VISION 20006/2023
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Gib uns ein hörendes Herz!

Artikel drucken Wichtiger Appell für eine verwirrte Zeit (Johannes Holdt)

Wir kennen es aus vielen Märchen, dass einem Menschen von einer guten Fee oder einem Geist ein Wunsch gewährt wird oder sogar drei Wünsche. Und nun kommt alles darauf an, dass der Mensch jetzt klug wählt, dass er sich das Richtige wünscht – und nicht etwas im Grunde Wertloses, Unvernünftiges. Dass er die kostbare Perle wählt – und nicht gierig nach bunten, billigen Glassteinen greift.


Genau solch eine märchenhafte Situation begegnet uns im Ersten Buch der Könige im Alten Testament. Gott, der Herr, spricht im Traum zu Salomo, dem König von Israel, dem Sohn und Nachfolger König Davids: „Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll“ (1Kön 3,5).
Salomo hat einen Wunsch bei Gott, dem Allmächtigen frei. Was wird er sich wünschen? Was würden wir uns an seiner Stelle wünschen? Gesundheit und ein langes Leben, für uns und unsere Lieben? Karriere, Erfolg, Schönheit und Jugend? Geld, Gold, ein sorgenfreies Leben?
Keiner von uns würde wahrscheinlich auf das kommen, was sich Salomo erbittet: „Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden weiß“ (1 Kön 3, 9).
Selbst Gott wundert sich über diesen Wunsch, mit dem Salomo zeigt, dass er zu Recht für seine Weisheit berühmt ist. Und Gott gewährt ihm aus Freude über diese Weisheit von sich aus auch das, was Salomo nicht erbeten hat: Reichtum, Ehre und ein langes Leben (1 Kön 3, 13-14).
Wenn Gott die Bitte Salomos so gut gefällt, können wir vielleicht davon lernen. „Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz“, wünscht sich der junge König.
Auf das Herz kommt es an, auf dieses Zentrum in uns, wo wir ganz wir selbst sind, wo wir Liebe schenken und empfangen. Das Herz entscheidet darüber, was der Mensch in Wahrheit ist. „Menschen sehen auf das Äußere, der Herr aber sieht das Herz“, heißt es an anderer Stelle in der Heiligen Schrift, im Ersten Buch Samuel (1 Samuel 16,7).  
Das Äußere, die Verpackung – das Aussehen, die gesellschaftliche Stellung, der Besitz – sagen gar nichts über uns aus. Die kostbare Perle in uns ist das „hörende Herz“, das offene und aufnahmebereite Herz, das glaubende Herz, das liebende Herz.
„Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch“, verheißt Gott im Buch des Propheten Ezechiel (Ez 36,26). Solch ein Herz aus Fleisch, ein fühlendes Herz, ein menschliches Herz wünscht sich Salomo. Und genau danach sollten auch wir streben.
Das hörende Herz wünscht sich der König, „damit er das Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht“.
Jeder lebt nicht nur für sich allein, sondern hat auch Verantwortung für andere. Die Frage ist, ob wir dieser Verantwortung gerecht werden und für die anderen Gutes bewirken – und nicht etwa Schlechtes, ohne es vielleicht zu wollen. Dafür brauchen wir Einsicht und Verstand. Nur wenn wir uns verständig und weise um unsere Mitmenschen sorgen, haben sie wirklich etwas davon.  Gut gemeint ist bekanntlich oft das Gegenteil von gut… Weisheit und Verstand sind darum die kostbarsten Gaben des Heiligen Geistes für den Menschen (Jesaja 11,2).
Man könnte aber Folgendes einwenden: Salomo hatte schon alles, was das Herz begehrt, er war reich und mächtig, da war es sehr leicht für ihn, „idealistische“ Wünsche zu äußern…
Ist für uns die Situation nicht ganz anders? Hat nicht zum Beispiel ein Kranker nur einen Wunsch, nämlich Gesundheit?  „Alle Wünsche werden klein, gegen den gesund zu sein“, lautet eine Redensart.
Ja, es stimmt: Gesundheit, Wohlergehen, langes Leben sind wichtig, sind Güter. Aber nicht die höchsten Güter. Ein Mensch kann in Gesundheit ein langes Leben haben und trotzdem das Wichtigste verfehlen, am Sinn und Ziel des Lebens vorbeileben.
Der bekannte Psychiater und Theologe, Manfred Lütz, ein Bestsellerautor, kritisiert das, was er die heutige „Gesundheitsreligion“ nennt. Gesundheit und Wellness seien so etwas wie die neuen Götter, die alle anbeten, für die man jedes Opfer bringt so wie früher für die Religion. Wobei die Menschen vergessen: „Auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot.“ -  Und was dann? Was bleibt von meinem Leben? Welchen Sinn hat es gehabt?
Wünsche gehören zum Leben. Doch im Laufe der Jahre erfahren wir: Nichts, was wir bekommen, macht uns ganz und auf die Dauer zufrieden.  Die Sehnsucht des Herzens ist immer größer.  Und das zu Recht; denn wir sind auf das Große hin angelegt, auf das ganz Große; das, was Jesus das Reich Gottes nennt; den ungeheuren Schatz, die unbezahlbare Perle. Halten wir uns darum an den weisen König Salomo. Bringen wir Ordnung in unsere Wünsche und Antriebe. Werden wir weise; erkennen wir, was wirklich zählt, worauf es ankommt. Vergessen wir niemals das Wichtigs­te, damit unser Leben glückt und wir Frucht bringen, die bleibt.

Der Autor ist Wallfahrtsdirektor in Weggental, Diözese Rottenburg.



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