VISION 20001/2013
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Ein Tsunami der Verweltlichung

Artikel drucken Über Herausforderungen im Jahr des Glaubens (Christof Gaspari)

Grazer Professor forderte To­des­strafe für den Papst: Schlag­zeile im Kurier am 29. Dezember. Was den Herrn erregt hatte? We­gen sei­ner Hal­tung zur Emp­fäng­nis­verhütung sei der Papst schuld an Millionen von Aids-Toten .

Als die Sache durch die Medien ging, entschuldigte sich der Professor. Heute, 10 Tage danach ist die Meldung in der Flut von Nachrichten, die es seither gab, versunken. Gut so – oder doch nicht?
Zweierlei wird an dieser Forderung – sie war immerhin auf der offiziellen Uni-Homepage zu lesen – jedenfalls deutlich: Die Hemmungen, die Kirche und ihre Vertreter unqualifiziert zu attackieren fallen und die Angriffe konzentrieren sich auf das Festhalten des Lehramts der Kirche an der tradierten Sexuallehre.
Tatsächlich: Der Wind, der den Christen ins Gesicht bläst, wird rauer – nicht nur in muslimischen Ländern. Man muss nur mal einen Blick auf die Homepage: www.intoleranceagainstchristians.eu werfen, um zu erkennen, dass sich die Angriffe gegen Christen sowie christliche Einrichtungen und Symbole in Europa mehren: In Fréjus, Frankreich, wurden die Statuen von Maria und Josef der Krippe in der Kirche geköpft; in Amstetten, Niederösterreich, gab es Brandanschläge gegen drei Kirchen; in Savoyen wurde eine Krippe niedergebrannt; Martin Lohmann, Chef­redakteur von K-TV, bekam nach einer ARD-Diskussion, in der er gegen die Gleichstellung von Homo-Partnerschaften mit der Ehe argumentiert hatte, ein Mail mit der Androhung, ihn mit Aids zu infizieren: „Wenn sie also demnächst einen kleinen Piekser verspüren sollten, dann war ich das wohl mit meiner Nadel.“
Und über Birgit Kelle, die in derselben Sendung ebenfalls gegen die Homo-„Ehe“ aufgetreten war, konnte man im Twitter-Account eines WDR-Redakteurs lesen: ,,ich glaub frau kelle ist eine hexe! Hexe! Verbrennen!“
Soweit nur einige der Meldungen vom letzten Dezember…
Im Buch von Vladimir Palko, Ex-Innenminister der Slowakei, Die Löwen kommen, das auf Slowakisch erschienen ist und dessen deutsche Übersetzung ich zur Ansicht bekam, wird im gleichnamigen Kapitel eine umfassende Analyse dieser christenfeindlichen Entwicklung geboten. Darin zitiert Palko unter anderem Sir Elton John – seines Zeichens britischer Sänger und Pianist, einer der erfolgreichsten Männer im Show-Business – mit den Worten: „Organisierte Kirchen sollten verboten werden.“ (2006)
Warum? Er habe ein Problem mit der christlichen Sexualmoral. Kein Wunder: 2005 heiratete Sir Elton seinen langjährigen Le­bens­partner David Furnish und im Dezember brachte eine Leihmutter einen Knaben für das „Paar“, Elton und Davis, zur Welt – Kind auf Bestellung also.
Wieder diese Kombination: Kirche verbieten und Kritik an ihren „rigiden“, nicht „zeitgemäßen” Moralvorstellungen, was Sexualität betrifft. Der Lebensschutz ist eine weitere Front, an der sich die Geister scheiden. Und an beiden Fronten wird mittlerweile auch schon scharf geschossen – insbesondere in den anglo-amerikanischen Staaten, die Vorreiter bei der Liberalisierung sind: Da verlieren Standesbeamte, die gleichgeschlechtliche Paar nicht trauen wollen, ihren Job ebenso wie Schwestern, die sich weigern, an Abtreibungen mitzuwirken. Da werden schwedische Jugendliche zu Geldstrafen verurteilt, weil sie Flugblätter verteilt hatten, die auf den nachweisbaren Zusammenhang zwischen homosexueller Lebensweise und Aids hingewiesen hatten, da verbannten mehrere Universitäten die Lokale einer Fast-Food-Kette von ihrem Campus, nachdem deren Chef, Dan Cathy, in einem Interview erklärt hatte, er stehe zur biblischen Sicht der Ehe. Und noch ein Beispiel: ein französischer Lehrer wird aus dem Staatsdienst entlassen, weil er seinen Schülern, um den Wahnsinn der Abtreibung aufzuzeigen – nach Vorwarnung und bei freiwilliger Teilnahme – Bilder abgetriebener Kinder gezeigt hatte. Schulische Aufklärungsbroschüren dürfen aber sehr wohl Schockierendes für Kinder zum Besten geben.
