VISION 20002/2007
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Kirche - ein lebendiger Leib

Artikel drucken Wie hat Jesus die Kirche gewollt? (Von Alain Bandelier)

Jesus hatte sehr wohl die Absicht, eine Gemeinschaft um sich zu bilden. Sie merken, daß ich es vermeide zu sagen, er habe die Kirche gegründet. Spricht man nämlich von Gründung, dann entsteht sofort die Vorstellung einer unwiederbringlich beendeten Vergangenheit. Der Gründer wird notwendigerweise sterben und seine Gründung überlebt ihn in seinen Nachfolgern. Jesus jedoch hat keinen anderen Nachfolger als Ihn selbst, “der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten." (Röm 1,4)

Die Kirche ist kein Werk, das vor 2000 Jahren gegründet worden ist und das wir recht und schlecht funktionstüchtig erhalten müßten. “Ich werde meine Kirche bauen" (Mt 16,18): Diese Aussage in Zukunftsform bezeugt, daß der auferstandene Christus fortgesetzt Menschen ruft, Glieder Seines Leibes - dessen Kopf Er ist - zu werden, lebendige Steine jenes geistigen Tempels, dessen Architekt Er ist.

Wer einem falsch verstandenen Konservativismus oder einer mißverstandenen Erneuerung huldigt, verschließt sich gerade dieser Einsicht. Die erste Gruppe meint, die Kirche sei lange schon fertiggestellt. Sie macht aus ihr ein Museum, an das selbst der Heilige Geist nicht rühren darf. Vertreter der zweiten Ansicht wiederum halten sich für Baustellenleiter. Nach ihren eigenen Ideen oder den sich wandelnden Vorstellungen der Zeit bauen sie die Kirche jeweils um. Die einen wie die anderen entstellen und zerstören das Haus Gottes. Wann endlich werden sie ihre Augen und ihr Herz öffnen? “Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut," spricht der Herr (Mt 12,30).

Was den praktischen Aufbau der Kirche anbelangt, gibt das Neue Testament nur sehr wenige Hinweise. Jesus hat kein Programm verfaßt, das man befolgen müßte. Er vertraut denen, die Er ruft, und dem Heiligen Geist, den Er sendet. Ausdrücklich hat Er nur wenige Anweisungen gegeben: das Evangelium zu verkünden, zu taufen, Sünden zu vergeben, das Abendmahl im Gedenken an Ihn zu feiern, einander zu lieben, eins zu sein, damit die Welt glaube, die Kraft des Heiligen Geistes zu empfangen... Alles andere bleibt offen.

Weil der Geist sie in die volle Wahrheit führte, haben die Apostel andere wesentliche Elemente ins Licht gerückt. Man findet sie in der Apostelgeschichte und in den Briefen des Apostels Paulus und der anderen: die Handauflegung, um andere Männer an ihrem Dienst teilnehmen zu lassen, die Krankensalbung, die verschiedenen Charismen und Dienste, den Stand der Witwen und Jungfrauen, die örtlichen Treffen (wie in Antiochia) oder die allgemeinen (wie jene in Jerusalem), um auf den Geist zu hören und eine umstrittene Frage zu klären...

All das wird man später die Apostolische Tradition nennen. Sie muß in jeder kirchlichen Gemeinschaft in Zeit und Raum verwirklicht sein. So wird es möglich, die authentische Kirche der Apostel zu erkennen, die einzige, die Jesus Christus gewollt hat. Alles andere bleibt offen.

Daher gibt es in der Geschichte der Kirche etwas Unvorhersehbares, wenn auch keineswegs Willkürliches. Ihr Antlitz und ihr Zeugnis können je nach Zeit, Ort und Kultur unterschiedliche Formen annehmen. Gott sei Dank! Die Kirche ist ein lebendiger Leib, der zur Welt kommt und wächst aufgrund eines inneren Antriebes (dem Wehen des Heiligen Geistes) und aufgrund eines inneren Zusammenhalts (dem Evangelium, also Christus selbst, dem Wort Gottes). Sie ist das Volk jener, die “im Geist und in der Wahrheit anbeten" (Joh 4,23)

Diese lebendige Wirklichkeit, die von oben geboren ist und vom Himmel herabkommt, ist dazu berufen, sich hier auf Erden zu verwurzeln. (...) Die Kirche spricht die Sprache der Menschen, ihre Kulturen färben auf sie ab, ihre Sünden verwunden sie, ihre Erwartungen beflügeln sie.

Das bestätigt sich von Anfang an: Zwar gibt es eine einzige Kirche, aber sie nimmt sehr unterschiedliche Gestalt an (kanonisch, liturgisch, theologisch), je nach dem ob sie koptisch oder syrisch, griechisch oder lateinisch ist. Ähnliche Veränderungen beobachtet man über die Zeit hinweg: vom hl. Franz v. Assisi zum hl. Ignatius von Loyola, von Pius IX. zu Johannes XXIII. - und selbst heute, am Beginn des neuen Jahrtausends, gibt es Entwicklungen, die nicht nur möglich, sondern notwendig sind.

Alain Bandelier, Famille Chrétienne v. 19.5.2001

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