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Das Gute im anderen entdecken

Artikel drucken „Offenes Herz“ – eine Initiative, die jungen Erwachsenen Wege zum Mitmenschen öffnet (Samuel Lebisch)

„In Österreich verwenden wir Euros, in Argentinien Pesos. Derzeit ist 1€ umgerechnet 1.090 Pesos. Doch der Wert einer Person ist dort der gleiche wie hier,“ schreibt der Autor des folgenden Beitrags. Er verbrachte ein Jahr in Argentinien mit „Offenes Herz“, einer Organisation, die jungen Leuten die Gelegenheit bietet, in Ge­mein­schaft zu leben und Hilfs­bedürftigen beizustehen. Die Erfahrung hat seinen Blick verändert.

 

   
Josef mit Kindern  

Ich bin 22 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Wien. Nach der Schule habe ich meinen Zivildienst mit „Offenes Herz“ in Argentinien gemacht. Seit Anfang Oktober 2023 bin ich wieder zu Hause, zurück aus einem Land mit einer vollkommen anderen Kultur und mit Jesus an meiner Seite.
Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Bei einem Informationsabend, in der Wohnung von „Offenes Herz“, gab Rosa Zeugnis von ihren Erfahrungen von 18 Monaten Freiwilligendienst in El Salvador. Dabei blieb mir eine Geschichte besonders in Erinnerung, die von einer alten Dame. Sie wohnt in einem Haus, das selbst für das bescheidene Viertel, in dem Rosa ihre Mission lebte, sehr schmutzig und heruntergekommen war.
Anfangs wollte diese Dame nichts wissen von den Freiwilligen, die sie regelmäßig besuchen kamen. Sie sprach wenig und bei den Begegnungen zeigte sie kein Zeichen von Interesse oder Dankbarkeit. Es war offensichtlich, dass diese Frau viel in ihrem Leben gelitten hatte. Doch davon ließen sich die Diener Gottes nicht aufhalten. Regelmäßig kamen die Volontäre von „Offenes Herz“ vorbei, um nach ihr zu sehen und bei ihr zu sein. Und so geschah es eines Tages, dass diese alte, verbitterte Dame bei einem Besuch zum ersten Mal lächelte.

 

Info „Offenes Herz“

  

 „Offenes Herz“ ist ein katholischer Freiwilligendienst für junge Erwachsene, die Freundschaft schenken und da sein möchten für einsame sowie leidende Menschen,die versuchen im Glauben zu wachsen durch Mission, die aus dem Gebet schöpft,
die im geschwisterlichen Zusammenleben mit 4-5 Freiwilligen verschiedener Nationalitäten in Gemeinschaft leben wollen.
Offenes Herz gilt als anerkannter Zivildienst.
Kennenlern-Wochenende: siehe hier unten. Genauere Infos:
www.offenesherz.org
Facebook/Instagram:
@Offenes Herz Österreich
Mail: offenesherz.at@gmail.com
Tel: +43 676 422 4696

Mich bewegte diese Geschichte unheimlich stark. Sie haben diese verletzte Person so geliebt, wie sie war, mit allen Ecken und   Kanten. Dabei haben sie nicht die Hoffnung aufgegeben, als ihnen die kalte Schulter gezeigt wurde. Das Resultat: ein einfaches Lächeln, das zeigt, wie wichtig es uns Menschen ist, geliebt zu sein. Es zeigt, dass die Liebe uns stärkt und glücklich macht und dass oft die Abweisung aus der Angst kommt, verletzt zu werden.

