VISION 20002/2007
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„Wie Leben entsteht, wissen wir nicht

Artikel drucken Was die Naturwissenschaft über die Evolution beim heutigen Wissensstand auszusagen vermag (Von Univ. Prof. Siegfried Scherer)

Bei der Frage um die Evolution geht es um etwas Zentrales, unsere Herkunft. Darum werden die Debatten in diesem Bereich auch so emotional geführt. Es ist verständlich, daß Christen Ängste entwickeln, wenn Wissenschaftler sagen: Der Mensch ist ein Zufallsprodukt, mehr nicht.

Stellen wir also die Frage: Ist Wissenschaft wirklich gegen Religion, gegen Gott? Die Giordano Bruno-Stiftung in Deutschland jedenfalls hat als erklärten Zweck, den Einfluß der Religion im Land zurückzudrängen. Ihr Generalsekretär Schmidt-Salomon sagte: “Keine der bestehenden Religionen ist mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung in Einklang zu bringen. Nie zuvor trat die Unvereinbarkeit von religiösem Glauben und wissenschaftlichem Denken so deutlich zum Vorschein wie in unseren Tagen."

Kritisch ist auch der Wahrheitsanspruch, den die Evolutionslehre erhebt: Ich zitiere den großen Paläontologen Stephen J. Gould, der vor einiger Zeit geschrieben hat: “Evolution ist wahr. Und die Wahrheit kann uns nur frei machen." Als ich das gelesen habe, dachte ich: “Das kenne ich doch!" Jesus sagt ja, Er sei der, der uns freimacht. Gould wußte sehr genau, was er sagte, kam er doch von einem christlichen Hintergrund. Und er markiert damit eine klare Gegenposition zum christlichen Glauben.

Dabei ist Wahrheitsanspruch etwas, was wir in der Naturwissenschaft nicht kennen. Als Wissenschaftler kennen wir vorläufige Richtigkeiten. Sie sind solange richtig, als sie nicht durch weitere Experimente widerlegt werden. Wahrheit in dem erwähnten absoluten Sinn gibt es in der Naturwissenschaft aber nicht. Solche Wahrheit gibt es nur durch Offenbarung. Diese so formulierte Wahrheitsanspruch zeigt, daß Evolution mehr ist als nur eine naturwissenschaftliche Theorie.

Damit komme ich zum Begriff Evolutionismus. Wir müssen unterscheiden zwischen einer wissenschaftlichen Theorie, die versucht, mit ihren Mitteln den Ursprung der Welt und des Lebens zu untersuchen, und dem Evolutionismus, der eindeutig gegen Gott gerichtet ist. Ihn erkennt man in vielen Schlagzeilen: “Gott spielt keine Rolle mehr", “Den Schöpfer radikal ausgebootet", “Es wird eng für den Schöpfer" (Der Spiegel)... Wer die Zeitungen in den letzten eineinhalb Jahren verfolgte, konnte eine Überschwemmung mit ähnlichen Schlagzeilen feststellen.

Evolution ist jedoch nicht mit einem fundamentalistischen Evolutionismus gleichzusetzen. Es gilt also zwischen der Evolutionstheorie und einem Evolutionismus zu unterscheiden. Wir müssen auch zwischen den verschiedenen Argumentationsebenen unterscheiden. Sie liegen einerseits auf der Ebene der Weltanschauungen. Da kann man kritische Einwände gegen den Evolutionismus machen. Und sie liegen auf der Ebene der Naturwissenschaften. Da kann man kritische Anfragen an die Evolutionstheorie formulieren - aus der Biologie. Das ist mein Geschäft, ich bin Biologe.

An drei Punkten sehe ich wesentliche Probleme in der Evolutionstheorie aufgrund naturwissenschaftlicher Argumente. Man mißverstehe das nicht als eine Geringschätzung von Charles Darwin. Er war einer der größten Biologen, die je gelebt haben. Was er erkannt hat, hat in vielen Punkten Gültigkeit bis heute. Ich war selbst Evolutionsbiologe, überzeugter Atheist in meinen jungen Jahren. Ich schätze die Erkenntnisse der Evolutionsbiologen nicht gering. Aber ich stimme mit ihnen und Darwin nicht in ihrer Interpretation der Fakten überein.

Es ist kein Zufall, daß Evolution als Möglichkeit gedacht wird, um die Herkunft und die Geschichte des Lebens zu erklären. Wir haben nämlich in der Natur viele Anhaltspunkte dafür, daß sich Leben verändert. Diesen Veränderungsprozeß können wir auch experimentell beschreiben. Wir nennen das die kausale Evolutionstheorie. Sie führt bestimmte Erscheinungen der Variabilität des Lebens auf Gesetzmäßigkeiten der Natur zurück. Da geht es um natürliche Ursachen für beschreibbare Phänomene: Lebewesen verändern sich nämlich. Geschwister aus einer Familie sind unterschiedlich und deren Kinder sind wieder unterschiedlich. Und wir kennen Evolutionsfaktoren, die zu dieser Unterschiedlichkeit beitragen: Selektions- und neutrale Evolutionsprozesse. Da ist Mutation, genetische Trift und Artbildung im Spiel.

