VISION 20001/2020
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Im Land, wo der Pfeffer wächst

Artikel drucken Schwester Johanna Datzreiter FMM, Missionarin im krisengeschüttelten Liberia (Von Alexa Gaspari)

Auf die spontane Frage: „Schwester Johanna, Sie hätten ja in Liberia von Kindersoldaten erschossen werden können,“ antwortet sie gern: „Ja und?  Das wäre mir egal gewesen, solange sie die Frauen und Kinder, die wir beschützen wollten, am Leben gelassen hätten!“ Unglaublich! P. Karl Wallner, Direktor von „Missio Österreich“, hat recht, wenn er sie bei der Buchpräsentation von Wo der Pfeffer wächst als „kleine Frau mit einem großen Herzen“ beschreibt.
Auf das Interview mit dieser liebenswerten, tapferen Frau hatte ich mich besonders gefreut. Man kann gar nicht anders, als sich auf Anhieb gut, ja, sehr gut mit ihr zu verstehen. Ihr leicht lesbares Buch mit vielen berührenden, spannenden Geschichten aus den 43 Jahren, die sie in Liberia verbracht hat,  hatte ich schon vorher gelesen. Welch besseren Ort für unser Gespräch als die Kapelle von Missio in Wien hätten wir wählen können?
Sr. Johanna Datzreiter FMM wurde 1938 in Frankenfels in Niederösterreich als ältestes von 9 Kindern geboren. „Im Krieg ist uns nicht viel erspart geblieben,“ erzählt sie, „und die Nachkriegszeit war sehr hart für eine so große Familie. Daher muss die Heranwachsende ab dem 15. Lebensjahr für sich selbst sorgen. 3 Jahre ist sie bei einer Familie mit 5 Kindern, um der kränkelnden Lehrersfrau im Haushalt zu helfen. Sie musste also schon recht früh ihr eigenes Geld verdienen. Die Arbeit mit den Kindern gefiel ihr so, dass sie später eine Ausbildung zur Kindergärtnerin macht. Doch von klein auf wusste sie: „Ich muss etwas für Jesus tun. Aber was?“ Über ihrem Bett hing der Spruch, der für sie von großer Bedeutung war: „Jesus, du bist mein Licht und mein Heil.“
Johanna war in der Pfarrjugend tätig und dem Rosenkranz-Sühnekreuzzug beigetreten (zur Befreiung Österreichs von den Besatzungsmächten). Sie geht jeden Tag in die Messe. Sonntags holt sie sich mit Freunden den eucharistischen Segen. Auch die Familie ist tiefgläubig.
Die Lektüre der Steyler Missionszeitschrift lenkt ihren Wunsch, etwas für Jesus zu tun, in Richtung Mission. Mit 18 entdeckt sie den Orden der Kongregation der Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens. Und bei einer Fronleichnamsprozession weiß sie plötzlich ganz sicher: „Das ist mein Weg.“ Es ist eines der vielen Male, wo sie ganz tief spürt: Gott ist da!
1956 tritt sie ins Missionskloster in Eichgraben ein. Auch wenn im Noviziat Fragen aufgetreten sind wie: „Kann ich das meinen Eltern zumuten?“, so hatte sie letztlich nie Zweifel, „dass dieser Weg der richtige für mich ist. Ich wusste: Wenn ich das nicht tue, werde ich bestimmt nicht glücklich.“ Ob sie mehr über ihre Berufung sagen kann, frage ich. „Sie wird einem von Gott ins Herz gelegt, oder es sind bestimmte Umstände, die einen in diese Richtung drängen,“ meint die Schwester. „Es ist ein Geheimnis der Liebe.“
Seit 1958 ist sie nun Ordensschwester der Kongregation der Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens. Nach einigen Jahren in einer deutschen Pfarre verlässt sie 1974 nach dreijähriger Ordens- und Missionsausbildung die Heimat in Richtung Rom. „Worauf haben Sie sich da gefreut?“, frage ich sie. Sie erinnert sich: „Ich war sehr froh, dass ich das Heilige Jahr in Rom erlebt und am 6. Jänner 1975 mit 400 anderen die Missionsaussendung und das Missionskreuz durch Papst Paul VI. bekommen habe. Ein besonderer Augenblick. ,Geht, Ihr seid gesendet,’ hat der Papst den Missionaren zugerufen.“ Und von der Generaloberin erfährt Sr. Johanna den Namen ihres Einsatzortes: Liberia. Entsetzen bei einer Mitschwester: Dort gäbe es ein entsetzliches Klima, Moskitos, Malaria, jede Menge Giftschlangen… Doch mein Gegenüber betont: „Ich war bereit, mein Leben für Christus hinzugeben. Ich hatte mich für die Mission entschieden, egal in welchem Land.“ Lächelnd setzt sie fort: „Ich ahnte nicht, was auf mich zukommt, möchte aber keine Minute meines Lebens, das ich mit Gott gehe, missen.“
Pfefferküste – Reis mit Pfeffersuppe, sehr viel Pfeffer, ist das Lieblingsgericht der Liberianer – oder Sklavenküste, so wurde Liberia (= Freiheitsland) benannt. Denn die „American Colonization Society“ hatte den Küstenstreifen gekauft, um dort ehemalige Sklaven anzusiedeln und auf diese Weise selbst Kolonialherren zu werden. Liberia, ist die älteste Republik Afrikas, ähnlich groß wie Österreich, an der Westküste Afrikas gelegen und 1847 gegründet. Dort hatten jedoch zunächst nur die Siedler, die Americo-Liberianer, die Elite des Landes, das Wahlrecht.
