VISION 20006/2023
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Die Liebe erträgt alles

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Die Aufzählung wird vollendet mit vier Worten, die von einer Gesamtheit sprechen: „alles“. „ Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand“ (1 Kor 13,7). Auf diese Weise wird noch einmal mit Nachdruck die gegen die Kulturströmung laufende Dynamik der Liebe hervorgehoben, die fähig ist, allem die Stirn zu bieten, was sie bedrohen mag.
An erster Stelle heißt es, dass sie „alles erträgt und entschuldigt“ (pánta stégei). Das unterscheidet sich von „trägt das Böse nicht nach“, denn dieser Ausdruck bezieht sich auch auf den Gebrauch der Sprache. Er kann bedeuten „Schweigen zu bewahren“ über das Schlechte, das der andere Mensch an sich haben mag.
Es schließt ein, das Urteilen einzuschränken, die Neigung zu zügeln, eine harte und schonungslose Verurteilung auszustoßen: „Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden“ (Lk 6,36b). Auch wenn es gegen unseren gewohnten Gebrauch der Zunge gehen sollte, verlangt das Wort Gottes von uns: „Verleumdet einander nicht, Brüder!“ (Jak 4,11).
Sich damit aufzuhalten, das Bild des anderen zu schädigen, ist eine Methode, das eigene aufzubessern und Groll und Neid abzureagieren, ohne sich um den Schaden zu kümmern, den man verursacht.
Oftmals wird vergessen, dass die Diffamierung eine schwere Sünde sein kann, eine ernste Beleidigung Gottes, wenn sie den guten Ruf der anderen ernstlich verletzt und ihnen Schäden zufügt, die sehr schwer wieder gut zu machen sind. Darum ist das Wort Gottes so streng mit der Zunge und sagt, dass sie „eine Welt voll Ungerechtigkeit“ ist, die „den ganzen Menschen verdirbt“ (Jak 3,6), „dieses ruhelose Übel, voll von tödlichem Gift“ (Jak 3,8).„Mit ihr verfluchen wir die Menschen, die als Abbild Gottes erschaffen sind“ (Jak 3,9), die Liebe dagegen hütet das Bild der anderen mit einem Feingefühl, das so weit geht, auch den guten Ruf der Feinde zu schützen. (…)
Die Ehegatten, die sich lieben und einander gehören, sprechen gut voneinander, versuchen, die gute Seite des Ehepartners zu zeigen, jenseits seiner Schwächen und Fehler. In jedem Fall bewahren sie das Schweigen, um sein Bild nicht zu schädigen.
Das ist aber nicht nur ein äußeres Handeln, ohne dass sie einer inneren Haltung entspringt. Ebenso wenig ist es die Naivität dessen, der die Schwierigkeiten und Schwachpunkte des anderen nicht sehen will, sondern es ist der Weitblick dessen, der diese Schwächen und Fehler in ihren Zusammenhang stellt.
Er erinnert sich, dass diese Mängel nur ein Teil und nicht das Ganze des Wesens des anderen sind. Ein unliebsamer Tatbestand in der Beziehung ist nicht die Gesamtheit dieser Beziehung.
Man kann also schlicht und einfach hinnehmen, dass wir alle eine vielschichtige Kombination aus Licht und Schatten sind. Der andere ist nicht nur das, was mir lästig ist. Er ist viel mehr als das. Aus demselben Grund verlange ich nicht von ihm, dass seine Liebe vollkommen sein muss, damit ich ihn wertschätze.
Er liebt mich, wie er ist und wie er kann, mit seinen Grenzen, doch, dass seine Liebe unvollkommen ist, bedeutet nicht, dass sie geheuchelt oder nicht echt ist. Sie ist echt, aber begrenzt und irdisch. (…) Die Liebe lebt mit der Unvollkommenheit, mit dem Entschuldigungsgrund zusammen und weiß angesichts der Grenzen der geliebten Person das Schweigen zu wahren.

Auszug aus Amoris Laetitia 111-113 v. 19.3.16

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