Diese Prozesse - wir beobachten das im Labor - führen zur Bildung neuer Varietäten, neuer Arten, ja - ich würde sogar so weit gehen - zur Bildung neuer Gattungen. Das gehört zu den großartigen Erfolgen der Biologie, diese Faktoren der Evolution aufgeklärt zu haben. Mikroevolution ist die Veränderung bestehender biologischer Information.

Lebewesen sind auch Informationsspeicher von einer unglaublichen Komplexität. Und diese Information kann verändert werden - aber auf einer Ebene der Komplexität. Im Laboratorium können wir das dingfest machen. Die Fähigkeit, sich so zu ändern, ist ein grundlegendes Kennzeichen des Lebens.

Etwas ganz anderes ist, was wir unter Makroevolution verstehen. Das ist die Entstehung neuer Baupläne. Da geht es immer um eine Zunahme von genetischer Komplexität oder die Entstehung neuer biologischer Information. Die Mikroevolution spielt sich gewissermaßen auf horizontaler Ebene ab: Auf einer Ebene der Komplexität wird Information variiert. Makroevolution hingegen ist vertikal. Das ist - wie ein Kollege einmal gesagt hat - der Weg von der Amöbe zu Goethe.

Nun ist aber Makroevolution noch niemals empirisch nachgewiesen worden. Kein Biologe hat jemals im Labor einen makrobiologischen Vorgang beobachtet. Und keiner hat gezeigt, daß er theoretisch möglich sein könnte, wenn man lange Zeit hat.

Außerdem hat sich Makroevolution in der Vergangenheit abgespielt. Niemand von uns war dabei. Die empirischen Naturwissenschaften aber spielen sich im Heute ab. Wenn ich in die Vergangenheit schaue, bin ich nicht mehr im sicheren Raum der Laborexperimente. Dann muß man vieles extrapolieren, Vermutungen hineinstecken. Man kann zwar versuchen, vergangene Prozesse von den heutigen her zu verstehen. Aber da besteht doch eine recht große Unsicherheit.

Nun liest man aber in den klassischen Evolutionsbüchern oder in den Zeitungen, daß lange, lange Zeit von der Mikro- zur Makroevolution führt. Also: Laßt den Affen sich eine Million Jahre fortpflanzen und variieren, dann kommt am Ende doch ein menschliches Gehirn heraus. Die Frage nun: Ist dies durch experimentelle Daten gedeckt? Ich gehe auf diese Frage in drei Beispielen ein:

Das erste stammt aus dem Bereich der Entstehung des Lebens: Woher kommt überhaupt die erste Zelle? Unsere Schüler in Deutschland lernen in einem bekannten Biologiebuch: “In früheren Zeiten nahm man an, daß Lebewesen auch aus toten Stoffen, durch Urzeugung" - also einen Zufallsprozeß - “entstehen könnten. Louis Pasteur wies 1882 durch Versuche unwiderleglich dar, daß sich gegenwärtig Lebendes nur aus Lebendem bildet." Wohlgemerkt: Heute gibt es diese Urzeugung nicht. Im Laboratorium ist noch nie Leben aus nicht Lebendigem entstanden - auch nicht durch die modernste Gentechnik. Es ist also einer der best belegten Sätze der Biologie: Leben entsteht aus Lebendem.

Dann fährt das Schulbuch fort: “Für die erstmalige Entstehung der Organismen auf dieser Erde gilt diese Aussage nicht." Eine bemerkenswerte Formulierung: Einer der am besten belegten Sätze der Biologie soll plötzlich außer Kraft gesetzt sein bei der Urzeugung? Interessant: Es kann sein, daß es stimmt, nur: Wenn man so etwas behauptet, müßte man gute Gründe dafür haben. Hat man sie?

Ohne ins Detail zu gehen, kann ich nur so viel sagen: Auch die allerprimitivste, denkbare Urzelle muß als hochkomplexe Struktur von informationtragenden Makromolekülen gedacht werden, ja sie ist komplexer als das, was wir zur Zeit denken können. (...)

Es gab nun viele Experimente, um die Entstehung des Lebens in “Ursuppen", also aus Unbelebtem, vor vier oder fünf Milliarden Jahren zu erklären. (...) In den letzten 50 Jahren haben Hunderte Wissenschaftler in vielen Tausenden von Experimenten Uratmosphären simuliert. Dabei gelang es, Aminosäuren und Nukleobasen zu erzeugen. Aber alle anderen Bausteine des Lebens - und es sind sehr viele - sind nie in einem realistischen Experiment aufgetaucht. Der Stand der Wissenschaft ist also nach wie vor: Wie das Leben entstanden ist, wissen wir nicht. Der Ursprung des Lebens ist unbekannt.

