VISION 20003/2019
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Dem Gegenwind erfolgreich widerstanden

Artikel drucken Rückblick auf Jahrzehnte der Konfrontation mit dem Zeitgeist (Von Christa Meves)

Sie war eine der ersten, die Ende der sechziger Jahre den heraufziehenden Großangriff auf die Familie erkannt hatte. Dank ihrer Erfahrungen als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche wusste Christa Meves Bescheid, wie wichtig die Familie ist – die christliche. Und sie hat sich trotz zahlreicher Anfeindungen dem wachsenden Sturm in Wort und Schrift entgegengestellt – wofür ihr viele, sehr viele dankbar sind.

Für die Überlebenden des letzten Weltkrieges war in den Nachkriegsjahren ein Wunder eingetreten: Gegen die anfänglichen Tendenzen der Siegermächte nun das geschlagene Volk in ihrem Elend sitzen zu lassen, setzten diese in den 50-er und 60-er Jahren überraschenderweise ein Hilfsprogramm in Aktion. Wie ein Areal mit vertrockneten Blümlein reckte sich besonders in der Bundesrepublik West und in Österreich dadurch ein mächtiger Lebenswille hoch. Mit neuem Mut machte sich die Bevölkerung auf den Weg in eine neue Gedeihlichkeit ihres Lebens.
In diesem Hoffnung gebenden Status kam sogar die Pädagogik wieder zu Ehren, und ich hatte dazu ein Fachbuch veröffentlicht, um Eltern und Lehrer bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Darauf war in Berlin West eine der evangelischen Akademien aufmerksam geworden und hatte mich 1969 zu einem Vortrag eingeladen.
Die Quintessenz meiner Rede bestand in einer Warnung – vor allem auch an meine Kirche – daran mitzuwirken, dass der Bezug zum christlichen Glauben jetzt nicht beim neuen Aufbruch ins Hintertreffen geriete, ja, ich machte klar, dass es vor allem notwendig sei, die neue Zeit unter die Regie des allmächtigen Gottes zu stellen: Denn das sei die Hauptbedingung für eine segensreiche Entwicklung.
Merkwürdigerweise erwirkte dieser Appell in dieser EKD-Einrichtung aber keineswegs einhellige Zustimmung, sondern Kopfschütteln und Erstaunen, und die Leiterin machte den Vorschlag, meinen Vorredner – er war noch anwesend – erneut in den Ring zu holen und sein Vortragsresümee dem meinen gegenüberzustellen. Die Ausbeute seiner Ausführungen hatte sinngemäß geheißen: In der neuen Zeit und mit neuer Regierung wird der Mensch endlich absolut frei sein. Er werde sich endlich nach eigenen Belangen ausrichten und sich von jeder Abhängigkeit befreien. Seine Wiederholungen in diesem Tenor erhielten donnernden Beifall des Gremiums. Man gab uns danach Gelegenheit, einander kennenzulernen.
Er sei Atheist, erklärte der „Lehrer“ Helmut Kentler mir – und zwar kämpferisch und ganz bewusst. Der christliche Glaube habe Unterdrückung verursacht und müsse endlich beseitigt werden. Auch er hätte bereits darüber ein Buch geschrieben, und zwar unter dem Titel Sexualerziehung.
Bei diesem neuen Lebensmodell ohne Gott werde auch die Familie überflüssig werden, hatte uns Kentler von Anfang an mit zynischem Lächeln verheißen. Sie sei im Grunde nichts weiter als eine Machtanmaßung, vor allem des Mannes. Einehe auf Lebenszeit müsse weg! Die entsprechenden Gesetze müssten verändert werden, Freiheit brauchten die Kinder, keine Gängelung durch Eltern und deren veraltete einengende Erziehungsmethoden! Autorität müsse überhaupt generell abgeschafft werden, vorab das hierarchische System der katholischen Kirche mit dem Papsttum an der Spitze.
Noch auf der Tagung 1969 in Berlin steckte mir mein über diese Proklamation beunruhigter Mann das Kentler-Taschenbuch zu. Auf der Heimfahrt lasen wir es gemeinsam und dabei fielen uns die Augen bald aus dem Kopf. Zum Erreichen des Kentlerschen Zieles war – wie hier deutlich von ihm ausgemacht – die Sexualisierung des Menschen von der Wiege bis zur Bahre als die entscheidende Strategie zu einer allgemeinen, menschlichen Befreiung dargestellt.*
Erregt sagte mein Mann: „Hier beraumt sich für die Bevölkerung die nächste Falle an, obgleich wir doch aus der derzeitigen nur mit großer Mühe herausgekrochen sind. Wer die Natur entfesselt – und dazu gehört dieser Großtrieb nun einmal –, handelt sich keine Freiheit ein, sondern macht die Bevölkerung krank und vom Trieb abhängig. Du musst das als Fachfrau sagen, Du musst das schreiben!“, drängte er.
In dieser Zeit brandeten die Revolten an den Universitäten durch sogenannte Studenten auf ihrem Weg zu dieser anvisierten Befreiung hoch. Jedenfalls bekam ich bald darauf Einladungen über Einladungen von besorgten Vereinsleitern. Dieser Ideologie zu widerstehen und mithilfe von Fachvorträgen einen Neuanfang mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild im Zentrum zu proklamieren, wurde jetzt für mich zur Aufgabe.
Die nächsten drei Jahrzehnte habe ich in der Erinnerung eher wie einen in sich stimmigen, beglückenden Rausch erlebt. Plötzlich stand ich auf den Podien der westlichen Großstädte vor Tausenden und Abertausenden von Menschen – und sprang gewissermaßen mit einem jubelnden Publikum von Sieg zu Sieg.
