VISION 20002/2007
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Wir haben Seine Herrlichkeit gesehen

Artikel drucken Es ist wider die Vernunft, an die schöpferische Kraft des Nichts zu glauben (Von P. Karl Wallner OCist)

Als Zufallsprodukt, als “Zigeuner am Rand des Universums" (Jacques Monod, Nobelpreisträger): So sieht die gottlose Naturwissenschaft den Menschen. Das sei unvernünftig, argumentiert der Autor im folgenden Beitrag.

Das Christentum zeichnet sich dadurch aus, daß es eine unglaublich hohe Sicht vom Menschen hat: Der Mensch ist für uns nicht nur Ebenbild Gottes, sondern “Ort" der Anwesenheit des Göttlichen in dieser Welt. Denn an einem Punkt unserer Menschheitsgeschichte wollte der unendliche Gott in der Gestalt eines Menschen erscheinen: “Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit!" (Joh 1,14).

Der Evangelist Johannes drückt in seinem Prolog das Urmysterium des Christentums so aus, daß derselbe Gott, der am Anfang die geistige und materielle Welt - “Himmel und Erde" - durch sein Wort erschaffen hat, sich selbst nun als ein Mensch ausspricht: In Jesus Christus spricht Gott nicht nur durch Menschen - wie etwa im Alten Testament durch die Propheten - zu uns, sondern als Mensch.

Die “Herrlichkeit", die wir in Christus schauen, das ist sicher zunächst einmal die Erhabenheit und Größe Gottes. Gott, der Schöpfer aller Dinge, ist so unfaßlich und erhaben, daß das Alte Testament fest davon überzeugt war, daß jeder, der Gott sieht, sterben muß. Moses verhüllt daher auf dem Berg Sinai seine Augen, wenn er mit Gott spricht; und als er vom Berg heruntersteigt, gehen “Strahlen" von seinem Antlitz aus. Irrtümlich übersetzt man dann “Strahlen" mit “Hörnern", sodaß Mose folglich immer mit zwei Hörnern dargestellt wird.

Gottes Herrlichkeit ist ehrfurchtgebietend, staunenswert und unaufrechenbar. Ich glaube, wir müssen uns heute zuallererst wieder das Staunen über die herrliche Erhabenheit Gottes rückerobern... Ist es nicht so, daß sich Gott gerade deshalb klein und endlich macht, damit wir Seine wahre Größe und Unendlichkeit bestaunen können? Und nehmen wir Gott nicht ein bißchen zu wenig herrlich, zu wenig erhaben, zu wenig staunenswert?

Mir hilft da immer auch ein Blick in die Welt der Naturwissenschaften, wo ich zwar ahnungslos bin, aber trotzdem viele Anregungen und Herausforderungen für meinen Glauben finde. So fasziniert mich das Computerprogramm “Google-Earth": In Sekundenschnelle kann ich mir - bei einem entsprechend starken Server - jeden Ort der Erde aus der Vogelperspektive anschauen. So kann ich etwa die weitest entfernten Reiseziele vom Schreibtisch aus bequem nachvollziehen: blitzschnell schaue ich auf die Kathedrale von Aba in Nigeria, gleich danach auf die Everglades in Florida... Beim Herumzappen über den Globus entsteht leicht der Eindruck einer traurigen Enge: So klein ist also der Planet, auf dem ich lebe...

Es ist noch gar nicht so lange her, daß wir Menschen von der winzigen Dimension unserer Erde wissen: Da gab es zunächst im 17. Jahrhundert die Entdeckung, daß die Erde gar nicht im Mittelpunkt des Kosmos ist. Dann haben Astronomie und Physik Schlag auf Schlag nachgewiesen, daß die Erde eine Randerscheinung im Universum ist: ein Planet von insgesamt neun, die um die Sonne kreisen. Diese wiederum nur ein Stern von ca. 100 Milliarden Sonnen, die sich in unserer Galaxie, der “Milchstraße", befinden. Der nächste Stern in unserer Galaxie namens “Proxima Centauri" ist 4,3 Lichtjahre von uns entfernt, rund 41 Billionen Kilometer...

Schon in unserer Galaxie ist das Sonnensystem nur ein Pünktchen, und unsere Galaxie ist nur eine von mindestens 50 Milliarden unterschiedlichster Größe. In diesen wahrhaft “astronomischen" Dimensionen leuchten uns Proportionen auf, die den blauen Planeten Erde als unbedeutenden Winzling verblassen lassen. Wenn ich mit solchen Überlegungen durch “Google-Earth" und die entsprechenden Artikel bei “Wikipedia" schmöckere, befällt mich leicht eine gewisse Melancholie. Wohl deshalb, weil in der Vogelperspektive auch ich selbst, der Mensch, zum “Winzling" werde, zum “Fast-Null-und-Nichts".

