VISION 20006/2023
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Verkünden, dass jeder Mensch kostbar ist, wirklich jeder

Artikel drucken Botschaft für eine Welt, in der die Menschrechte untergraben werden (Christof Gaspari)

Du bist toll, du bist super – das sagt man schon mal zu jemandem, der einen beeindruckt. Aber, du bist wertvoll, ja, du bist kostbar – das kommt einem kaum über die Lippen. Und selbst wenn: Dann spricht man das eventuell einer Person zu, die einem besonders nahesteht. Vielleicht einem Kind bei einer besonderen Gelegenheit oder dem Ehepartner. Aber als allgemeine Feststellung? Kann man Menschen wirklich zusprechen, dass sie kostbar sind?

Wer herausfinden will, wie seine ehrliche Antwort auf diese Frage tatsächlich ist, hat derzeit die Möglichkeit, dies anhand des aktuellen Geschehens zu tun. Stellen Sie sich, liebe Leser, die Frage: Wie lautet Ihre Antwort, wenn sich die Feststellung „kostbar“ auf die Hamas-Attentäter beziehen soll, die auf unsagbar brutale Weise in Israel Frauen und Kinder gequält und ermordet haben? Kostbar? Ohne lange zu überlegen, fällt die Antwort bei fast jedem, der nicht ein eingefleischter Muslim ist, negativ aus. Was soll an solchen Menschen kostbar sein? So lautet wohl die ärgerliche, wenn nicht feindlich geäußerte Gegenfrage.
Und man kann diese Reaktion verstehen. Denn rein weltlich betrachtet, disqualifizieren sich die Attentäter und jene, die diese Gräuel außerdem noch filmen und ins Internet stellen, total durch den menschenverachtenden Hass, den sie an den Tag legen. Und sie lösen damit weiteren Hass aus – auf der Seite der Angegriffenen, der Leidtragenden. Wer den Gesichtsausdruck des israelischen Ministerpräsidenten gesehen hat, als er Israels Vergeltungsmaßnahmen an­kündigte, weiß, wovon ich rede. Dementsprechend fiel die Vergeltung ja auch aus, wie wir via Fernsehen miterleben konnten.
Da nützt kein Reden von Menschenrechten. Sie bleiben wirkungslos. Bei Handlungen, wie wir sie im Nahen Osten jetzt erleben, wird der Gegner zu einem Menschen ohne Antlitz, wird seine Menschenwürde mit Füßen getreten.
Haben also die Attentäter ihre Kostbarkeit tatsächlich eingebüßt? Wie gesagt: Aus menschlicher Sicht haben sie ihre Würde verspielt. Aber aus der Sicht Gottes? Wie ist da die Antwort? Immerhin glauben wir Christen, dass kein Mensch ohne den Willen Gottes zur Welt kommt. Und dass Gott mit jedem einen Plan, sogar einen heilsträchtigen Plan hat. Denn Gott will, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“.
Das sagt uns der Apostel Paulus (1Tim 2,4). Und er muss ein gutes Gespür für Gottes Sichtweise gehabt haben, war er doch auch ein gegen Christen hasserfüllter Fanatiker mit Blut an den Händen. Aus Paulus’ Worten können wir somit schließen, dass in den Augen Gottes jeder Mensch ein kostbares Geschenk an seine Mitmenschen ist.
Es gibt Ausnahmeerscheinungen, die es schaffen, diese Kostbarkeit auch im ärgsten Feind zu entdecken. Bekannt geworden sind die Worte von Christian de Chergé, dem Abt eines Klosters in Algerien, aus dem während des algerischen Bürgerkriegs sieben Mönche entführt und umgebracht wurden. In seinem Testament erwähnt er auch seinen Mörder als „Freund meines letzten Augenblicks“. Ihm wünscht er, „dass es uns geschenkt sei, als glückliche Schächer im Paradies wieder aufeinander zu treffen, wenn es Gott, dem Vater von uns beiden gefällt…“
Ein starkes Zeugnis für eine Zeit, die Abschied von Gott genommen hat. Ihr fehlt ja der einzige Bezugspunkt, von dem her wir uns ermutigen lassen könnten, das Kostbare im Mitmenschen zu entdecken und zu heben. In der rein vom Menschen gemachten Welt der Ökonomie, Soziologie oder Politikwissenschaften verliert der einzelne Mensch nämlich seine Einmaligkeit und wird zum Rädchen in der gesellschaftlichen Maschinerie, die es zu optimieren gilt.
Diese ist einerseits enorm leis­tungsfähig: Der materielle Wohlstand stieg erheblich an, die Gesundheitsversorgung erreichte ein bisher unbekannt hohes Niveau, die Menschen leben nun länger und das Bildungswesen erlebte einen Höhenflug. So wertvoll diese Errungenschaften, die heute vielen zugute kommen, auch sind, sie haben einen gravierenden Schönheitsfehler: Sie degradierten den Menschen zum – zwar gut geölten – Rädchen im Getriebe. Das Maß seiner Nützlichkeit bestimmt seinen Wert. Da ist von Kostbarkeit keine Rede.