Schwester Johanna fliegt also nach Monrovia, der Hauptstadt, in ein tropisch feucht-heißes Klima. Von dort geht es quer durchs Land bis zur letzten Missionsstation vor der Brücke zur Elfenbeinküste, nach Yekepa, wo sie von den Kindern der Schule aus dem Stamm der Mano mit freudigem Willkommenstanz begrüßt wird. 1000 Kinder, deren ganzer Reichtum ein Bleistift und ein Heft sind, gehen da begeistert in die Schule. Als Lehrerin erlebt sie später – sie unterrichtet in dieser Armenschule bis 1981 – immer wieder, dass sich Kinder heimlich in die überfüllten Klassen dazusetzen, nur um auch unterrichtet zu werden.
Die  ersten 5 Jahre im Norden von Liberia sind eine ruhige Zeit des Eingewöhnens. Danach folgt eine, speziell auf Afrika ausgerichtete, Katechistenausbildung in Sierra Leone. Seit 1968 ist der Orden der Schwestern in Gbarnga beheimatet. Dort ist Schwester Johanna betroffen vom Schicksal der Kinder der genesenen Leprakranken, die, wegen der Angst der Dorfbewohner, nicht zurück in ihre Orte können und mit den Eltern im Busch herumirrten. Wie könnten diese Kinder eine Schulausbildung erhalten? Die Schwester beschließt, die berührende, wahre Geschichte eines solchen Mädchens zu schreiben. Missio Österreich veröffentlichte ihren Kookaburra lacht für Tapi, der Geldspenden fließen lässt. „Unsere Kookaburra-Schule für Kinder von Leprakranken füllte sich bald mit Kindern, die sonst keine Chance auf Ausbildung gehabt hätten.“ Dank großzügiger Spenden, an erster Stelle Missio, besteht die Schule heute noch. Die Schwester hat dort unterrichtet.
Ab 1978 wird die Ausbildung von Katechisten, Lehrern und Leitern von Dorfgemeinschaften zum großen Anliegen der Schwester. Denn: „Wenn wir die Eingeborenen nicht als Katechisten ausbilden, geht nichts weiter. Sie kennen ja ihre Kultur – wir nicht.“ Die Kultur des Landes zu kennen und zu verstehen, ist wichtig bei der Evangelisation. Daher die Bedeutung  einheimischer Katechisten. „Unsere Aufgabe ist es, durch Katechisten unseren Glauben in die Kultur der Einheimischen, in der auch  Gutes vorhanden ist, zu integrieren.“ Aber es gebe auch den Geisterglauben, Hexenmeister, Medizinmänner. „Wer sich auf die einlässt, gerät in große Abhängigkeit von einer Geisterwelt, von der man so schnell nicht los­kommt,“ erzählt mir die Schwester. Da ist Vorsicht und Fingerspitzengefühl gefragt. „Wir müssen das Positive der Kultur aufgreifen und weiterentwickeln und in den Dienst des Evangeliums, also einer christlichen Kultur der Nächstenliebe stellen, aber das Negative durch das Evangelium, durch Jesus, der das Böse besiegt, ersetzen. Dann kann neues Leben entstehen.“ Von den heute 365 Katechisten sind übrigens mehr als die Hälfte Frauen.
Die kleinen christlichen Gebetsgemeinschaften, die sich nach und nach durch den Einfluss der Schwestern und Katechisten bilden, werden in den Jahren der ersten Unruhen zu einem Zeichen der Hoffnung. Sie stärken den Glauben in der Region.
