VISION 20002/2011
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Ein begnadeter Jugendseelsorger

Artikel drucken Erinnerungen eines Priesters, der Johannes Paul II. bei vielen Weltjugendtagen erlebt hat (Konstantin Spiegelfeld)

Willst Du nicht Priester werden? Diese innere Frage ist mir im Frühjahr 1983 plötzlich durch den Kopf gegangen, während ich in einer kurzen Pause in der Basilika von Mariazell bei der Muttergottes ausruhen wollte.

Wir bereiteten gerade den Einsatz der Malteser beim Österreichbesuch des Papstes im September vor. Johannes Paul II. hat somit mit seinem einzigartigen Eifer, das Evangelium zu allen Menschen zu bringen, an einer entscheidenden Wendung meines Lebens indirekt eine wichtige Rolle gespielt. Einige persönliche Erlebnisse mit ihm möchte ich erzählen.
Die Heilige Messe im Donaupark am 12. 9. 1983 bei strömendem Regen im Schatten eines großen neu errichteten Kreuzes erlebte ich als Helfer mit einem Behinderten. Die christliche Gemeinschaft war stark und ich wurde anschließend gefragt, warum ich trotz Nässe geblieben bin. Ich habe geantwortet: „Die unmittelbare Feier mit dem Nachfolger des Apostels Petrus kann man im Fernsehen nicht entsprechend miterleben, das geht nur vor Ort!“
Übrigens wird es 2011 gelingen, dieses weithin sichtbare christliche Mahnmahl zu restaurieren, damit auch nachfolgende Generationen nicht vergessen, daß Jesus Christus Erlösung und Freiheit schenkt und daß über mehrere Jahrzehnte eine brutale Trennung quer durch Europa die Menschen dieses großen Kontinents geprägt hat. Der Papst hat damals unmißverständlich vom notwendigen Atmen Europas mit den beiden Lungenflügeln, Ost und West, gesprochen! Wie prophetisch!
1991 wurde ich im Stephansdom von Kardinal Groer zum Priester geweiht und konnte kurz darauf mit einer Jugendgruppe am Weltjugendtag in Tschenstochau teilnehmen. Es war ein unglaublich starkes Erlebnis, mit einer unüberschaubaren Anzahl von jungen Christen aus dem ehemaligen Ostblock diese Tage zu verbringen und die Eucharistie zu feiern. Die Konzelebration bei der großen Heiligen Messe am Hochfest Maria Himmelfahrt mit ungefähr 1,6 Million Menschen vergesse ich nie.
Das Jahr 2000 markierte einen besonderen Moment im Pontifikat des Papstes. Es war ihm ein zentrales Anliegen, er hat es über längere Zeit geistig vorbereitet und dafür u.a. die Heilige Pforte des Petersdoms geöffnet. Unübersehbare Scharen von Pilgern, auch ich, sind durch sie in dieses gewaltige Gotteshaus eingezogen und durften viele Gnaden geschenkt bekommen. Als einer der Höhepunkte hat er die Jugend der Welt im August nach Rom eingeladen. Kritische Stimmen haben im Vorfeld angemerkt, daß es um diese Zeit in der Stadt sehr heiß sei, viele Einwohner Urlaub machten und daher wenige kommen würden. Er aber hat viele junge Menschen persönlich ermutigt, unterstützt und sicher für sie gebetet!
Ungefähr 2,2 Millionen Jugendliche sind gekommen, aus Österreich konnte ich eine Fahrt mitorganisieren. Es war eine phantastische, unauslöschliche und frohe religiöse Erfahrung! Die damalige Hymne ist mir unvergeßlich und wird auch nach vielen Jahren oft und gerne bei Jugendfesten gesungen: „Siamo qui, sotto la stessa luce, sotto la sua croce, cantando ad una voce. E’ l’Emmanuel, Emmanuel… (Wir sind hier, unter dem gleichen Licht / Unter seinem Kreuz / Singen mit Stimmen vereint: / Er ist Emmanuel. / Emmanuel, Emmanuel / He’s Emmanuel, Emmanuel. / Emmanuel). Man muß die typisch italienische Melodie kennen, um die dazugehörige Stimmung nachempfinden zu können. Ein Lied, das zu Herzen geht und lebendigen Glauben ausdrückt. Jesus ist „Emmanuel, Gott mit uns!“ Eine echte Frohbotschaft, für die es sich lohnt, das eigene Leben einzusetzen und sie in geeigneter Weise zu verbreiten.