Nicht dass das zunächst jeweils so glamourös abzulaufen schien. Im Berliner Kongresszentrum z. B. war eine wilde Horde von Chaoten bereits vorher angesagt. Aber ich hatte dem zitternden Veranstalter bereits einen Tag vorher geraten, seinen Posaunenchor mitzubringen und Liedblätter mit dem Kirchenlied „Großer Gott, wir loben dich“ am Eingang auszuteilen. Als die mehr oder weniger nackten Chaoten das Podium zu stürmen versuchten, fingen die Posaunen an zu blasen.
Und siehe da: Unverzüglich stimmte eine 4000-köpfige Schar in das bekannte Lied ein. Sie sangen alle 11 Strophen und begannen danach von vorne. Schon beim zweiten Durchgang war der schrille Lärm mit den wabernden nackten Busen der armen verführten Berliner Mädchen einfach untergegangen. Diesen Triumph der Menge werde ich nie vergessen, als die Störenfriede mit ihren T-Shirts unter den Armen kläglich zum Ausgang schlichen, während die Singenden in einen nicht enden wollenden Jubel ausbrachen.
Nein, es war anfangs noch gar nicht schwer, dem Zeitgeist zu widerstehen, aber dann zeichnete es sich immer mehr ab, dass der Versuch, eine Stimme der Wahrheit totzumachen – zwar nicht durch lauten Lärm, sondern vor allem durch geschriebene Lügen – dennoch erreichbar wurde.
Das geschah zunächst durch mit Lügen bestückten Hetzartikel in Rudolf Augsteins Spiegel und ähnlichen Presseorganen. Dann aber, ab 1990, durch ein Diffamierungsinstrument erster Klasse: durch die digitale Enzyklopädie Wikipedia. Hier stehen bis heute über mich und mein Wirken Lügengeschichten, die mit mir und meinen Aussagen fast nichts gemein haben. Viele meiner Freunde haben versucht, all dem bei meinen Vorträgen wahr Erlebtes entgegenzusetzen. Ihre Eingaben waren aber nach wenigen Stunden wieder gelöscht.
Ich habe aber in all den vielen Jahren eine ganze Reihe von außerordentlich tapferen Menschen kennenlernen dürfen, die bewusst und nicht selten direkt märtyrerhaft bis an den Rand ihrer physischen Existenz in irgendwelchen Nischen die Wahrheit hörbar gemacht haben. Deren Wirkung scheint zwar auf den ersten Blick minimiert zu sein. Aber darin täuschen sich die Zerstörer. Da die Effekte im Alltagsgeschehen hervorgerufen wurden, treten sie eben nicht lärmend in Erscheinung.
Aber wie z. B. aus den Akten von Dankesbriefen in meinen Schränken ersichtlich ist, scheint allein der jahrzehntelange Appell an Eltern im Hinblick auf ein seelisch gesundes Aufwachsen ihrer Kinder nicht leer verhallt zu sein. Tapfere Durchführung des Modells von mehr Nähe miteinander in den Familien veranlasst nun z. B. viele Eltern, mir herrliche Erfolgsberichte nach vollendetem Langzeiteinsatz für ihre Kinder zukommen zu lassen: Bei ihnen hat sich die Wahrheit einfach nicht totschlagen lassen. Nicht nur das Böse, auch das ewig Gute ist offenbar in der Lage, durch die Wände zu gehen, selbst wenn man die Türen verrammelt!
Wissenschaftlich zusammengefasst lassen sich die Ergebnisse von 70 Jahren internationaler Forschung am besten in dem Buch der Neurologin Nicole Strüber Die erste Bindung finden. Mittlerweile ist also die Gegebenheit in der Pädagogik, dass die phasengerechte natürliche Nähe zum Kind in der Familie der Weisheit letzter Schluss ist, wissenschaftlich international hundertfältig total abgesichert. Mehrere Untersuchungen haben nun auch sogar schon bewiesen, dass erfolgreiche Universitätsabschlüsse häufiger von Studenten geschafft werden, die aus frühen Mutter-Kind-Bindungen und aus heilen Familien hervorgegangen sind.  
Was ich seit 1969 längst in meiner Anthropologie prognostiziert und in nicht mehr zählbaren Verlautbarungen veröffentlicht habe,  liegt also nun auch als wissenschaftliche Wahrheit voll auf dem Tisch.
Nun sind die wetterfesten Väter und die geschmähten, so tapfer durchhaltenden Mütter mit den kirchlich getreuen Großeltern im Hintergrund bereits unverhofft in jener beglückenden Situation, wie sie von unserem Gott für uns bei Lukas verheißen ist: „Hebt eure Häupter empor, weil eure Erlösung naht“ (Lk 21,28).


*Helmut Kentler wurde in der Bundesrepublik West in den folgenden Jahrzehnten zum entscheidenden Protagonisten der „Befreiung zur Sexualität“ in der maßgeblichen Jugend­szene und -presse. Er avancierte 1976 auf einen sozialpädagogischen Lehrstuhl der Universität Hannover. Nach seiner Emeritierung betätigte er sich als Gutachter in Sexualtäterprozessen und rühmte sich, dass bei diesen durch seine Einwirkung niemand strafrechtlich verurteilt worden sei. Erst nach seinem Tod 2008 wurde bekannt, dass er sich umfänglich päderastisch betätigt habe. Eine Aufarbeitung dieser Fakten durch die Universität Hannover führte 2018 zu einer öffentlichen Distanzierung ihres Universitätspräsidenten von Kentlers Machenschaften.




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