VISION 20006/2023
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Ein Weihnachtswunder

Artikel drucken Als ein ungeborenes Kind seine Mutter vor dem sicheren Tod gerettet hat (Joseph A. McDougall)

Schließlich musste ich es ihr eines Tages im Dezember sagen. Medizinisch waren wir geschlagen. Die Entscheidung lag bei Gott. Sie nahm dies in aller Stille hin, als sie da lag und dahinsiechte, erst 23 Jahre alt und Mutter eines einjährigen Kindes.

 
Das Kind hat die Mutter gerettet!  

Eleanor Munro (der Name wurde geändert) war eine fromme und mutige Frau. Sie hatte rotes Haar und dürfte wohl ziemlich hübsch gewesen sein, aber das war kaum noch zu erkennen, so nah war sie dem Tod durch Tuberkulose. Sie wusste es jetzt, sie akzeptierte es und bat nur um eines.
„Wenn ich an Heiligabend noch lebe,“ sagte sie langsam, „möchte ich Ihr Versprechen haben, dass ich Weihnachten nach Hause fahren kann.“
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich wusste, dass sie nicht gehen sollte. Der untere Lappen ihrer rechten Lunge wies eine wachsende tuberkulöse Höhle auf, etwa einen Zentimeter im Durchmesser. Sie hatte das, was die Ärzte offene Tuberkulose nennen, und konnte die Erreger durch Husten verbreiten. Trotzdem gab ich ihr das Versprechen, und ehrlich gesagt, tat ich es, weil ich sicher war, sie würde vor Weihnachten sterben. Unter den gegebenen Umständen konnte man ohnedies kaum mehr etwas für sie tun. Und wenn ich es nicht getan hätte, würde ich diese Geschichte jetzt nicht erzählen.
Eleanors Ehemann war an der Krankheit erkrankt, als er von seinem Dienst in Übersee im Zweiten Weltkrieg nach Nova Scotia zurückkehrte. Es war ein „leichter Fall“, und er wusste nicht, dass er Tuberkulose hatte. Bevor die Krankheit entdeckt und untersucht wurde, heirateten sie. Sie steckte sich mit der Krankheit an und war kaum immun dagegen. So brach die Krankheit schnell aus und setzte sich an einer so schwierigen Stelle fest, dass jeder Arzt, der ihr zu helfen versuchte, passen musste.
(…) Ich war damals 31 Jahre alt und neu am Spital. Dort wurde ich gebeten, mich um eine kleine Tuberkuloseabteilung des Krankenhauses zu kümmern, in der etwa 40 Patienten untergebracht waren, von denen die meisten chronisch krank waren und wenig oder gar keine Aussicht auf Heilung hatten. So kam es, dass Eleanor Munro 1948 meine Patientin wurde.
Sie wog zuvor 57 Kilo. Als ich sie das erste Mal sah, wog sie nur noch 39,5 Kilo. Ihr Fieber war hoch und schwankte zwischen 38,3 und 39,4 Grad. Sie war schwer krank und sah auch so aus. Aber sie konnte immer noch lächeln. Daran werde ich mich immer erinnern. Wenn man ihr die kleinste Gefälligkeit tat, lächelte sie.
Vielleicht hat mich das ermutigt. Ich weiß es nicht. Aber ich wusste damals, dass ich versuchen musste, ihr zu helfen.
(…)
Ich rief daraufhin einen Arzt in New York an, der mit einem Verfahren namens Pneumoperitoneum experimentierte. Dabei werden Nadeln in die Bauchhöhle gesteckt, um Luft hineinzupressen und das Zwerchfell gegen die Lunge zu drücken. Wenn wir Druck auf den unteren Lungenflügel ausüben könnten, könnten wir hoffen, die TB-Höhle zu schließen. Wenn uns das gelänge, hätte die Natur die Chance, die Höhle zu schließen und zu heilen, indem sie die Seiten zusammenwachsen ließe.
Im Krankenhaus erwägten wir die Risiken und beschlossen, dass wir uns ihnen stellen mussten. Die Operation fand also statt. Wir pumpten Luft in die Peritonealhöhle, aber das hätte sie fast umgebracht. Alle Ärzte im Raum waren sich einig, dass wir es nicht ein zweites Mal versuchen sollten. Wir waren am Ende.
Damals sagte ich ihr, dass die medizinische Wissenschaft so weit wie möglich gegangen sei. Ich erklärte ihr es ausführlich, und sie verstand es. Sie hörte mir mit einer ruhigen Würde und einer erstaunlichen Resignation zu. Ich sagte ihr, dass ihr Schöpfer nun das endgültige Urteil habe und dass es nicht unbedingt das sein würde, was einer von uns beiden wollte, aber unter den gegebenen Umständen das Bes­te für sie sei. Sie nickte und verlangte dann von mir dieses erwähnte Versprechen.
Erstaunlicherweise war sie an Heiligabend noch am Leben, aber sehr schwach. Das Loch wuchs immer noch, ihr Zustand verschlechterte sich weiter. Aber sie erinnerte mich an mein Versprechen, und ich hielt es – mit erneuten Zweifeln. Ich riet ihr, ihr Kind nicht am Arm zu halten und einen Mundschutz zu tragen, wenn sie mit jemand anderem als ihrem Mann spricht. Er war ja immun.
