VISION 20004/2002
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Fürchtet euch nicht!

Artikel drucken Durch Leiden führt der Papst die Kirche ins 3. Jahrtausend (Von Christof Gasparl)

“Fürchtet euch nicht!" hallte es über den Petersplatz. Es waren seine ersten Worte, als er nach der Papstwahl 1978 vor die dichtgedrängte Menge auf dem Petersplatz trat. “Öffnet die Tore weit für Jesus Christus!" rief Johannes Paul II. der Welt zu.

Ich werde diesen Moment nie vergessen. “Petrus für unsere Tage", schoß es mir durch den Kopf. “Ein Papst aus Galiläa", wird der französische Schriftsteller André Frossard schreiben.

Für die Medien war die Nachricht ein Knüller: ein Nicht-Italiener, relativ jung, aus einem kommunistischen Land, sportlich, der auf Reisen ging, Hunderttausende mobilisierte, mit ihnen sang... Eine Unzahl von Biographien entstand, viele Bestseller, scharenweise begleiteten die Journalisten den Papst von Kontinent zu Kontinent.

Johannes Paul II. wurde zum “Darling" der Medien: gutaussehend, selbstbewußt, stark, sprachengewandt. Ein Mann, der weltlichen Erfolgskriterien entsprach, auf dem Stuhl Petri! Er hätte ebenso gut einen Sportler, einen erfolgreichen Künstler, einen weltgewandten Manager, einen charismatischen Politiker - kurz, einen Star nach dem Maßstab der Welt abgegeben.

Schon in dieser Zeit des Überschwangs war jedoch nicht zu übersehen, daß dieses moderne Auftreten des Papstes mit ziemlich “konservativen" Aussagen einherging. Diese Punze bekam er daher schon ab 1978 etwa von der französischen Tageszeitung “Le monde", die dieses Faktum irritiert vermerkte. Man tat sich schwer, ihn einzuordnen; so zeitgemäß in seinem Auftreten - und so “rückständig" in seiner Lehre! Wie kann er nur?

Und dann das Attentat: Wird er es überleben? Wie rasch erholt er sich? Wer steckt hinter dem Attentat? Alles erstklassige Medienthemen. Sie überlagerten zunächst den wachsenden Unmut über seine konservative Verkündigung.

Trotz der raschen gesundheitlichen Wiederherstellung (Attentat im Mai 1981, Afrika-Reise im Februar 82) stand von da an die Frage im Raum: Wird er noch der Alte sein können? Und bald lautete die Diagnose: etwas eingeschränkt im Vergleich zu früher.

Wirklich zum Thema wurde die Gesundheit des Papstes schließlich 1992, als sich Johannes Paul II. einer Darmoperation unterziehen mußte: Krebs - oder doch nicht? Dann 1994 eine Operation am Schenkel: ein Papst, der hinkt... Spätestens von da an begann das Spiel mit den Spekulationen über die Ära nach Johannes Paul. Nun wurde offen ausgesprochen, daß sein gesundheitlicher Zustand die Kirche schwäche.

Als dann die Anzeichen seiner Parkinson-Erkrankung unübersehbar wurden, gehörte es bald zum guten Ton, den Papst zum Rücktritt aufzufordern. Anläßlich seines 82. Geburtstages war das Thema ein Medienschlager. Man konnte lesen, daß Johannes Paul II. ein “Gefangener seines Amtes" sei, ein “reisender Schatten", daß “nun der letzte Funke von Glaubwürdigkeit" verlorengehe. 82 Prozent der deutschen Katholiken wünschten seinen Rücktritt, erhob ein Meinungsforschungsinstitut.

Wie soll man mit solchen Meldungen umgehen? Ich denke, sie laden dazu ein, über den Petrusdienst nachzudenken - und sich aufgrund eines vertieften Verständnisses ein Urteil zu bilden.

Der Herr bezeichnet Petrus als den Fels, auf den er Seine Kirche baut (Mt 16,18). Fels zu sein, ist also das Charisma des Papstes. Und wie großartig strahlte es während des Pontifikats Johannes Paul II. auf! Er hat uns mit seiner selbstverständlichen Art zu glauben mitgerissen, hat die Jugend angesprochen, den Gläubigen Mut gemacht, ihr Leben ganz im Licht des Evangeliums zu gestalten.

Während seines Pontifikats ist die Zahl der Priester wieder angestiegen, haben sich die Priesterseminare - leider noch nicht im deutschsprachigen Raum - wieder gefüllt.

Zu den wesentlichen Fragen unserer Zeit (Fragen des Lebens, des Friedens, der Wirtschaft, der sozialen Ordnung, der Wahrheit, der Einheit der Christen...) hat er Stellung bezogen: Unpolemische, treffende Antworten aus dem Evangelium. Es zahlt sich aus, Evangelium vitae oder Veritatis splendor zu lesen. Da spricht die Kirche keineswegs in einer Sprache von gestern, die keiner verstehen kann. Nein, wer hören will, der kann es heute auch.

In den Lehrschreiben dieses Pontifikats wird offenbar: Im Grunde genommen ist die Katholische Kirche die letzte und einzige, allgemein hörbare Stimme, die es wagt, sich mit dem Zeitgeist anzulegen, die moderne Tabus angreift und eine christliche Vision für heute und morgen vorstellt.

