VISION 20004/2002
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Unterscheidung tut not

Artikel drucken Wichtige Unterschiede im Glauben und im Gottesbild von Christen und Muslimen (Von Wolfram Schrems)

Wir haben uns schon mehrmals in letzter Zeit mit dem Islam beschäftigt - für Christen eine Notwendigkeit, weil er uns in Europa immer häufiger begegnet. Glauben die Muslime an denselben Gott? Bedürfen sie überhaupt der Verkündigung der Frohen Botschaft? Und wie geht es Muslimen, die Christen werden: Fragen, denen im folgenden Beitrag nachgegangen wird.

Einige Erlebnisse: Ein erst seit kurzem getaufter Christ aus einem islamischen Land weist mich auf eine Koranstelle hin. Sie lautet (Sure 9,30): “Und es sprechen die Juden: ’Uzair [= Esra] ist Allahs Sohn.' Und es sprechen die Nazarener[=Christen]: ’Der Messias ist Allahs Sohn.' Solches ist das Wort ihres Mundes. Sie führen ähnliche Reden wie die Ungläubigen von zuvor. Allah schlag sie tot! Wie sind sie verstandeslos!" (Übersetzung Max Henning, reclam). Er ist ziemlich aufgebracht über diese Stelle. Er meint, daraus ergebe sich, daß eigentlich Bin Laden als guter Moslem gelten müsse.

Ein für seine Annäherungen an den Islam bekannter Priester verteidigt bei einem Studientag zum Islam in Innsbruck gegen meinen Einwand der Grausamkeit des islamischen Strafrechts das Handabhacken für Diebstahl mit dem Argument, ein solcherart behandelter Mensch werde ja dann durch die Gemeinschaft erhalten.

Ein Seelsorger erzählt über einen - mir persönlich bekannten - neugetauften Christen, Flüchtling aus einem islamisch verfaßten Staat, der zwei Jahre im Gefängnis war und dort mißhandelt wurde, weil er in Konversionsabsicht Kontakt mit Christen aufgenommen hatte. Dieser Flüchtling kommentierte diese Erfahrung so, daß dies für einen Christen einfach dazugehöre.

In einem Leitartikel einer österreichischen Kirchenzeitung lese ich, daß sowohl im Christentum als auch im Islam “die Gläubigen auf eine Offenbarung Gottes blicken (können), in der die eigene Glaubensrichtung legitimiert ist. Warum sich Gott in unterschiedlicher Weise zeigt und unterschiedliche Religionen zuläßt, wissen wir nicht."

Soweit ein paar Erlebnisse. Dazu zwei theologische und eine seelsorgliche Überlegung:

1. Die Unterscheidung zwischen einem “fundamentalistischen" und einem “europäischen" (“toleranten") Islam, oder die häufig verwendete Unterscheidung “Islamismus" als politische Ideologie und “authentischer Islam" als rein religiöse Lehre ist als unzutreffend zurückzuweisen. Der Islam ist von seiner Idee und seinen Anfängen her immer “Religion und Staat" - im Gegensatz zum christlichen Selbstverständnis.

Wer an der Irrtumslosigkeit des Koran festhält, der die Unterwerfung der nicht-islamischen Räume zwingend vorschreibt, muß sich für die Ausbreitung der islamischen Macht einsetzen. Dabei gestattet der Koran ausdrücklich die Verstellung und den inneren Vorbehalt, wenn sie der Ausbreitung des Islam dienen (vgl. Sure 16,106 u. a.). Grundsätze haben dann auch Auswirkungen.

Man fragt sich: Wie kommt es dann, daß man ausdrücklich vorgetragene Überzeugungen für nicht maßgeblich für das Handeln hält? Viele Stellen im Koran rufen zur Gewalt auf, geistig-geistlich und physisch. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum. Es macht den Eindruck, als würde sich das Drama von Biedermann und den Brandstiftern gerade in der europäischen Realität abspielen.

2. Mohammed habe - islamischen Quellen zufolge - in mehreren Visionen die Offenbarungen eines Geistes empfangen, der sich als “Gibril" (“Gabriel") vorgestellt habe. Er habe ihn gewürgt und gezwungen, ein Buch zu schlucken. Sodann habe Gabriel Mohammed unter anderem folgendes diktiert: “Wahrlich, ungläubig sind, welche sprechen: ’Siehe, Allah, das ist der Messias [=Christus ist Gott], der Sohn der Maria.' Und es sprach doch der Messias: ’O ihr Kinder Israels, dienet Allah meinem Herrn und euerm Herrn.' Siehe, wer Allah Götter an die Seite stellt, dem hat Allah das Paradies verwehrt, und seine Behausung ist das Feuer ..." (Sure 5,27, vgl. auch Sure 112)

Da stellt sich doch die Frage: Das soll derselbe Erzengel Gabriel sein, der Maria die Empfängnis des Herrn verkündet hat?

