VISION 20002/2011
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Ein Triumphzug durch Polen

Artikel drucken Der Papst in seiner Heimatstadt (Christoph Hurnaus)

Das Pontifikat Johannes Paul II. ist reich an Höhepunkten, von denen sicher mancher auch in die Kategorie der ‚Superlative’ eingeordnet werden kann. Eine solche Visite der Superlative war die siebente Reise des Pap?stes nach Polen im Juni 1999.

Der schon gebrechliche Papst wollte noch einmal einen Streifzug durch seine geliebte Heimat unternehmen. Die Reise führte ihn in 13 Tagen durch 21 polnische Städte. Als Johannes Paul II. am 5. Juni zu Mittag in der polnischen Hauptstadt Warschau landete, wirkte er noch müde. Ich durfte während der Tage seines Heimatbesuchs Zeuge davon werden, wie der alternde Pontifex von Station zu Station immer mehr aufblühte. Die Liebe und Begeisterung seiner Landsleute, die so zahlreich gekommen waren, schienen ihn sichtbar zu beflügeln. Ein Sturz in einem seiner Nachtquartiere, der eine Platzwunde im Gesicht nach sich zog, konnte ihn ebenso wenig hindern, seine Reise fortzusetzen wie eine Erkältung, die ihn einen Tag ans Krankenbett fesselte.
Es ist schwer, die Begeisterung, die der Papst in diesen Tagen im ganzen Land entfachte wiederzugeben, da die Reise einem einzigen Triumphzug von Norden nach Süden glich. An jeder der 21 Stationen waren mindestens 300.000 Gläubige erschienen, um mit dem Papst zu beten und zu feiern, in Danzig waren es 800.000 Menschen, die sich um den Papst versammelten und in Krakau sogar 1,5 Millionen. Zählt man jene Polen dazu, die sich auf den Straßen versammelten, um auch nur einen kurzen Blick auf den Papst im Papamobil zu erhaschen, so kommt man auf 20 Millionen Landsleute, die dem großen Sohn Polens auf dieser Reise zujubelten.
Von unseren Fototribünen konnte ich täglich beobachten, wie Johannes Paul II. mit seinem Papamobil durch ein Meer von Menschen fuhr. Tausende streckten ihm ihre Hände entgegen oder versuchten auch nur einen kurzen Blick aus der Nähe auf ihn zu bekommen. Täglich stimmte die begeisterte Menge das „Sto lat“, „Hundert Jahre sollst du leben“ für ihn an. Manche weinten, andere jubelten, und einige freuten sich auch nur still, den Papst wiederzusehen.
Ich hatte das große Glück, den letzten Besuch Johannes Pauls II. in seiner Geburtsstadt Wadowice mitzuerleben. Die südpolnische Kleinstadt hieß ihren größten Sohn aufs Herzlichste willkommen. Während der Begegnung mit dem Papst wurde von den Einwohnern der Stadt immer wieder ein Lied angestimmt, das man eigens für diesen Besuch komponiert hatte.
Während des Besuchs in Wadowice ahnte der Papst wohl schon, daß es sein letzter sein werde. Das ist vielleicht auch die Erklärung dafür, daß er über eine Stunde lang außer Protokoll mit der versammelten Menge scherzte, und Erinnerungen aus seiner Jugendzeit wach werden ließ. Sein Körper war noch von dem Sturz und der fiebrigen Erkältung gezeichnet. Er saß müde auf seinen Stuhl gelehnt, doch sein Geist setzte zu immer neuen, ungeahnten Höhenflügen an. Wie in einem Film zogen dabei die schönsten Erinnerungen der Jugendzeit in seiner Heimatstadt an ihm vorüber. Man spürte förmlich den ‚Kairos‘, der in dieser Stunde lag. Sein besonderes Sprachtalent, seine Spontaneität und sein Humor erwachten in dem alten Papst, den man tags zuvor noch totgesagt hatte. Er begann eine lebhafte Konversation mit den Einheimischen, die sich auf dem Stadtplatz versammelt hatten: „Es gibt viele Erinnerungen. Auf jeden Fall hat in dieser Stadt, in Wadowice, alles seinen Anfang genommen. Das Leben und die Schule, das Studium und das Theater, und das Priestertum. (…) Hier, mir gegenüber, steht das Haus, in dem es eine Konditorei gab. Nach dem Abitur gingen wir hin und bestellten ‚Kremówka’ (Cremetörtchen). (…) Man sagt, über?all ist es gut, aber am besten ist es zu Hause. Es ist so viel Zeit vergangen seit ich von hier weggegangen bin. Immer jedoch kehre ich hierher zurück mit dem Gefühl, daß ich hier erwartet werde wie in der Heimat.“
Während dieser Polenreise hatte der Papst auch an Kardinal Stefan Wyszynskis Worte erinnert, der ihm nach seiner Wahl prophezeit hatte, er werde die Kirche ins 3. Jahrtausend führen. Nun schien er fast am Ziel angekommen. Er spürte aber wohl auch, daß sein Beitrag für die Heilsgeschichte noch nicht zu Ende war. Die zwei Stunden seines Besuches in Wadowice hatten nicht den Charakter eines sentimentalen Abschiednehmens. Vielmehr schien der Papst hier neu aufzutanken, um sich den Herausforderungen des anbrechenden neuen Jahrtausends zu stellen.


Christoph Hurnaus
Der Autor hat die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. auf vielen Reisen begleitet, siehe sein Buch: 33 Reisen mit dem Papst, Hurnaus-Medienverlag, 205 Seiten, 13,30 Euro.

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