VISION 20004/2005
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Der Frau ist in besonderer Weise der Mensch anvertraut

Artikel drucken Papst Johannes Paul II. über die Würde der Frau

Wirklich lesenswert ist die Enzyklika “Mulieris dignitatem" über die Größe der besonderen Berufung der Frau. An ihr entscheidet sich letztlich, wie menschlich eine Gesellschaft ist. Im folgenden zwei kurze Auszüge:

In der Mutterschaft der Frau, die an die Vaterschaft des Mannes gebunden ist, spiegelt sich das in Gott selber, dem dreieinigen Gott, gelegene ewige Geheimnis der Zeugung wider (vgl. Eph 3, 14-15). Das menschliche Zeugen ist Mann und Frau gemeinsam. Und wenn die Frau in Liebe zu ihrem Mann spricht: “Ich habe dir ein Kind geschenkt", so bedeuten ihre Worte zugleich: “Das ist unser Kind".

Doch obwohl beide gemeinsam Eltern ihres Kindes sind, stellt die Mutterschaft der Frau einen besonderen Anteil dieser gemeinsamen Elternschaft, ja deren anspruchsvolleren Teil dar. Die Elternschaft gehört zwar zu beiden; sie verwirklicht sich jedoch viel mehr in der Frau, besonders in der vorgeburtlichen Phase. Die Frau muß unmittelbar für dieses gemeinsame Hervorbringen neuen Lebens “bezahlen", das buchstäblich ihre leiblichen und seelischen Kräfte aufzehrt. Der Mann muß sich daher voll bewußt sein, daß ihm aus dieser gemeinsamen Elternschaft eine besondere Schuldverpflichtung gegenüber der Frau erwächst. Kein Programm für die “Gleichberechtigung" von Frauen und Männern ist gültig, wenn man diesem Umstand nicht ganz entscheidend Rechnung trägt.

Die Mutterschaft enthält eine besondere Gemeinschaft mit dem Geheimnis des Lebens, das im Schoß der Frau heranreift: Die Mutter steht staunend vor diesem Geheimnis, und mit einzigartiger Intuition “erfaßt" sie, was in ihr vor sich geht. Im Licht des “Anfangs" nimmt die Mutter das Kind, das sie im Schoß trägt, als Person an und liebt es.

Diese einmalige Weise des Kontaktes mit dem neuen Menschen, der sich formt, schafft seinerseits eine derartige Einstellung zum Menschen - nicht nur zum eigenen Kind, sondern zum Menschen als solchem -, daß dadurch die ganze Persönlichkeit der Frau tief geprägt wird. Man ist allgemein überzeugt, daß die Frau mehr als der Mann fähig ist, auf die konkrete Person zu achten und daß die Mutterschaft diese Veranlagung noch stärker zur Entfaltung bringt.

Der Mann befindet sich - trotz all seiner Teilhabe an der Elternschaft - immer “außerhalb" des Prozesses der Schwangerschaft und der Geburt des Kindes und muß in vielem von der Mutter seine eigene “Vaterschaft" lernen. Das gehört, so kann man sagen, zum normalen menschlichen Ablauf der Elternschaft, auch in ihrer weiteren Entwicklung nach der Geburt des Kindes, vor allem in der ersten Zeit. Die Erziehung des Kindes sollte, umfassend verstanden, den doppelten Beitrag der Eltern enthalten: den mütterlichen und den väterlichen Beitrag. Doch jener der Mutter ist entscheidend für die Grundlagen einer neuen menschlichen Persönlichkeit.

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Wir (können) meinen, daß zum biblischen “Urbild" der “Frau" vom Beginn der Geschichte bis zu ihrem Ende der Kampf gegen das Böse und den Bösen in Person gehört. Es ist dies auch der Kampf um den Menschen, um sein wahres Wohl, um sein Heil. Will uns die Bibel damit nicht sagen, daß die Geschichte gerade in der “Frau", in Eva und Maria, einen dramatischen Kampf um jeden Menschen verzeichnet? Den Kampf um sein grundlegendes “Ja" oder “Nein" zu Gott und zu seinem ewigen Plan für den Menschen?

Wenn die Würde der Frau von der Liebe zeugt, die sie empfängt, um ihrerseits zu lieben, scheint das biblische Urbild der “Frau" auch die rechte Ordnung der Liebe zu enthüllen, welche die eigentliche Berufung der Frau darstellt. Es handelt sich hier um die Berufung in ihrer fundamentalen und geradezu universalen Bedeutung, die dann konkrete Gestalt annimmt und in den vielfältigen “Berufungen" der Frau in Kirche und Welt zum Ausdruck kommt.

Die moralische Kraft der Frau und ihre geistige Kraft verbinden sich mit dem Bewußtsein, daß Gott ihr in einer besonderen Weise den Menschen anvertraut. Natürlich vertraut Gott jeden Menschen allen und jedem einzelnen an. Doch dieses Anvertrauen betrifft in besonderer Weise die Frau - eben wegen ihrer Fraulichkeit -, und es entscheidet in besonderer Weise über ihre Berufung.

Die aus diesem Bewußtsein und diesem Anvertrauen geschöpfte moralische Kraft der Frau findet in zahlreichen Frauengestalten aus dem Alten Testament, aus der Zeit Christi und aus den folgenden Epochen bis herauf in unsere Tage ihren Ausdruck.

Die Frau ist stark im Bewußtsein der ihr anvertrauten Aufgabe, stark, weil Gott “ihr den Menschen anvertraut", immer und überall, selbst unter den Bedingungen gesellschaftlicher Diskriminierung, unter der sie vielleicht leben muß. Dieses Bewußtsein und diese grundlegende Berufung erinnern die Frau an die Würde, die sie von Gott selber empfängt, und das macht sie “stark" und festigt ihre Berufung.

So wird die “tüchtige Frau" (vgl. Spr 31, 10) zu einer unersetzlichen Stütze und einer Quelle geistiger Kraft für die anderen, die der großen Kräfte ihres Geistes gewahr werden. Diesen “tüchtigen Frauen" haben ihre Familien und oft ganze Nationen viel zu verdanken.

In unserer Zeit ermöglichen die Erfolge von Wissenschaft und Technik einen materiellen Wohlstand in bisher ungeahntem Ausmaß, der einige begünstigt, andere aber an den Rand abdrängt. So kann dieser einseitige Fortschritt auch zu einem schrittweisen Verlust der Sensibilität für den Menschen, für das eigentlich Menschliche, führen.

In diesem Sinne erwartet vor allem unsere Zeit, daß jener “Genius" der Frau zutage trete, der die Sensibilität für den Menschen, eben weil er Mensch ist, unter allen Umständen sicherstellt und so bezeugt: “Die Liebe ist am größten" (vgl. 1 Kor 13, 13).

Ein aufmerksames Bedenken des biblischen Urbildes der “Frau" - vom Buch der Genesis bis zur Offenbarung des Johannes - bestätigt also, worin Würde und Berufung der Frau bestehen und was an ihnen unwandelbar und immer aktuell ist, weil es seinen “letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit".(61) Wenn der Mensch von Gott in besonderer Weise der Frau anvertraut ist, bedeutet das etwa nicht, daß Christus von ihr die Verwirklichung jenes “königlichen Priestertums" (1 Petr 2, 9) erwartet, jenes Reichtums, den er den Menschen zum Geschenk gemacht hat?

Auszug aus dem Apostolischen Schreiben von Papst Johannes Paul II. “Mulieris dignitatem"
v. 15. Aug. 1988

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