Im 1. Johannesbrief (2,22.23a) heißt es: “Wer ist der Lügner, wenn nicht der, der leugnet, daß Jesus der Christus ist? Das ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Wer den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht." Wenn dieser “Gabriel" aber nicht der Erzengel der Hl. Schrift ist, wer ist er dann?

Erst recht ist das Kreuz ein Ärgernis, das der Islam auch ausdrücklich leugnet. Gekreuzigt wurde ein anderer (Judas oder Simon von Cyrene oder sonst wer). Schon die antike Gnosis hat das Ärgernis des Kreuzes auf diese Weise, wie später der Islam, mitsamt der Lehre von der Erbsünde und der Erlösungsbedürftigkeit weggewischt. Wem fällt da nicht 1 Kor 1,22 ff ein? Wenn es schon im Zentralen einen solchen Abgrund an Unterschieden gibt, wie stark muß dann folgerichtig erst die Praxis auseinander klaffen?

Daraus folgt, daß man als Christ unmöglich von einer Offenbarung Gottes im Islam sprechen kann.

3. Einerseits ist der Islam Missionar und Kolonialist in Europa und Unterdrücker in vielen asiatischen und afrikanischen Ländern. Andererseits muß man als Christ immer berücksichtigen, daß die Muslime selbst nicht nur Täter, sondern vor allem und zunächst auch Opfer dieser Lehre und Praxis sind.

Die Knechtung durch ein geistiges und alle Lebensbereiche totalitär bestimmendes gesellschaftlich-politisches System bedrückt im Grunde genommen alle ihre Anhänger.

Es ist eine beobachtbare Tatsache, daß viele Muslime, ob entschiedene oder “Kulturmuslime", unter der Belastung des Islam selbst seelisch schwer leiden. Die fünfmalige Niederwerfung am Tag, von der der Moslem nie sicher sein kann, ob sie für die Zulassung zum Paradies ausreicht, gleicht einer Zwangshandlung ohne jegliche innere Evidenz, ist also dem Inneren Gebet im christlichen Glauben (auch der “Nacht der Sinne" ) in keiner Weise ähnlich.

Ein besonderes Moment der seelischen Belastung ist die Vorherbestimmung zur Verdammnis, gem. Sure 7, 178f: “Wen Allah leitet, der ist der Geleitete, und wen er irreführt, das sind die Verlorenen. Und wahrlich, wir erschufen für Dschahannam (= Hölle) viele der Dschinn (= Geister) und Menschen."

Was im Christentum durch ungenaue Unterscheidungen und mangelnde Kenntnis schon viele verwirrt hat, nämlich die Frage von Vorherbestimmung und Freiheit, ist im Islam Teil des als “unfehlbar" bekannten Koran. Solche Aussagen und die dunklen Quellen ihrer Inspiration müssen sich bei den Gläubigen ja irgendwie auswirken.

Aber das Wichtigste ist das: Die Aussagen, daß Gott “die Liebe" ist (1 Joh 4,8.16), daß die Liebe die Erfüllung aller Gebote ist (Mt 22,37-40) und daß Christus selbst im Leidenden die Zuwendung der Gläubigen empfängt (Mt 25,40), stehen in einem nicht größer zu denkenden Kontrast zu Angst und gesetzlicher Buchstabenreiterei im Islam.

Wer nicht von der Liebe inspiriert ist, wird sie auch nicht leben. Wessen Gott nicht Liebe ist, der wird auch keine caritas hervorbringen. Und das, was wir in der Kirche unter Caritas verstehen, also diejenige Geisteshaltung und Organisation, die prinzipiell allen Bedürftigen hilft, ohne auf Rasse und Religion zu schauen, gibt es im Islam nicht. Das ist mir aus meiner eigenen Erfahrung in Bosnien wohl vertraut.

Aus dem Zwang zur strengen Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften, das heißt zur Selbsterlösung, erklärt sich auch der Mangel an Selbstdistanz, an gesundem Maß und an Humor, der letztlich aus der Erlösung stammt. Diese drei Qualitäten bemerke ich aber bei denjenigen Neuchristen, die den Schritt aus dem Islam in die Kirche getan haben.