Was bedeutet das für unsere Standortbestimmung? Christen müssen sich darauf einstellen, in heftiger Konfrontation mit dem Zeitgeist zu stehen. In den letzten Jahrzehnten hat sich in der westlichen Welt das geistige Klima dramatisch verändert. Was seit Jahrhunderten selbstverständlicher Bestand des Rechtsdenkens war, wird heute als reaktionäres Festhalten der Kirche an überholten Werten angeprangert:
Q dass ungeborene Kinder ein unbedingtes Recht auf Leben haben,
Q dass die Ehe die Verbindung von Mann und Frau ist,
Q dass Kinder Anspruch darauf haben, mit Vater und Mutter aufzuwachsen,
Q dass Euthanasie ein verabscheuungswürdiges Verbrechen darstellt,
Q dass Pornographie und Prostitution menschenunwürdig und daher möglichst zurückzudrängen sind…
In wesentlichen Fragen, die das Menschenbild betreffen, hat eine grundlegende Umwertung stattgefunden. Wer das Buch von Gabriele Kuby Die globale sexuelle Revolution liest, bekommt einen Eindruck davon, wie weit verbreitet und gut in staatlichen und internationalen Institutionen verankert die neue Ideologie bereits ist. Sie nennt sich „Gender-Theorie“, ist den meisten Menschen kein Begriff, leitet aber die Entscheidungsprozesse auf nationaler und internationaler Ebene seit langem.
Ihr Hauptangriffspunkt ist die in der Heiligen Schrift geoffenbarte Schöpfungsordnung, die schon im ersten Buch der Heiligen Schrift klar herausgestellt ist: Der Mensch ist als Mann und Frau geschaffen, gleich an Würde, weil Abbild Gottes, aber besonders in der je eigenen Berufung, kein menschlicher Eintopf (Gen 1,27). Und in dieser Polarität sind Mann und Frau berufen, einen unverbrüchlichen Bund einzugehen, um eins zu werden, „ein Fleisch“, wie es in Gen 2,24 heißt.
Dieses Einswerden ist Quelle neuen Lebens, das Gestalt annimmt in den Kindern, deren Entfaltung wesentlich von der Aufrechterhaltung des Bundes von Mann und Frau bestimmt wird. Im fruchtbaren Einswerden von Mann und Frau strahle das Geheimnis des Dreifaltigen Gottes in der Schöpfung auf, so die wunderbare Deutung Papst Johannes Paul II. von der Größe dieses Aktes des Einswerdens.
Diese zentrale Wahrheit über den Menschen greift die Gender-Ideologie an und versucht, damit das Liebeswerk Gottes in der Schöpfung auszulöschen. Sie dekonstruiert den Menschen, in dem sie ihm einredet, seine körperliche Befindlichkeit als Mann oder Frau, sei gar keine Vorgabe für das Verhalten, kein Werk Gottes. Simone der Beauvoir hat es so formuliert: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht…“ Das Geschlecht also, nichts als eine gesellschaftliche Konvention, die der Einzelne nach Belieben ändern könne. Bist du beispielsweise in einem weiblichen Leib geboren, willst aber als Mann dein Leben verbringen – dann tu es eben. Geh eine Beziehung mit einer Frau ein! Und weil diese unfruchtbare Kombination klarerweise keine Nachkommen produzieren kann – kränk dich nicht. Dann wird künstliche Befruchtung eben dafür sorgen, dass das Manko kompensiert wird.