Dieses Zeugnis war der Samen, der in mein Herz fiel und das Verlangen weckte, auf Freiwilligendienst zu gehen, mit „Offenes Herz“. Letztes Jahr im September war es dann so weit. Ich saß im Flieger, Richtung Argentinien, um dort meine Mission im Namen Jesus zu starten. Ein neues Land, eine neue Kultur und eine Gemeinschaft, mit der ich das nächste Jahr verbringen werde. Ich war ganz schön gespannt auf das, was mich erwartet. Die Gemeinschaft ist eine Gruppe von Menschen verschiedenen Alters aus verschiedenen Ländern, doch was uns vereint, ist unser Glaube.
Unser Alltag ist durch Gebet strukturiert. Wir fangen an und beenden den Tag mit Gebet. Dies ist es, was uns die Kraft gibt, für die Menschen im Viertel da zu sein. Gemeinsam lebte ich mit ihnen in einem bescheidenen Haus im Elendsviertel von Buenos Aires. Die Nachbarschaft besteht aus Ziegelstein-Häusern und Wellblechdächern. Die Gegend hat einen schlechten Ruf. Ich hörte oft die Frage: „Was machst du denn dort?!“ oder: „Dort ist es ja richtig gefährlich!“ und: „Schau doch, dass du von dort wegkommst!“ Doch nach einem Jahr kann ich sagen, dass auch an diesem Ort Jesus präsent ist. Nämlich in den lächelnden Gesichtern und Gesten der Bewohner.
Ich wohnte mit anderen Missionaren im gleichen Haus. Es war dieses Leben der Gemeinschaft, das die Mission möglich gemacht hat. Die Gemeinschaft gibt Kraft: An Tagen, wo ich den Wecker einfach ausschalten und mich nochmal in die Decken wickeln wollte, stand ich dennoch auf für meine Gemeinschaft. Es sind auch diese Menschen, mit denen man so viel Zeit verbringt, welche einem helfen, den Wert unserer Mitmenschen zu erkennen.
Da gab es etwa eine Dame, Marta, die wir regelmäßig besuchten. Die Zeit mit ihr war manchmal sehr schwierig, denn sie fing oft an zu weinen und beschwerte sich, dass es ihr so schrecklich geht. Ich fühlte mich in diesen Momenten nicht wohl und wollte sie auch nicht weiter besuchen. Doch Sofia und Sofi, zwei der 3 Mädchen aus der Gemeinschaft, in der ich zu diesem Zeitpunkt lebte, erklärten mir, wie wichtig die Besuche für Marta seien. Sie wohne ganz allein, und so sei es für sie enorm wichtig, sich auszusprechen.
Also gab ich Marta doch nicht so schnell auf. Mit der Zeit konnte ich sehen, wie es Marta mit jedem Besuch ein wenig besser ging. Sie lächelte ab und zu und beim letzten Mal, als wir bei ihr zu Hause waren, weinte sie kein einziges Mal.
Das gemeinsame Leben half mir, den Wert in Martas Herz zu erkennen. Ich sah auch, wie unsere Gegenwart sie glücklich machte. Wie sie uns am Ende nicht mehr gehen lassen wollte. Dies gab mir auch Freude. So entwickelte sich zwischen uns eine Freundschaft, und als es an der Zeit war, Abschied von Marta zu nehmen, war dies ein trauriger, aber auch schöner Moment. Sie bedankte sich sehr für die gemeinsame Zeit, die wir miteinander verbracht hatten. Sie werde mich vermissen, sagte sie.
Nach einem Jahr bin ich wieder zu Hause und fühle eine große Veränderung. Ich sehe meine Mitmenschen um mich herum mit neuen Augen. Ich sehe den Wert, den eine Person in sich trägt. Wir sind nämlich alle von unserem Schöpfer gleich geliebt. Ich sehe, dass man nicht von seinem Leiden definiert wird, sondern von dem Guten, das man in seinem Herzen birgt. Die Mission hat mir stark geholfen, dieses Gute in den Herzen zu erkennen. Manchmal ist dieses nämlich schon ein wenig unter die Oberfläche gerutscht, wie ein Buch, das schon lange am Dachboden steht. Wenn wir anfangen, das Gute in anderen zu sehen, dann fangen mit der Zeit auch die Menschen an, es selbst zu erkennen. Denn in jedem von uns steckt Christus. Manchmal muss man ein wenig genauer schauen. Doch ich kann euch versichern: In 99,9% der Menschen ist Er zu finden.


„Wir versuchten, Jesus im Nächsten zu erkennen“

Ich bin 21 Jahre alt, wohne und arbeite in Fernitz und studiere in Graz an der Universität Geowissenschaften. Im Dezember 2022 bin ich von einem 14-monatigen Zivildienst mit „Offenes Herz“ aus El Salvador nach Hause gekommen. Im Gespräch mit den Verantwortlichen von „Offenes Herz“und mit Gott habe ich mich entschieden für dieses ferne Land in Mittelamerika, wo ich gebraucht werde. Von einer der vielen Begegnungen, besser gesagt: geschenkten Freundschaften, möchte ich erzählen.
Martha Silvia ist 62 Jahre alt hat Rückenprobleme und ist gelegentlich depressiv. Sie suchte von sich aus unser Haus auf, um mit jemandem reden zu können. Seitdem besuchten wir sie einmal in der Woche, spielten mit ihren Enkeln, redeten mit ihr, halfen ihr manchmal auch bei ihrer Arbeit. Sie war Schneiderin und verkaufte ihre Ware am großen Markt.
An ihrem Geburtstag luden wir sie zu uns ein, überraschten sie mit einem Kuchen, sie lachte und weinte mit uns. In meiner letzten Woche dort trafen wir sie einmal vor dem Markt und sie begleitete uns noch bis zu unserem Haus, wo wir noch gemeinsam Fotos anschauten und auch eine lange Zeit in Dankbarkeit vor dem Allerheiligsten in der Kapelle verbrachten.
Immer, wenn wir sie sahen, freute sie sich schon auf eine Umarmung. Darin wurde ihr Durst nach Liebe deutlich. Oft sagte sie uns auch, dass wir wie eine Familie für sie sind.
Zu den besonders Bedürftigen, zu denen, die nicht gehört werden, den Kindern, den Kleinsten und auch den Ältesten, den „Weggeworfenen“: genau zu diesen gingen wir oft – und öfter noch kamen sie zu uns. Unsere Haustüre stand den ganzen Tag offen, und nur ein Gitter hinderte alle einzutreten. So waren auch unsere Herzen und Augen stets bemüht möglichst offen zu sein. Wir versuchten, Jesus im Nächsten zu erkennen.
So war ich ein „Gottes Sucher“ aus einem reicheren Land und zu uns ins Haus kamen „Gottes Sucher“ aus diesem ärmeren Land. Gemeinsam bezwangen wir diesen Weg des Glaubens, in Gebet, Gemeinschaft und Hingabe.
Josef Kurzmann

Offenes Herz - Kennenlern-Wochenende
Interesse an einem Freiwilligendienst mit "Offenes Herz"? Auch als Zivildienst möglich! Ein Jahr für Gott und den Nächsten: Leben in Freundschaft mit den Ärmsten, Leben in Gemeinschaft, Leben im Gebet. Wir beginnen mit der Ausbildung von neuen Freiwilligen für den Dienst ab Sept./Okt. 2024. An diesem Wochenende erzählen junge Menschen von ihren Erfahrungen bei diesem Dienst.
Zeit: 26. bis 28. Jänner 2024
Ort: Wien
Info&Anmeldung: bis 21. Jänner 2024 bei Anna: anna.kleemair@outlook.com   www.offenesherz.org

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