Wir haben es bei der Abtreibung erlebt: Innerhalb weniger Jahre hat die Welt den unschuldigen Kindern im Mutterleib das Lebensrecht entzogen. Diese kostbaren kleinen Menschenkinder werden seit Jahrzehnten –zig millionenfach im Jahr umgebracht. Ja, die Tötung wird zum Recht: In Ohio hat kürzlich eine Volksabstimmung ergeben, dass diese Kleinen bis zur Geburt getötet werden dürfen – in den Augen Gottes Seine kostbaren Kinder! Da helfen keine Menschenrechte. Die Kostbarkeit des Menschen ist tiefer verankert als in den Menschenrechten, die auf weltlicher Vereinbarung beruhen, die eben jederzeit widerrufen werden kann.
Wieder einmal stehen wir vor derselben Herausforderung: Wenn die menschliche Würde wiederhergestellt werden soll, müssen wir zu ihrem Ursprung zurückfinden, zur Botschaft Jesu Christi, der uns offenbart hat, wie sehr Gott den Menschen liebt und dass in den Augen Gottes jeder Mensch kostbar – weil von Gott ins Leben gerufen – ist. Es liegt an uns Christen, diese fundamentale Wahrheit zu verkünden.
Wie das geht? Indem wir uns zunächst einmal darüber klar werden, dass wir selbst von Gott geliebt sind, dass unser Name in Seine Hände geschrieben ist, dass Er jeden unserer Schritte begleitet und eigentlich lenken möchte, weil wir kostbar sind. Das wäre gewissermaßen die ers­te Übung, die uns aufgetragen ist. Machen Sie sich bewusst, liebe Leser: Gott hat Sie beim Namen gerufen.
Und dann gilt es aber auch, anderen zu dieser Erfahrung zu verhelfen. Und das geschieht im allgemeinen nicht durch kluge Rede, sondern am besten durch die Art, wie wir anderen begegnen. Es erfordert die Überzeugung, dass tatsächlich jeder, der uns begegnet, in den Augen Gottes kostbar ist, so wertvoll, das Jesus Christus für ihn Sein Leben eingesetzt hat. In Zeiten vieler flüchtiger, oberflächlicher Begegnungen ist das nicht leicht zu vermitteln. Aber selbst diese könnte man als ersten Schritt nutzen.
Kürzlich habe ich eine Meldung gelesen, die ich in diesem Zusammenhang als Anregung weitergeben möchte: Der Stadtrat der schwedischen Stadt Luleå hat eine Kampagne gestartet, mit der die Bewohner dazu ermuntert werden sollen, einander zu grüßen. Auf veröffentlichten Videos sieht man, wie sich die Mienen der Passanten erhellen, wenn man sie grüßt. Das wird nicht bei jedem Passanten der Fall sein, wohl aber bei vielen. Eine Kleinigkeit, aber der Gruß hebt das Gegenüber aus der Anonymität heraus. Der Mensch fühlt sich als Person wahrgenommen und wertgeschätzt.
Den Mitmenschen erfahren lassen, dass wir ihn wertschätzen, sollte zum Schlüssel für unsere Beziehungen werden: Statt Mail-Austausch auch mal Telefonieren, statt Telefonieren auch mal persönliche Treffen vereinbaren, sich Zeit für Gespräche nehmen, zuhören, sich für das Gesagte interessieren… Nichts Weltbewegendes, aber Ansätze, die einen Raum eröffnen, in dem Wertschätzung vermittelt und erlebt werden kann, ein Nährboden für die Erfahrung: Du bist kostbar!
Wenn ich das so hinschreibe, wird mir bewusst, wie sehr ich selbst solche Bemühungen vernachlässige. Aber das ist ja das Wunderbare an unserem Glaubensleben: Wir haben stets die Möglichkeit, neu anzufangen – und der Heilige Geist wird das Angesicht der Erde erneuern.


Ich habe dich beim Namen gerufen

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir. Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt, keine Flamme wird dich verbrennen. Denn ich, der Herr dein Gott, ich, der Heilige Israels, bin dein Retter.
(Jes 42,1-3)

Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn se ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände, deine Mauern habe ich immer vor Augen.“ (Jes 49,15f)

Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Von fern erkennst du meine Gedanken. Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; du bist vertraut mit all meinen Wegen. Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge – du, Herr, kennst es bereits. Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich. Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen, / zu hoch, ich kann es nicht begreifen. (Ps 139 1-6,13-16)

Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht. (Mt 11,28-30)

Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. (Joh 15,13f)


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