Die Ausbeutung durch die USA nimmt zu, wovon die politische Elite profitiert, während die einheimischen Stämme in großer Armut leben. Die Korruption wächst, der Preis von Reis steigt – und so kommt es zu Aufständen und 1980 zum blutigen Militärputsch von Samuel Doe. Der neue Präsident besetzt alle Schlüsselposten mit seinen Stammesangehörigen. Ethnische Konflikte sind damit vorprogrammiert. Allerdings entpuppt sich der neue Machthaber als noch korrupterer Diktator: Seine Kritiker landen im Gefängnis, werden gefoltert, ermordet oder zumindest deportiert. Immer öfter wird gegen Missionsordensleute vorgegangen. Kein Wunder, dass Hilfsorganisationen und ausländische Missionare das Land zu verlassen beginnen.
Sollen auch die Schwestern heimkehren? „So wie man sich in einer christlichen Ehe die Treue verspricht in guten wie in schlechten Tagen bis zum Tod, so habe auch ich als Missionarin dem Herrn die Treue zu Seiner Kirche versprochen, um in guten und schlechten Tagen das Schicksal der Armen zu teilen,“ erklärt mir Sr. Johanna. „Mit der Mission habe ich mich auf Gott eingelassen. Also muss ich den Auftrag, den ich spüre, ausführen. Sonst gehe ich an meinem eigenen Leben vorbei. Wir stellen uns Gott zur Verfügung – ganz.“
Für die Schwestern heißt das: „Wir wollten den Leuten vermitteln: Wir bleiben bei euch, teilen euer Los. So können sie die Liebe Gottes, die Liebe der Kirche, die für sie da ist und sie nie verlassen wird, verstehen.“ Sie ergänzt und lächelt gelassen: „Und wenn mich Rebellen umgebracht hätten, wäre es auch nicht schlimm gewesen. Andere sind ja auch gestorben.“
Das Land gerät immer mehr ins Chaos. Angst regiert. Vergeblich versucht der Erzbischof von Monrovia dem Präsidenten ins Gewissen zur reden. Nach zehnjähriger Herrschaft im September 1990 wird Doe ermordet. Schon vorher begann Charles Taylor, einer der grausamsten „Warlords“ das Land zu erobern: Insbesondere rekrutierte er Kinder zwischen 7 und 14 für seine Rebellenarmee. Auch ihm geht es um die Herrschaft über die Rohstoffe des Landes.
„Das war kein Glaubenskrieg,“ erklärt mir die Schwester: „Wenn ich die Kinder an einem Checkpoint fragte, warum sie nicht in die Schule und die Kirche gehen, haben sie oft das Gewehr versteckt und gesagt: ‚Der Papi (Charles Taylor) hat uns freie Schulbildung und einen Job versprochen. Dafür muss ich für ihn kämpfen und das Land von Samuel Does Anhängern befreien. Dann werde ich auch wieder in die Kirche gehen und beten.’“
Die Situation verschlimmert sich. Und dann hat Taylor sein Hauptquartier nur wenige hundert Meter von der Mission entfernt aufgeschlagen. „Die jungen Rebellen, durch Marihuana den Befehlen ihres Anführers gefügig gemacht, nahmen sich alles von der Bevölkerung, schossen auf alles, was sich ihnen in den Weg stellte.“ Immer wieder wachen die Schwestern in der Nacht durch Schüsse, Prügeleien oder Einbrüchen auf dem Missionsgelände auf.
Alles Brauchbare verschwindet. Die Schwestern versuchen den Menschen, die den Horden der Rebellen hilflos ausgesetzt sind, so gut sie können zu helfen. Als sich die USA 1992 mit Friedenstruppen in den Kampf um die Hauptstadt einmischen, befiehlt Taylor seinen Leuten nun alle US-Amerikaner in Liberia zu erschießen. Berichte von  ermordeten Freunden und amerikanischen Schwestern erreichen die Missionsstation. Die Lage eskaliert. Die Zahl der Kindersoldaten steigt auf 40.000. Da der Warlord Taylor nur seinen Elitesoldaten Sold zahlt, beginnen die rekrutierten Burschen – und auch die Mädchen – sich ihr tägliches Überleben durch Raub selbst zu sichern.
1993: Neben der Sorge um die Kranken, die Mütter und die Alten verstecken die Schwestern auch desertierte Kindersoldaten, darunter Mädchen – die als Sex-Sklavinnen herhalten mussten. Einen Burschen können sie, als Schwester verkleidet, aus dem Land bringen. Denn Deserteure wurden, wenn man sie erwischte, zu Tode gefoltert. Über das alles, das politische Geschehen und berührende Geschichten findet man in Sr. Johannas Buch. Bitte lesen!