Dazu kommt noch die Versuchung durch eine materialistische Weltsicht, etwa der des populären kämpferischen britischen Atheisten Richard Dawkins. Dieser erklärt, sowohl die Entstehung des so komplexen Lebens als auch die Entwicklung des Menschen sei nichts anderes als das willkürliche Produkt eines blinden Zufalls! Soll man da nicht depressiv werden, wenn einem weisgemacht wird, daß hinter meinem Ich, also hinter dieser ohnehin nur fragilen und kurzen Existenz im Universum, nichts als Zufall steht? Nach Dawkins gibt es keinen Gott und aller Glaube ist Unfug. Unser eigentlicher “Schöpfer" sei nichts anderes als das “egoistische Gen" (The selfish Gene, 1976); der Mensch gehe aus einem unbewußten und sich selbst steuernden Prozeß der genetischen Höherentwicklung hervor.

Dawkins hält mittlerweile den Glauben an Gott nicht nur für Humbug, sondern auch für gefährlich. In letzter Zeit hat er begonnen, die Religiosität polemisch zu bekämpfen. In seinem Buch Der Gotteswahn sagt Dawkins den Religionen den Kampf an, da sie an allem Übel der Welt schuld seien... Egal ob Christen, Moslems oder sonstige Glaubensformen, alle liefen nur Illusionen und Märchen hinterher, die Dawkins für gefährlich hält, weil sie zum Fanatismus führten. Wenn er den Slogan ausgibt: “Imagine no religion!" (“Stell dir vor, wie schön die Welt ohne Religion wäre!"), dann erinnert er an Voltaires Kampfparole, die mittelbar zur Christenverfolgung der Französischen Revolution geführt hat: “Ecrasez l'infame!" “Rottet die infame Kirche aus!"

Ich meine, daß solche kämpferische Atheisten nicht nur an kultureller und historischer Gedächtnisstörung leiden: Wo wäre unser heutiger Begriff von der Würde jedes Menschen, unsere Überzeugungen vom heiligen Wert menschlichen Lebens, von der Gleichberechtigung von Mann und Frau ohne Christentum? Gäbe es ohne Christentum so selbstverständliche Werte wie allgemeines Bildungs- und Krankenwesen? Sind nicht alle humanitären Werte dem christlichen Menschenbild entsprungen? Antireligiöser Fanatismus und atheistisches Agitieren ist in sich gefährlich!

Gibt uns die jüngere Geschichte nicht den Beweis, daß der Atheismus den Menschen immer so klein macht, daß er sich dann offensichtlich als eine brutale animalische Bestie gebärden muß, die in Rassenwahn und Machtlüsternheit die Welt mit Holocaust und Krieg überzieht? Hat nicht das 20. Jahrhundert den Beweis geliefert, wie niedrig der Mensch sich verhalten kann, wenn ihm der letzte Grund, die letzte Verantwortlichkeit seines Lebens ausgeredet wird?

Die Vogelperspektive von Google-Earth kann traurig machen, weil sie die Selbstentwertung des Menschen in den Sinn ruft, in die viele Menschen durch ein falsches naturwissenschaftliches Weltbild geraten sind. Und wir müssen uns auch bewußt sein, daß viele Menschen diese vulgäre Sicht, wie sie oft als wissenschaftlich suggeriert wird, teilen. Was für ein mieses Menschenbild, wo der Mensch nichts anderes ist als eine originelle Materiestruktur von Aminosäuren, die sich selbst zum Phänomen “Leben" hochorganisiert haben!

Und dazu kommt noch, daß der arme Mensch - im Unterschied zu den anderen Lebensformen - auch noch seine Misere erkennen und reflektieren muß: Da existiere ich also auf meinem kleinen blauen Planeten in einem kleinen Sonnensystem am Rand einer mittelmäßig großen Galaxie unter Abermilliarden anderer Galaxien herum, und dann - weil ich mit einem genetischen Ablaufdatum versehen bin - versinke ich nach einigen Jahrzehnten unweigerlich ins Nichts!

Wenn das alles wahr wäre, hätte ich wirklich Grund, traurig zu sein, denn dann bin ich tatsächlich ein Nichts, mutterseelenallein, ausgesetzt in den Weiten des Weltalls. Vor allem hätte mein Leben dann keinen größeren, keinen letzten Sinn. Und wenn meinem Leben das letzte Ziel fehlt, müßte ich mich konsequenterweise in die kleine kleine Sinnfindung stürzen, um nicht vollends zu verzweifeln: in die Gier nach dem, was mich von Augenblick zu Augenblick trägt - aber eben nicht weiter.