Die Bilder, die den Papst zusammen mit den Jugendlichen beim Singen, mit winkenden Händen und zu Tränen gerührt zeigen, sind um die Welt gegangen. Ein junger Mann hat dabei am Vorabend des 15. August alle Hindernisse überwunden, ist auf den Papst zugelaufen, hat ihn umarmt, und er hat ihn in seine Arme geschlossen und auf die Stirn geküßt. Tosender Applaus! Diese Szene ist noch heute für mich ganz lebendig. Mit vielen solchen Gesten hat er mit Jugendlichen kommuniziert.
Ich konnte lernen und beobachten: Johannes Paul II. hat einerseits seine persönliche Nähe, ein großes Verständnis und Interesse für das Suchen, Fragen und manchmal Fehlen der Jugendlichen ausgedrückt, andererseits uns allen ein klares Ziel, hohe Ideale und unsere tiefsten Sehnsüchte vor Augen gestellt.
Auf dem Petersplatz und in Tor Vergata, dem Versammlungsort des Weltjugendtages hat er es auf den Punkt gebracht: „Jesus Christus ist ein anspruchsvoller Freund und hilft Euch, Euer Menschsein zu hoher Blüte zu entfalten. Ihr seid Protagonisten einer neuen Gesellschaft. Vertraut Euch Ihm an!“ Er war auf diese Weise sein Leben lang ein begnadeter „Jugendseelsorger“ und hat persönlich aus dem lebendigen Kontakt mit Jugendlichen viel Zuversicht und Glaubenskraft für seine anderen anspruchsvollen Aufgaben geschöpft.
Ein Gedanke von ihm begleitet mein priesterliches Wirken: „Die Kirche hat der Jugend viel zu sagen, und die Jugend hat der Kirche viel zu sagen. Dieser gegenseitige Dialog muß offenherzig und mutig sein. Er fördert die Begegnung und den Austausch zwischen den Generationen und wird für Kirche und Gesellschaft Quelle des Reichtums und des Jungseins.“ Gerade auf diese Weise möchte ich, wie der Papst es sehr beeindruckend vorgelebt hat, mein Leben lang neugierig, entwicklungs- und wandlungsfähig bleiben.
Als Universitätsseelsorger in der Katholischen Hochschulgemeinde Wien, durfte ich im Juli 2003 bei einem Treffen von Professoren und Studierenden in Castel Gandolfo Johannes Paul II. die Hand geben, seinen Ring küssen und wurde von ihm persönlich für meinen Dienst gesegnet (siehe Bild). Das entsprechende Foto hat einen wichtigen Platz in meiner Wohnung.
Der letzte Höhepunkt meiner direkten Erfahrung mit Papst Johannes Paul II. war die Mitfeier seines Begräbnisses in Rom. Die unüberschaubare Anzahl von Frauen und Männern aus der ganzen Welt, die herzliche Feier der Liturgie und der vielfältig ausgedrückte Respekt vor einem großen und prophetischen Hirten der katholischen Kirche sind mir in lebendiger Erinnerung.
Jetzt darf ich als Pfarrer in der Leopoldstadt, dem 2. Wiener Gemeindebezirk, die Bedeutung der Lektüre der umfangreichen Werke der heiligen Edith Stein entdecken. Sie ist als Jüdin geboren, war angesehene Philosophin, ließ sich taufen, ist in den Karmeliterorden eingetreten, hat den Namen Theresia Benedicta vom Kreuz angenommen und ist am 9. August 1942 in Auschwitz vergast worden.
Johannes Paul II. hat sie stets geschätzt und behutsam und klug ans Licht gehoben. Seine freundschaftlichen Beziehungen zum jüdischen Volk hat er aktiv gepflegt, und so konnte er Edith Stein am 11. Oktober in Rom heiligsprechen. „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18). In einem tieferen Verständnis der Bedeutung der Juden für unseren Glauben und einer Versöhnung mit ihnen, liegt in der Kirche wirklich ein Schlüssel für eine glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums Christi in der heutigen Welt.
Bei den fröhlichen Weltjugendtagen – bis jetzt durfte ich an sechs teilnehmen – spricht man von der Generation JPII. In gewisser Weise gehöre ich zu ihr und möchte auf ihr aufbauen. Wie treffend sagt der jetzige Papst Benedikt XVI.: „Die Zukunft der Kirche wird aus der Kraft derer kommen, die tiefe Wurzeln haben und aus der Fülle ihres Glaubens leben.“

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