Als sich verfeindete Rebellengruppen bei Taylors Hauptquartier einen erbarmungslosen Kampf liefern und die Missionsstation ein Opfer von Flammen wird, müssen die Schwestern mit  den Frauen und Kindern aus der Gegend in den Busch fliehen. Die Soldaten verfolgen sie und nehmen ihnen alles außer der Kleidung ab. Diese Flucht dauert 6 Tage, die nächste viel länger. Was sie da erlebten, frage ich Sr. Johanna, und: „Hatten Sie da nicht furchtbare Angst?“
„Ich hab nicht so viele Ängste für mich oder die Schwestern gehabt, aber für die Frauen. Wir wussten ja, was alles passieren konnte. Deshalb waren wir auch bereit, uns ganz für sie einzusetzen. Obwohl die Soldaten unberechenbar waren, hat keiner eine Frau, die mit uns war, angerührt. Einmal mussten wir 11 Stunden durch den Dschungel gehen, weil uns kein Dorf aufnehmen wollte. Die Gefahren waren sehr groß. Das kann man sich in einem freien Land gar nicht vorstellen. Ich habe immer gebetet, sie sollen lieber mich erschießen, aber die Frauen mit den Kindern in Ruhe lassen. Den Rosenkranz  hatten wir immer dabei. Das Wort aus Jesaja 43,2 ‚Gehst du durch Wasser, ich bin bei dir, durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten. … Denn ich, Jahwe bin dein Gott, der Heilige Israels ist dein Helfer,’ haben wir auf der Flucht oft gebetet.“
Auch wurden sie unterwegs von keiner giftigen Schlange gebissen, obwohl sie nachts nichts sehen konnten, da ihnen ja alles, auch die Taschenlampen von Soldaten abgenommen worden war. Wie konnten sie dann den Weg finden, interessiert mich. „Die Einheimischen haben einen ungeheuren Orientierungssinn. Und man geht immer hintereinander, in einer langen Kolonne, vorne der, der sich am besten auskennt.“
Mit den Frauen und Kindern sind sie stets gut angekommen – „das war so eine riesengroße Freude. Kranke oder Schwache wurden von den Buben mitgetragen. Wenn wir in der Trockenzeit geflohen sind, mussten wir Wasser aus Tümpeln trinken. In der Regenzeit haben wir Mund und Hände aufgemacht, um Wasser aufzunehmen. Gefährlich war auch, über wasserumspülte Brücken und reißende Bäche zu gehen. Aber es ist alles gut gegangen.“
Die Nächte auf der Flucht waren am schlimmsten. Die unberechenbaren Soldaten waren überall im Busch. „Wenn wir ein Haus fanden, sind alle 30 in einem Raum geblieben. Wir Schwestern haben uns zur Tür gesetzt – schlafen konnten wir sowieso nicht…“  Und sie fügt hinzu: „Wären Soldaten gekommen, hätten sie erst mit uns kämpfen müssen.“ Wir lächeln beide bei der Vorstellung des ungleichen Kampfes, zwischen der zarten Schwester und einem kampferprobten halbwüchsigen Burschen.  Wie gut, dass es nie so weit gekommne ist.
„Dass ich fast nie Angst habe, ist sicher eine Gnade. Das kann man sich nicht selber geben. Wir haben jeden Tag, überall in den Missionsstationen, tägliche Anbetung. Das geistliche Leben muss mit dem praktischen Leben zusammengehen.“
1997 wird Charles Taylor Präsident der Republik. Die Hoffnung, nun würde es Frieden geben, erfüllt sich nicht. 2002 ist in Gbarnga wieder Kriegslärm zu hören. Die Schwestern wollen nicht schon wieder fliehen müssen, doch es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Rebellen dringen in die Missionsstation, plündern alles, werfen die Schwestern hinaus. Sie dürfen nicht einmal ihre Pässe mitnehmen. Staatenlos müssen sie über vier Grenzen bis zum Mut­terhaus nach Ghana. „Schutzengel in menschlicher Gestalt halfen uns immer wieder,“ erinnert sich die Schwester dankbar. Eineinhalb Jahre bleiben sie dort und betreuen Flüchtlinge im nahe gelegenen Camp.
2003 ergeht gegen Taylor ein internationaler Haftbefehl und es wird ihm in den Haag der Prozess gemacht. Das Urteil: Lebenslänglich. So kehren die Schwestern 2005 nach Liberia zurück und  stellen fest, dass nicht nur die Missionsstation, sondern auch die Schule, die Kirche geplündert und ohne Dach sind.
