Vermehren - Tagebücher 1950-2009 herausgegeben worden.
Dieses ist das Verdienst ihrer einstigen Kollegin Dr. Helga Böse und des Patrimonium-Verlags. Isa Vermehren bedarf post mortem weiterhin der Beachtung, weil sie auf dem Hintergrund ihrer Ursprungsfamilie, trotz Verfolgung und Inhaftierung, der Generalfalle des Hitlerreiches widerstanden und alle Bedrohung, die daraus erwuchs, gnadenreich überlebt hat. Sie hat damit ein Beispiel für die Ehrenrettung jener bürgerlichen Familien in der damaligen Diktatur erstellt, die ebenfalls nicht mitliefen.
Aber noch ein weiteres Argument bewegt mich zu einer solchen kleinen Schreibe; denn vier Jahre nach ihrem Tod wurde im ZDF unter dem Titel Ein weites Herz - Schicksalsjahre einer deutschen Familie ein Film über die Ordensfrau gesendet. Bis heute wurde er mehrere Male wiederholt. Der Film beleuchtet zwar eindrucksvoll einen Lebensabschnitt der Isa Vermehren, bedarf aber gleichzeitig einer Richtigstellung: Die junge Frau Isa wurde dort in einer Weise als „kein Kind von Traurigkeit“ dargestellt, die auch eine sexuelle Freizügigkeit in ihrem Verhalten als Vermutung geradezu aufdrängt.
Der ausschließlichen Dominanz des christlichen Glaubens wurde in dem Film hingegen nur unzureichend Raum gegeben, und darüber hinaus wurde der Film durch bedenkliche Unrichtigkeiten dieser erstaunlichen Persönlichkeit nicht gerecht.
Das ermutigt mich, da ich mit Isa Vermehren gut bekannt war, ein Fragezeichen an die aufrichtige Darstellung des Films zu setzen. Deshalb nun vorab eine kurze, aber korrekte Vita der Isa Vermehren:
Sie wurde 1918 in Lübeck als Tochter einer renommierten Rechtsanwaltsfamilie geboren. Im April 1934 schloss sie sich in Berlin dem literarischen Kabarett von Werner Finck an und trat dort mit Songs gegen das NS-Regime auf. Nachdem 1935 das Kabarett geschlossen und die Betreiber verhaftet worden waren, blieb sie – wohl wegen ihrer Unmündigkeit – zunächst verschont, machte sogar mit Abendschule in Berlin noch Abitur, wurde dann aber mit weiteren Familienangehörigen 1944 verhaftet und interniert.
1945 wurde sie nach einer Irrfahrt durch die Konzentrationslager Ravensbrück, Buchenwald und Dachau schließlich in einem Bus in Südtirol befreit.
Von 1946 bis 1951 studierte sie an der Universität Bonn katholische Theologie und Deutsch, Englisch, Philosophie sowie Geschichte. 1951 trat sie dem Orden der Schwestern vom Heiligen Herzen Jesu in Pützchen bei und begann am dortigen Gymnasium zu unterrichten. Ab 1969 bis zum Ruhestand 1983 leitete sie das katholische Mäd­chengymnasium, die Sophie-Barat-Schule, in Hamburg.
1986 übernahm sie als Oberin das neu gegründete Ordenshaus in Bonn und kehrte 2004 aus Altersgründen nach Pützchen zurück. Sie schrieb mehrere Bücher, auch eins über ihre Verfolgung im Hitlerreich. Sie sprach von 1983 bis 1995 in der ARD regelmäßig das Wort zum Sonntag.
Die nun in mächtigem Umfang herausgegebenen Tagebücher haben ihren Schwerpunkt aber keineswegs mehr in den Verfolgungsjahren, sondern sie sind eine – auch mit einer Fotoserie unterlegte – Dokumentation ihres Fühlens, Denkens und Handelns als eine Zeitzeugin auch der neuen Wirrnis hierzulande. Deshalb blieb diese so tapfere, so verantwortungsbewusste Frau auch jenseits ihres Ruhestandes mit einem umfänglichen Vortragsleben am Ball.
Aus ihren Tagebüchern geht hervor, dass auch in dieser Phase der christliche Glaube und die katholische Kirche – durch manche Krise hindurch – ihr entscheidender Halt blieben. Und sie vollzog von dieser Warte aus ein intensives Eingreifen in die nun auch mächtig einsetzenden Säkularisierungsversuche innerhalb der katholischen Kirche selbst.
Isa Vermehren erkannte früh, dass auch die Kirche von einer Gefahr der Spaltung zwischen den das Lehramt strikt erhaltenden und den unbedacht mitlaufenden Kräften nun betroffen sein würde.
Die jetzt herausgegebenen Tagebücher sind deshalb so wertvoll, weil sie absolut ungeschminkt der Wahrheit dienen - für damals und für heute. Schließlich gibt die Autorin sogar dem bedrängenden Erleben des körperlichen Verfalls im hohen Alter ungeschminkt Raum.
Das Leben von Isa Vermehren ist auch in unserer Situation heute – besonders in ihren Berichten über ihr Erleben in den Jahren der Nachkriegszeit – ein Fanal brennender Liebe einer Frau für ihren Herren in unermüdlichen Einsätzen bis in die 90-Jährigkeit hinein. Isa Vermehren ist so für uns zu einer Mahnerin der Unaufgebbarkeit des christlichen Glaubens und zu einer Ermutigung der Hoffnung gegen alle Hoffnungslosigkeit geworden.

Isa Vermehren. Tagebücher 1950-2009. Von Helga Böse (Hrsg.), Patrimonium Verlag, Aachen, 2016, 604 Seiten, 29,80€

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