So verrückt das Konzept in den Ohren des Normalverbrauchers auch klingt, es steht doch hinter dem, was heute durch die landauf, landab vermittelte Sexualaufklärung verkündet wird: Entscheidend ist dein Lusterlebnis. Man lese in einschlägigen Werken nach, etwa in der von der Bundesregierung herausgegeben Broschüre Love, Sex and so: „Viele Burschen verlieben sich in Mädchen, manche in Burschen. Viele Mädchen verlieben sich in Burschen, manche in Mädchen. Manche einmal in ein Mädchen und einmal in einen Burschen. Deine Sehnsucht, deine Gefühle und deine Lust gehören dir. So wie du sie empfindest… “  
So wird das Lusterlebnis – eigentlich „nur“ ein beglückender Teil der sexuellen Begegnung – aus dem Kontext der personalen Bindung und der Fortpflanzung gerissen und zum Selbstzweck hochstilisiert. Auf diese Weise absolut gesetzt, wird jede Form sexueller Lusterzeugung gerechtfertigt und somit auch nicht an die Mann-Frau-Beziehung gebunden. Daher bildet auch die Homosexuellen-Bewegung die – trotz ihrer zahlenmäßig unbedeutenden Größe – so erstaunlich erfolgreiche Speerspitze der Gender-Ideologie. Dazu Claudia Roth, Parteivorsitzende der deutschen „Grünen“: „Die Würde der schwul-lesbischen Liebe ist unantastbar! Artikel 1 Grundgesetz! Grüne Version!“ (Bewerbungsrede um den Parteivorsitz)
Eine nüchterne Bestandsaufnahme der Lage heute zeigt: Es hat eine Revolution stattgefunden. Genau das stellte auch Kardinal Donald Wuerl, Erzbischof von Washington DC, in seiner Wortmeldung bei der im Oktober abgehaltenen Bischofssynode fest: Ein Tsunami der Säkularisation sei über die westliche Welt hinweggegangen. Er habe fast alle unsere Fundamente weggerissen: die Familie, die Ehe, das Wissen um Recht und Unrecht, Gut und Böse…
Von den Folgen seien nicht nur die der Kirche Fernstehenden betroffen: „Die Säkularisierung hat zwei Generationen von Katholiken geformt, die die Grundgebete der Kirche nicht mehr kennen. Viele sehen keinen Wert in der Teilnahme an der heiligen Messe, unterlassen es, das Bußsakrament zu empfangen, und haben oft den Sinn für das Geheimnis oder die Transzendenz verloren als etwas, das reale und nachweisbare Bedeutung hat.“
Eine Art Neuheidentum hat sich in der Kirche etabliert: Mitbürger, die zwar „r.k.“ in den Dokumenten stehen haben, die Kirchensteuer zahlen, in Statistiken als Christen geführt werden, aber jede lebendige Beziehung zur Kirche längst verloren haben. Ich kenne diesen Zustand, weil ich auch zu dieser Kategorie gehört habe. Was diese Menschen brauchen? Eine klare Verkündigung, das Zeugnis von Laien, die den Glauben erkennbar ernst nehmen und bereit und imstande sind, der totalitären Gender-Ideologie entgegenzutreten.
Denn diese verkündet ein anti-christliches Menschenbild: Das Ideal vom autonomen Menschen, der sich über seine natur- sprich gottgegebene Befindlichkeit hinwegsetzt und nach eigenem Belieben konzipiert. Ein umfassendes Konzept vom Menschen, das zunehmend totalitär durchgesetzt wird, indem es die bisher anerkannten, christlich geprägten Fixpunkte der Orientierung relativiert, um die neue Lehre, auch durch Sanktionen,  zu etablieren.
Charles Chaput, damals Erzbischof von Denver, USA, beschrieb im Sommer 2010, bei einem Vortrag in Spišské Podhradie, Slowakei, die Situation so:
„Die religiöse Freiheit der Kirche ist heute auf eine Art und Weise bedroht, wie sie es weder in der nationalsozialistischen noch in der kommunistischen Ära gewesen war. (…) Es existiert eine Art von innerer Logik, die vom Relativismus zur Repression führt. Dies erklärt auch das Paradoxon, warum die westlichen Gesellschaften zwar Toleranz und Respekt für Andersartige predigen, aber ein Leben nach der katholischen Lehre aggressiv untergraben. Diese Toleranzprediger können nicht akzeptieren, dass die Kirche manche Gedanken und Verhalten nicht tolerieren darf, weil sie uns entmenschlichen und uns unsere menschliche Würde nehmen. Die Lehre, alle Wahrheiten seien relativ, kann es nicht zulassen, dass einige Wahrheiten nicht unter diesen Relativismus fallen.“
Uns dieser Situation zu stellen, ist die Herausforderung im Jahr des Glaubens. Das bedeutet vor allem für jeden von uns, sich die Mahnung des Apostels Paulus: „Wer also zu stehen meint, der gebe acht, dass er nicht fällt,“ (1Kor 10,12) zu Herzen zu nehmen.
Und der beste Weg dazu, ist klar: Sich täglich neu im lebendigen Gott zu verankern, dem „alle Macht gegeben (ist) im Himmel und auf der Erde.“ (Mt 28,18)

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