Zweites Problem: Wie entstehen komplexe Lebewesen aus einfachen Formen? Wenn wir in der Erdgeschichte zurückgehen, finden wir vor 3,8 Milliarden Jahren Einzeller, die mikroskopisch gesehen perfekt sind - wie die heutigen auch. Und wir wissen nicht, woher sie kommen. Sie erscheinen - soweit sich das nachvollziehen läßt - ohne Vorfahren. Über den Großteil der Erdgeschichte gab es nur Einzeller.

Mit dem Kambrium, vor 540 Millionen Jahren kommt es dann zur Explosion des Lebens. Praktisch gleichzeitig tauchen im fossilen Bericht sämtliche Tierstämme (alle, die heute existieren und 20, die ausgestorben sind) auf - ohne daß es die geringste Idee gibt, woher sie kommen, auf welche primitiven Vorfahren sie zurückgehen sollen. Die komplexe Tierwelt erscheint somit plötzlich, ohne Übergangsglieder.

Obgleich wir immer mehr Fossilien finden, wurden keine Zwischenformen entdeckt. Alle großen Säugetiergruppen werden in den Abstammungsdarstellungen nur durch vermutete Linien verbunden. Die Entstehung der Großgruppen der Lebewesen ist sowohl paläontologisch, wie genetisch unbekannt.

Der dritte Bereich der Evolutionsbiologie, der große Probleme bereitet, ist die Entstehung komplexer Strukturen. Das läßt sich am Beispiel der Darmbakterien -nur zwei Millionstel Meter lang - illustrieren. Sie können sich fortbewegen mittels eines Propellers. Er ist fünfmal so lang wie die Zelle selbst und wird von einem System angetrieben, das man als “Motor" bezeichnen kann. Diesen Motor kennen wir in seinen molekularen Strukturen. Die Zelle kann sich mit großer Geschwindigkeit fortbewegen: 25 Körperlängen pro Sekunde. Auf die Autolänge übersetzt ergibt eines ein Tempo von 400 Km/h. Und das Beachtliche: Der Motor baut sich von selber zusammen. Insgesamt besteht der “Motor" aus geschätzten 40.000 Einzelteilen. Die Teile ordnen sich, wie von Geisterhand, jeweils an die richtige Stelle. Ich kenne jedenfalls keinen Motor, der sich von selbst herstellt.

Wenn man dieses Phänomen betrachtet, kann man es von zwei Ebenen aus tun. Die erste ist die molekularbiologische, biophysikalische. Sie geht der Frage nach: Wie funktioniert das Ganze? Nach welchen Gesetzmäßigkeiten? Vieles davon verstehen wir.

Dann aber gibt es eine zweite Ebene der Betrachtung. Und sie ist das blanke Staunen, wenn ich diese Struktur näher betrachte. Das ist ein Wunder! Das haben auch viele Evolutionsbiologen so geäußert. Und wenn ich Christ bin, dann staune ich über die Schöpfung Gottes.

Als Christ staune ich über den Schöpfer, der so etwas möglich macht und der mir den Verstand gibt, so etwas zu verstehen. Und je mehr ich als Naturwissenschaftler - das ist mein Job - verstehe, desto mehr staune ich über den Unbegreiflichen, der das auf eine geheimnisvolle Weise, die ich nicht verstehen kann, geschaffen hat.

Diese Motoren sind unverkürzbar komplex. Man kann nicht Einzelteile herausnehmen, ohne daß man ihre Funktion zerstört. Die Herausforderung der Evolutionsbiologie besteht darin zu verstehen, wie eine solche nicht reduzierbare komplexe Struktur entsteht. Meines Erachtens nach ein bisher nicht gelöstes Problem - und ich kenne die Literatur.

Ich gehe sogar einen Schritt weiter und sage: Der Ursprung komplexer Strukturen - ob sie jetzt bei Mikroorganismen, Pflanzen, Säugetieren oder Menschen vorkommen, ob es die molekularen Maschinen in unseren Zellen, ob es Augen oder Herzen sind - ist allgemein unbekannt. Das ist der Stand der Wissenschaft.

Die Argumente, die ich hier gegen Makroevolution angeführt habe, sind allerdings kein Beweis gegen Evolution. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es im Bereich der angeführten Probleme zu bahnbrechenden Entdeckungen kommt. Offengestanden: Ich glaube das nicht, weil das eigentliche Problem das der Entstehung von Information, also einer geistigen Größe ist. Aber als Wissenschaftler kann ich festhalten, daß wir derzeit wesentliche Dinge nicht wissen.

Damit ist der Schöpfungsglaube allerdings noch nicht bewiesen. Was wäre das auch für ein Gott, den ich im Reagenzglas empirisch beweisen kann!

Der Autor ist Professor für Mikrobiologie an der Technischen Universität München.

Der Beitrag ist ein redaktionell bearbeiteter Auszug aus seinem Vortrag beim “Dies Academicus" in Heiligenkreuz am 18. Jänner 2007 zum Thema “Göttliche Schöpfung oder selbstorganisierte Materie".

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