Von 2006 bis 2018 wird Ellen Johnson Sirleaf, Präsidentin Liberias und sie bekommt für ihren gewaltfreien Kampf für die Sicherheit von Frauen und für Frauenrechte 2011 den Friedensnobelpreis. Das geplagte Land atmet auf.
Nun erwächst den Schwestern eine neue Aufgabe: die schwer traumatisierten Ex-Kindersoldaten, mit besonderem Augenmerk auf die ehemaligen Soldatinnen, wieder ins normale Leben zu integrieren. „Diese Jugendlichen hatten Hunger, kein Gewehr mehr und zu den Eltern konnten sie oft auch nicht, da diese Angst vor ihnen hatten. Nicht selten war den Soldaten ja befohlen worden, einen Verwandten zu erschießen. Mit vereinten Kräften wird 20.000 Kindersoldaten Unterricht in provisorischen Schulen angeboten, auch psychologische Hilfe, damit sie ihre Vergangenheit aufarbeiten können. Dankbar nehmen die Jugendlichen die Hilfe an. Missionshaus und Kirche werden wieder aufgebaut. Vorsichtig geschieht die Wiedereingliederung in die Dorfgemeinschaften und die Rückkehr in die Familien. Wieder einmal legen die Schwestern den Menschen Versöhnung statt Rache ans Herz. Was die Seelen der Kinder am meisten brauchen ist ja Liebe, Geborgenheit, Anerkennung und Ausbildung.
 Diese „Wiederbelebung“, die immer noch anhält,  gehört zu Schwester Johannas schönsten Erinnerungen.
Als eine Typhusepidemie auftritt, erkranken auch die Schwestern, überleben aber alle, obwohl es sich um einen schwer zu bekämpfenden Virus handelt. Als allerdings 2014 in Liberia Ebola– ein Virus, der im Dschungel Kongos  erstmals entdeckt wurde – ausbricht, sind die Schwestern mit einer enorm ansteckenden Krankheit konfrontiert, für die es keine Heilung gibt. Wer einem an Ebola Erkrankten die Hand gibt, ist schon verloren. Man kann die Epidemie nur bekämpfen, indem man voneinander Abstand hält. Erkrankte dürfen nur von Pflegern mit speziellen Schutzanzügen besucht werden.
Für Afrikaner ist das eine sehr schwierige Situation. Sie sind gewohnt, ihre Kranken selbst zu pflegen und die Toten zu waschen (sonst droht der Fluch des Familiengeistes). Nun werden also die Katechisten und Dorfältesten von den Schwestern instruiert,  wie sie ihren Landsleuten die Dringlichkeit der Schutzmaßnahmen beibringen sollen.  Freunde in Österreich schicken Geld für Desinfektionsflaschen, Schutzanzüge… Nach zwei Jahren ist die Epidemie eingedämmt. Aus Dankbarkeit, dass kein Kind im Ort an Ebola gestorben ist, wurde eine neue Kirche errichtet.
Nach 43 Jahren kehrt Sr. Johanna in die Heimat zurück. „Wie hat sich Ihr Glaube in dieser Zeit in Liberia entwickelt?“, frage ich sie: „Es hat alles eine andere Dimension bekommen. Ich kann heute überhaupt nicht verstehen, dass man keine Beziehung zu Gott hat. Meine Beziehung zu Gott um­fasst die ganze Weltgeschichte und Vorsehung. Alles ist so real für mich. Für mich ist Gott eine Realität, Seine Gegenwart so stark: Nur mit Seiner Hilfe konnte ich meine Aufgaben erfüllen, die Fluchten, die Krankheiten so gut überstehen. Die katholische Kirche hat durch all die geleistete Hilfe, durch das Mittragen in schwierigen Zeiten aber auch durch die Glaubenstreue der Menschen stark an Bedeutung zugenommen und überall im Land Wurzeln geschlagen. Heute gibt es ca. 400.000 Katholiken im Land. Wir haben den guten Samen der Evangelisierung in Liberia gesät und nun können einheimische Berufungen wachsen. Dort habe ich einen starken Glauben, eine Sehnsucht nach Gott erlebt: Kinder sind mir nachgelaufen und haben um eine Bibel gebettelt!“
Und hier bei uns? Hier muss der Glaube gestärkt werden – dringend. Ihr Buch kann dazu beitragen, ich möchte es Ihnen, liebe Leser, sehr ans Herz legen. Als Widmung, die zum Nachdenken animiert, hat sie mir hineingeschrieben: „Weil Gott existiert, hat mein Leben einen Sinn.“
Übrigens: Ihr Missionskreuz ließ sie in der Mitte des Kreuzes der neuen Kirche anbringen als Zeichen dafür, dass Jesus in Liberia weiterwirkt.

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