Das ist die Lebensart, die Paulus den Korinthern vorhält: “Dann laßt und essen und trinken, denn morgen sind wir tot!" (1 Kor 15,32).

Aber, Gott sei Dank, haben ja Dawkins, de La Mettrie, Monod und wie all seine eifrigen Vorgänger und Nachfolger heißen mögen, nicht das letzte Wort. Dieses letzte Wort sprechen vielmehr Vernunft und Offenbarung: “Fides et Ratio". Schon die Vernunft sagt mir - sie wird dann nochmals durch die Offenbarung gestützt -, daß das Universum kein Produkt des Zufalls ist. Der Uhrmacher ist nicht blind, sondern göttlich. Und er hat mir ein Instrument gegeben, das zu erkennen: die Vernunft.

Der unschlagbarste Gottesbeweis ist ja doch, wenn man sich in die Wange zwickt und sich plötzlich bewußt wird: “Ich bin!" Diese einfachste aller Ich-Erfahrungen ist sicher keine Einbildung und keine Illusion, sondern eine Tatsache: “Ich bin! Ich existiere!"

Und darin dämmert am Horizont schon die Antwort auf die entscheidende Frage: Warum bin ich? Woher komme ich? Woher kommt die Welt? Die einzig vernünftige Antwort lautet in österreichischer Formulierung: “Von nix kommt nix!" Der Big Bang, der Urknall vor ca. 15 Milliarden Jahren kann sich nicht selbst “geurknallt" haben. Wenn etwas ist, dann muß es etwas geben, das es verursacht hat. Ein Etwas kann sich zwar verändern, aber es kann sich nicht hervorbringen.

Papst Benedikt XVI. kämpft derzeit den großen Geisteskampf mit der Vernunft für die Vernunft. Schon Thomas von Aquin hat gesagt: “Was immer wider die Vernunft ist, das ist wider des Menschen Natur" (Summa theologiae III,60,1). Und es ist eindeutig wider die Natur des Menschen, an die schöpferische Produktivität eines absoluten Nichts zu glauben. Das ist nicht Wissenschaft, sondern Aberglaube.

Daß Gott alles geschaffen hat, das sagt Er uns kraft der Vernunft. Daß Er alles gut geschaffen hat, das sagt Er uns in Seiner Offenbarung. Und daß Er uns Menschen liebt, das sagt Er uns persönlich, indem Er Mensch wird. Die Perspektive aus den Weiten des Alls ist natürlich nicht die Perspektive Gottes, denn Er umfaßt das Universum ja nicht bloß physikalisch, sondern übersteigt und unterfaßt es. Der Google-Earth-Blickpunkt aber, der Blick von außen auf unseren Planeten und auf unsere Winzigkeit kann uns aber lehren, wie groß die Fallhöhe der Liebe Gottes ist!

Ja, natürlich: wir Menschen sind endlich! Ja, natürlich: die Biogenetik kann uns beschreiben als eine genetische Sequenz von Aminosäuren. Sie demütigt uns dadurch nicht, denn je kleiner wir uns im Ganzen des Geschaffenen wissen, desto größer leuchtet uns das Mysterium der Zuneigung Gottes auf. Je wertloser wir in einer materialistischen Sicht uns selbst erfahren, desto faszinierender strahlt uns die Herrlichkeit des christlichen Menschenbildes entgegen!

“Wir haben seine Herrlichkeit geschaut!" Ja, in Christus schauen wir nicht nur die Herrlichkeit Gottes, sondern auch die Herrlichkeit von uns Menschen. Wir Winzlinge sind nicht nur Gottes Ebenbild, sondern auch Seine große Liebe. Wir Ausgesetzten am Rand der Galaxien sind es dem unausdenklichen Schöpfer wert, daß Er einer von uns wird, daß Er in unserer Geschichte “Mensch" wird. Verstehen Sie jetzt, warum mich Google-Earth nicht nur staunen läßt, sondern auch meinen Glauben erfreut?

Im unausdenklichen Seinssprung, den Gott in der Menschwerdung gewagt hat, erblicke ich die Herrlichkeit Seiner Liebe und die Herrlichkeit des Wertes, den Er mir zugedacht hat. “Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen: Gnade über Gnade" (Joh 1,16)

Der Autor ist Rektor der Päpstlichen Hochschule in Heiligenkreuz.

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