Und das ist auch der tiefere Grund, warum der Papst viele so irritiert. Weil ihm eine Autorität zukommt, die für den modernen Menschen ein Ärgernis ist. Denn der autonome Mensch, der heute als Leitbild vor Augen steht, will sich seine Normen selbst geben. Er verträgt auf keinen Fall, daß man seinem Gestaltungswillen Grenzen setzt, daß man ihm sagt, es gäbe eine Wahrheit, die auch für ihn gilt, ob er sich dieser Tatsache nun stellt oder nicht.

Und der Papst, der Petrus, ist jene Gestalt, die diese zeitlos gültige Wahrheit authentisch vertritt.

Dies geschieht aber keineswegs nur im intellektuellen Diskurs, in der verbalen Verkündigung - so wichtig diese auch ist. Damit diese Botschaft auch glaubwürdig ist, bedarf es vor allem auch des Lebenszeugnisses. Und damit kehren wir zur Frage des Rücktritts des Papstes zurück.

Petrus ist vor allem selbst Zeuge des Glaubens mit dem Auftrag, seine Brüder zu stärken. “Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder" (Lk 22,31ff) sind die Worte an den Petrus.

Es sind Worte an einen schwachen Menschen, der sich zu bekehren hat. Petrus ist nicht deswegen Fels der Kirche, weil er vor Kraft strotzt und mit edlen Charaktereigenschaften ausgestattet ist. Nein, seine Fähigkeit, Fels zu sein und seine Brüder zu stärken, verdankt er dem Gebet des Herrn.

“Liebst Du mich?", ist daher auch die einzige Frage, die der Herr an Petrus richtet, bevor er ihn beauftragt, Seine Schafe zu weiden (Joh 21,17). Der Nachfolger Christi muß vor allem anderen den Herrn lieben, um offen für dessen machtvolles Wirken zu sein. Alles wirklich Entscheidende spielt sich also in dieser Liebesbeziehung zwischen dem Herrn und Petrus ab. In dem Maß, in dem Petrus den Herrn liebt, wird er offen für dessen Wirken, wird er zum Felsen der Kirche, kann er seine Brüder stärken.

Fragen wir uns doch ehrlich: Wird nicht gerade in dem Leidensweg Johannes Paul II. in ganz besonderer Weise die Liebe des Papstes zu Jesus Christus offenkundig? Wir glauben doch daran, daß der Herr mit Seinem eigenen Leiden die Welt erlöst hat. Warum nehmen wir dann daran Anstoß, wenn Johannes Paul II. ihm leidend auf diesem Weg nachfolgt?

Zum Amt gehöre unbedingt die Fähigkeit, es auszuüben, heißt es. Fragt sich nur: Warum sollte man die Art der Amtsausübung nicht an den Gesundheitszustand des Papstes anpassen? Es steht doch nirgends geschrieben, daß er unzählige Menschen Woche für Woche empfangen muß. Es ist kein Muß, daß er wöchentlich Generalaudienzen hält, ausländische Botschafter empfängt. Vieles davon kann er delegieren. Und dabei: Trotz aller negativer Kommentare bewältigt Johannes Paul II. ein enormes Programm. Man lese einmal nach, was er so in einer normalen Arbeitswoche alles erledigt, wieviele Menschen er empfängt! Und selbst wenn er noch schwerer in der Ausübung seiner Funktionen behindert sein sollte - na, dann werden eben eine zeitlang keine Lehrschreiben verfaßt und keine Posten neu besetzt.

Der Papst spielt eben nicht eine Rolle, die ihm langsam zu schwer wird. Er ist Petrus, der seine Aufgabe jetzt in einer geänderten Form erfüllt: In seiner Schwachheit wird er noch deutlicher als in den Jahren, in denen er vor Kräften strotzte, als Werkzeug Christi erkennbar. Heute verkündet er das Evangelium in einer neuen Form, in der des mutig auf sich genommenen Leidens.

Schon 1994 hatte er gesagt: “Ich habe jetzt verstanden, daß ich die Kirche Christi im Gebet ins dritte Jahrtausend hinüberführen muß. Aber ich habe auch gesehen, daß das nicht ausreicht: Man muß sie im Leiden hinüberführen."

Sind wir da nicht am Kern der Botschaft Christi? Erfahren wir nicht da erst wirklich, warum der Appell des Papstes “Fürchtet euch nicht!" gerade in unserer Zeit, die so viel Anlaß zum Fürchten gibt, seine Berechtigung hat? Die Furchtlosigkeit des Christen rührt nicht daher, daß ihm Gott auf ebenen Pfaden alle Hindernisse aus dem Weg räumt und ihm damit ein angenehmes Leben garantiert. Diese Veheißung stammt eher aus dem Werbefernsehen.

Nein, der Aufruf zur Furchtlosigkeit gründet in der Überzeugung, daß Gott alles - auch großes Leid - zum Guten wendet. In Gottes Hand wird alles zum Heilsweg - wenn wir Ihn nur walten lassen.

Und genau das bezeugt Johannes Paul II. derzeit vor laufenden Kameras und umgeben von bissigen Kommentaren: Er geht unverdrossen auf dem Weg, den der Herr ihn führt, im Vertrauen darauf, daß Gott besser als die “wohlwollenden" Kommentatoren weiß, wie es um den Papst steht.

Und was können wir, die einfachen Leute, tun? Nicht an der Gerüchtebörse mitsteigern, sondern für Petrus beten. Zu seinem Geburtstag bat der Papst die Jugendlichen, die ihm gratulierten, um “geistliche Unterstützung, um getreulich in dem Amt fortzufahren, das der Herr mir anvertraut hat."

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