Es sind Menschen verschiedener Nationen, die schon in ihren Heimatländern oder auch bei uns das Evangelium entdeckt haben, und sich durch innere und äußere Widerstände hindurch zum Eintritt in die Kirche entschlossen haben. (Ich habe auch schon die Auffassung gehört, daß die islamische Revolution im Iran 1979 “ein Segen" gewesen sei, weil durch die Massenemigration viele Perser im Ausland den Weg zum christlichen Glauben gefunden hätten.)

In einem intensiven Katechumenat werden dabei noch offene Fragen geklärt. Es erstaunt immer wieder, wie gründlich die Konvertiten die katholischen Glaubensinhalte erfassen (die bei uns meist aufgrund falscher Rücksichtnahme verschämt versteckt werden).

Einer der Konvertiten erklärt beispielsweise, daß ihm anhand der Bedeutung Marias im katholischen Bekenntnis die Menschwerdung deutlicher klargeworden ist als im protestantischen Glauben.

Ich meine also, daß Christen, die es aus falsch verstandener Toleranz ablehnen, den Muslimen das Evangelium anzubieten, ihnen damit den einzigen Weg zur geistlichen Befreiung vorenthalten. Sie fallen allen Muslimen in den Rücken, die sich vom Einfluß der islamischen Bindung, das heißt auch vom Einfluß islamischer Organisationen, loslösen wollen.

Daß ehemalige Muslime, die jetzt Christen sind, nach heftigem inneren Kampf den Weg in die Kirche als ungeheures Befreiungserlebnis erfahren, sollte eigentlich ein überzeugendes Argument für eine Evangelisation sein, die auch die Tiefenschichten der Seele erreicht.

Wer immer wieder betont, wie befreiend das Evangelium ist, wie sehr es gegen “repressive Strukturen" gerichtet ist, und wie wichtig eine “Theologie der Befreiung" ist, muß eigentlich auch dagegen sein, daß eine Milliarde Menschen in größter innerer, seelischer Unfreiheit leben, die sich im gesellschaftlichen und politischen System eins zu eins abbildet (wie auch sonst?).

Was ist also zu tun? Meines Erachtens drei Dinge:

Erstens sollte sich jeder Christ um intensive Kenntnisse des Islam (das heißt der maßgeblichen Texte, das ist vor allem der Koran) und seiner Geschichte, die man zu Recht als Interpretationshilfe desselben heranziehen wird, bemühen.

Das wäre gleichzeitig eine Gelegenheit, sich in die Grundlagen des eigenen Glaubens zu vertiefen. Die Kenntnisse der Hl. Schrift und der kirchlichen Lehrdokumente sind auch unter engagierten Katholiken meistens völlig unzureichend. Ohne dieses Wissen bei den Christen können geschickte Propagandisten nicht- und antichristlicher Bewegungen ungehindert manipulieren.

Zweitens ist es nötig, für die verfolgten Brüder und Schwestern im Glauben in den islamischen Ländern humanitär und politisch einzutreten. Angesichts des Schweigens im Westen müssen sich diese ohnehin vergessen und verraten fühlen.

Drittens wird es wichtig sein, den nichtchristlichen Einwanderern und Flüchtlingen persönlich das Evangelium anzubieten und sie zum Eintritt in die Kirche einzuladen. Das könnte eine besonders von den Pfarrgemeinderäten im Rahmen von Hausbesuchen wahrzunehmende Aufgabe sein.

Es ist immerhin der ausdrückliche Wunsch des Papstes, Flüchtlingen und Einwanderern sowohl mit karitativer Hilfestellung zu begegnen, als auch ihnen die ausdrückliche christliche Botschaft zu verkünden.

Bei der Frage des praktischen Zusammenlebens von Christen und Moslems darf man jedenfalls zwei Ebenen nicht miteinander verwechseln: Die eine ist das bürgerliche und gesetzlich geregelte Zusammenleben in gemischten, aber grundsätzlich menschenrechtlich und rechtsstaatlich geordneten Gesellschaften. Hier soll ein menschlich zuträglicher Standard gepflegt werden.

Das entbindet Christen jedoch auf einer zweiten Ebene nicht von der Verpflichtung, theologischen Vermischungen entgegenzutreten und die Botschaft des Evangeliums unverfälscht anzubieten. Nur so leistet man auch einen Dienst an den nichtchristlichen Einwanderern. Ganz abgesehen davon, daß die Muslime ohnehin bald merken, ob man ihnen eine “Evangelium-light"-Version auftischt, was sie - nicht zu Unrecht - als beleidigende Unaufrichtigkeit empfinden müßten.

Und im übrigen werden wir als deutschsprachige Kirche auf dem Gebiet der Verkündigung von den Neuchristen arabischer, kurdischer, persischer und türkischer Muttersprache noch sehr viel lernen.

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