VISION 20001/2013
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Mach dich jetzt an die Arbeit

Artikel drucken Über die Vorbereitung auf den Tod

„Jeder muss sich auf ein gutes Sterben vorbereiten,“ appelliert Msgr. Le Gall, Rektor eines Zentrums des Gebets für die Verstorbenen in Frankreich. Denn das irdische Leben sei nur der Beginn des ewigen Lebens, ein Vorwort für das, was Gott an Herrlichkeit für uns bereithält…  

Haben wir den Sinn für das wahre Leben verloren?
Jean-Marie Le Gall: Hand aufs Herz: Wir leben nicht, was uns der Glaube sagt. Tatsächlich versuchen wir im diesseitigen Leben möglichst viel herauszuholen, ohne allzu sehr daran zu denken, was sich „auf der anderen Seite“ abspielen wird. Und dann geht es ans Sterben – und man gerät in Panik! Wir haben unsere Sicht- und Lebensweise komplett verkehrt: Das wahre Leben spielt sich nämlich im Jenseits ab. Es ist nicht eine Art Nachwort zu unserem irdischen Leben, sondern es ist das Buch, zu dem das irdische Leben das Vorwort darstellt. Mein Lebensbuch – das ist mein ewiges Leben, das hier beginnt, und das in dem Maß Vollendung findet, wie ich dieses Vorwort derzeit schreibe. Ein entscheidendes Vorwort, gibt es doch die Richtung, das Grundthema, die Dynamik des künftigen Werks vor. Es geht darum, sich jetzt schon an die Arbeit zu machen.

Ein guter Tod – was ist das Ihrer Meinung nach?
Le Gall: Das Leben des Menschen spielt sich zwischen zwei Ereignissen ab: dem Alpha seiner Geburt (da hat man die geringste Freiheit, man hat Sie ja nicht gefragt, ob Sie geboren werden wollen) und dem Omega des Todes (des Menschen größter Akt der Freiheit). Betrachten wir den Tod Jesu, der wie wir gestorben ist, damit wir wie Er zu sterben vermögen: „Niemand entreißt mir (das Leben), sondern ich gebe es aus freiem Willen hin…“ (Joh 10,17) Die Menschwerdung Gottes erfüllt sich in der vollkommen freien Hingabe im Tod. Jeder Mann, jede Frau, welchen Alters auch immer, muss sich auf ein gutes Sterben vorbereiten und so die Freiheit der Kinder Gottes wiederentdecken. Denn nur so kann man den Skandal, die Albernheit, das Unrecht des Todes genauso wie Christus – es gibt nichts Skandalöseres als Christi Tod! – zum Heil der Menschheit annehmen. Meiner Ansicht nach bedeutet ein guter Tod: dass ich mich während des Rests meines Lebens auf dieses endgültige Ja vorbereite. Man hat den hl. Dominik Savio, der gerade Fußball spielte, gefragt: „Was würdest du tun, wenn du erfährst, dass du in einer Stunde sterben wirst?“ Seine Antwort: „Weiter Fußball spielen.“ Er war eben bereit. Da ich so sterben werde, wie ich gelebt habe, will ich auch so leben, wie ich zu sterben wünsche: als freier Mensch.

Ist es das, was man „lebend sterben“ nennt?
Le Gall: Ja. Ich muss versuchen, hingegeben an Gott zu leben, wie ein Kind, damit ich im Moment des Heimgangs – ob bei Bewusstsein oder nicht, wenn es bewusst ist, umso besser – sagen kann: „Herr, in Deine Hände empfehle ich meinen Geist.“ Der Tod muss für den Menschen wieder zum höchsten Liebesakt werden – weil vollkommen frei gesetzt.