Sie versprach es und fuhr mit dem Krankenwagen davon, mit diesem Lächeln, das ich nicht vergessen kann.
Spät am Weihnachtstag kehrte sie nach St. Marthas zurück, und wurde immer schwächer. Niemand konnte ihr bei ihrem Kampf zusehen, ohne tief bewegt zu sein. Jeden Tag verschlechterte sich ihr Zustand ein wenig mehr, doch jeden Tag klammerte sie sich an das Leben. Das ging zu unserem Erstaunen wochenlang so weiter.
Gegen Ende Februar wog sie nur noch 36 Kilo oder weniger; sie konnte nicht mehr essen - und es traten neue Komplikationen auf. Ihr wurde übel, sie begann zu würgen und zu erbrechen, auch ohne Nahrung im Magen. Ich war ratlos. Ich rief einen Oberarzt hinzu, und als er sie untersuchte, war auch er ratlos. Aber mit einem Grinsen, fast scherzhaft, fragte er mich, ob ich glaube, dass sie schwanger sein könnte.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mich fühlte: Der Vorschlag war völlig lächerlich. Alles, was ich über Medizin wusste, ließ nur einen Schluss zu: Sie war so krank, so schwach, dass sie unmöglich schwanger werden konnte. Ihr Körper war dazu einfach nicht in der Lage. Trotzdem machte ich einen Schwangerschaftstest – und zu meinem Erstaunen: Er war positiv. An der äußersten Grenze des Lebens selbst trug sie nun ein zweites Leben in sich. Man kann sich kaum etwas Unmöglicheres vorstellen, aber es war wahr.
Als ich es ihr sagte, lächelte sie und errötete etwas.
Rechtlich und medizinisch gesehen hätten wir das Kind abtreiben können, weil es ein Leben gefährdete, das bereits in Gefahr war. Damals war Tuberkulose der medizinische Grund Nr. 1 für eine Abtreibung. Aber wir haben es nicht getan. Die Patientin und ihr Ehemann waren dagegen. Wir Ärzte im St. Marthas waren dagegen, nicht nur aus religiösen Gründen, sondern weil wir sicher waren, dass die Operation sie töten würde. Außerdem war sie schon so weit fortgeschritten, dass wir sicher waren, dass ihr Körper das Kind ohnehin abstoßen würde.
Also ernährten wir sie intravenös und sahen zu, wie sie darum kämpfte, zwei Leben in einem Körper zu erhalten, in dem nur eine bemerkenswerte Charakterstärke oder ein göttliches Eingreifen es ihr ermöglicht hatte, selbst nur ein Leben zu erhalten. Der Kampf dauerte wochenlang, und nie änderten wir unsere Überzeugung, dass sie im Sterben lag. Aber sie behielt ihr Kind. Und dann geschah etwas Unglaubliches. Ende März 1948 stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass ihre Temperatur zu sinken begann. Zum ers­ten Mal stellten wir eine gewisse Verbesserung ihres Zustands fest, und diese Verbesserung hielt an. Sie begann zu essen und nahm an Gewicht zu. Eine Röntgenaufnahme der Brust zeigte, dass das Wachstum der TB-Höhle gestoppt war. Kurze Zeit später zeigte eine weitere Röntgenaufnahme, dass das Zwerchfell gegen den unteren Lappen ihrer kranken Lunge drückte, um Platz für das Kind zu schaffen, das sie trug. Die Natur tat genau das, was wir mit dem Pneumoperitoneum nicht geschafft hatten: Sie presste die Seiten des tödlichen Lochs zusammen. Das Kind hat die Mutter gerettet!
Als es geboren wurde, ein normales, gesundes Baby, war die TB-Höhle geschlossen. Der Mutter ging es deutlich besser, so viel besser, dass wir sie nach ein paar Monaten für immer nach Hause gehen ließen. Ihr Lächeln war nie strahlender gewesen.
Ich kann es immer noch kaum glauben, und ich habe seitdem nie wieder von einem vergleichbaren Fall gehört. Ich habe nie mit der jungen Frau darüber gesprochen, auch nicht, als sie zu Kontrolluntersuchungen kam, die die vollständige Wiederherstellung ihrer Gesundheit bestätigten. (…) Ich staune immer noch über das, was sich da getan hat, und über die unergründliche Kraft, die sich manifestiert hat.
Und ich erinnere mich noch mit Freude an die Weihnachtskarten, die sie mir jahrelang geschickt hat. Es waren ganz gewöhnliche Karten, mit den üblichen gedruckten Grüßen und ihrem Namen. Aber für mich waren sie wie Denkmäler für ein Weihnachtswunder."

Dr. Joseph A.  McDougall praktizierte als Allgemeinmediziner und Anästhesist an verschiedenen kanadischen Krankenhäusern. Er starb am 30. September 2002 im Alter von 85 Jahren.
Der Text ist gekürzt aus:
https://moreenigma.com/2017/12/20/how-an-unborn-baby-saved-its-mothers-life

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