VISION 20005/2021
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Liebe erfahren zu dürfen – eine Gabe Gottes

Artikel drucken (Weihbischof Andreas Laun)

Ich kenne Adrian nicht wirklich, obwohl ich seine Eltern getraut und ihn getauft habe. Adrian ist das fünfte Kind der Familie und war  ein Wunschkind  und blieb es auch, als man von seiner Behinderung schon wusste.
Die Frage, ob er geboren werden sollte, beantworteten seine Eltern nicht, weil sie diese Frage gar nicht erst stellten – nur andere Menschen wahrscheinlich, nicht die Eltern Ronald und Thesi  und auch nicht die Geschwister. Und wenn überhaupt, fragte niemand offen!
Für mich ist noch besonders lebendig die Erinnerung an die zärtliche Liebe, mit der seine Schwester Amelie ihren neuen Bruder empfing und ihn viele Stunden lang in ihre Liebe einhüllte. Sie kuschelte sich an ihn, streichelte, küsste ihn ununterbrochen und verbrachte so die ersten Tage mit ihm und für ihn. Heute ist Amelie schon 20 Jahre alt, aber sie liebt den behinderten Bruder noch immer. Wo  immer es geht, nimmt sie ihn mit, auch zu ihren Freunden, so dass er heute einfach zum Freundeskreis dazu gehört.
So könnte man das Wort Liebe beschreiben: Nicht nur mit Romeo und Julia oder Dsamilja von Aitmatow oder Leonore und Florestan in Fidelio.  Es genügte  auch zu sagen:  „Wie Amelie mit ihrem Bruder Adrian“.
Adrian hat seit dieser ersten Zeit einiges dazugelernt. Über Liebe kann er zwar keine Vorträge halten, aber er weiß genug über das, was Liebe ist,  durch das Ja seiner Eltern zu ihm von Anfang an, durch das Ja seiner Geschwister und durch die Zärtlichkeit seiner Schwester Amelie.
Während ich das schreibe, denke  ich an meine eigenen Eltern, weil ich mit einer Hasenscharte zur Welt kam. Meine Mutter hätte Amelie sehr gut verstanden und Amelie meine Mutter. Es ist eine besonders kostbare Gabe Gottes, Liebe so und anders am eigenen Leib und bei anderen Menschen erlebt zu haben. Danke liebe Familie des Adrian, danke allen Menschen, denen ich begegnet bin und an denen ich gesehen und erlebt habe, was Liebe ist.
Man kann auch kürzer sagen: Denk an solche Erinnerungen, wenn Du wissen willst wie Gott ist.


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