Könnten Sie mir das Geheimrezept anvertrauen, damit der eigene Tod nicht missglückt?
Le Gall: Ich biete Ihnen drei an: zunächst, zu einer kindlichen Haltung zurückzufinden; dann das Gebet, das Ausdruck dieser vertrauensvollen Haltung ist; schließlich Zerknirschung, weil wir ja nur auf dem Weg sind. Das ewige Leben ist fortgesetzter Lobpreis des Vaters. Wenn man vor dem Gericht erscheint, kommt es daher darauf an, über keinen anderen Reichtum zu verfügen, als nur Kind zu sein. (…) Der Herr erwartet von uns, dass wir Kinder sind: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Wenn uns Christus einlädt, Seine Jünger zu sein, bedeutet das, wie Er zu werden: Sohn des Vaters. Davon sind wir allerdings weit entfernt, übervoll mit lauter Eigenem …

Sohn zu sein, heißt abhängig zu sein. Nicht sehr einfach…
Le Gall: Insbesondere heute, da man Unabhängigkeit und vollkommene Autonomie verherrlicht. Gott ist jedoch in Seiner Allmacht so gut und so mächtig  in Seiner Güte, dass Er zu­lässt, dass jedes Ereignis, jede Entwicklung in unserem Leben – trotz der vielfach negativen und ablehnenden Entscheidungen des Menschen – letztendlich zu dessen Heiligung beitragen: wie etwa das Alter, die Abhängigkeit, die Krankheit, die Unfälle… Wenn Sie wüssten, welche „Kreuze“ uns hier anvertraut werden: Trennungen, Vergewaltigungen, Arbeitslosigkeit, zerstörte Kindheit… Gott ist kein Sadist: Dieses Gemetzel unter den Menschen ist nicht ein Instrument, dessen Er sich bedient. Aber Er lässt es zu, weil es Frucht der Freiheit Seiner Geschöpfe ist. Allerdings tritt Er unauffällig, aber mit Seiner vollen Macht in das Geschehen ein: „Du leidest? Ich leide mit dir und habe schon vor dir gelitten – und Ich unternehme alles, um dir Meine Vaterschaft ins Bewusstsein zu rufen.“ Hier in Montligeon begegnen wir Menschen, die vom Unglück zerstört worden sind, die aber dann dem Herrn begegnen, indem sie zu kindlicher Demut zurückfinden. Aber zu welchem Preis …

Und Ihr zweiter Rat: das Gebet?
Le Gall: Ohne Unterbrechung. In Seiner Gegenwart verweilen, sich in der Anbetung trocknen, in der Sonne des Geistes entflammen lassen. Das lässt uns unseren Vater wahrnehmen, vermittelt uns einen rechten Blick auf unsere persönliche Welt. Gottes- und Selbsterkenntnis – beides geht Hand in Hand, sagt die hl. Catherina von Siena. Es ist die Anbetung, die uns auch zerknirscht werden lässt.

Zerknirschung – ein Wort, das aus der Mode ist!
Le Gall: Ja. Man verwechselt es mit Reue. Sie drückt unser Bedauern für unsere Fehler aus. Zerknirschung, das ist viel mehr: eine geistige Haltung – sie erfordert Anstrengung und Ausdauer –, die uns Gottes Liebe wahrnehmen lässt. Das löst unbändige Freude, gleichzeitig aber auch maßloses Leid, nicht ausreichend auf diese Liebe geantwortet zu haben, aus. Das Fegefeuer ist genau das: sich gleichzeitig vor Freude und Leid in Tränen aufzulösen. Man ist unterwegs zum Himmel, des Heils gewiss, man wird der Liebe Christi voll gewahr und weint wegen der Armseligkeit der eigenen Antwort. Dieses Leiden reinigt und führt zu vertiefter Liebe. Es ist diese Zerknirschung, die es mir ermöglicht, ins Reich Gottes zu gelangen. Denn der Himmel ist nicht für die Makellosen, sondern für die Sünder, die sich als solche erkennen und um Vergebung flehen.

Msgr. Jean-Marie Le Gall ist Rektor des Heiligtums in Montligeon, Département Orne in Frankreich, eines Zentrums des Gebets für die Verstorbenen. Das Interview führte Luc Adrian für Famille Chrétienne v. 27.10.- 2.11.12

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