VISION 20005/2004
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Kann man heute noch zölibatär leben?

Artikel drucken Aus einem Vortrag vor Priesterseminaristen

Jeder sehnt sich nach Liebe, Umarmung, Angenommensein, Hingabe, Ergänzung im anderen Geschlecht. Wie kommen unter solchen Voraussetzungen zölibatär lebende Priester mit dem Leben zurecht?

Zölibat heißt, der leiblichen, menschlichen Erfüllung zu entsagen und die ganze Sehnsucht auf Jesus Christus zu werfen, im Glauben, daß sie sich in Ihm geistlich erfüllen kann. Jesus Christus ist Person. Seine Liebe ist eine erfahrbare Realität. So wie der Mann der Frau und die Frau dem Mann sagt: Nur Du, so sagen Sie mit der Priesterweihe zu Jesus: Nur Du. Es muß eine Liebeserklärung sein.

Wie Eheleute sich das Versprechen zu lebenslanger Treue nur geben können, weil die Liebe zwischen ihnen entzündet ist, so können auch Sie dieses Versprechen Christus nur geben, wenn Sie sich in Ihn verliebt haben. Das ist der Anfang. Dann kommt die Arbeit im Eheleben ebenso wie im Priesterleben.

Wie bleibt die Liebe lebendig? Durch alles, was wir tun, um uns durch ein entschiedenes geistliches Leben für die Gnade empfänglich zu machen. Ohne täglich ausführlich mit dem zu sprechen, den wir lieben, ist es nicht möglich. “Betet, betet, betet!", sagt Maria bei all ihren Erscheinungen.

Die Quellen des Heils, die uns die Kirche erschließt, sind unerschöpflich: das tägliche Meßopfer, regelmäßige Reinigung in der Beichte, Betrachten der Heiligen Schrift, Fasten und Teilen, Anbetung des Geliebten im ausgesetzten Allerheiligsten, die Lehrschreiben des Heiligen Vaters, Wallfahrten zu Orten besonderer Gnade, geistliche Begleitung durch einen Freund Jesu...

Die heilige Hildegard sagt: “Überlegt gut, ob ihr in der Umarmung der göttlichen Geheimnisse leben könnt." Ein ganzes Leben lang. Der Weg der Heiligkeit heißt ja nichts anderes, als an der Liebesbeziehung zu Christus und allem, was Ihm angehört, festzuhalten. Groß ist die Gefahr, die erste Liebe zu verlieren, für Eheleute nicht minder wie für Priester.

Das Priesterseminar müßte eine Art Brautschule für das Leben mit Jesus sein. Sonst könnte in einiger Zeit der Vorwurf des Engels an die Gemeinde von Ephesus zutreffen: “Ich werfe dir aber vor, daß du deine erste Liebe verlassen hast. Bedenke, aus welcher Höhe du gefallen bist. Kehr zurück zu deinen ersten Werken. Wenn du nicht umkehrst, werde ich kommen und deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken. Doch für dich spricht: Du verabscheust das Treiben der Nikolaiten, das auch ich verabscheue." Und es sei auch die Verheißung zitiert: “Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht." (Offb 2,4-7)

Die Nikolaiten propagierten damals die sexuelle Ausschweifung. Sie tun es auch heute. Sie beherrschen die Medien. Es ist ihnen gelungen, die Gesetze so zu verändern, daß die Unzucht normal und legal wird. Sie sind sogar in die Kirche eingedrungen, wovon die Zeitungen hämisch berichten. Wir sind nicht am Ende dieses Prozesses. Die Pädophilen haben zum gleichen Feldzug angesetzt wie die Homosexuellen vor 30 Jahren. Wir können kaum eine Zeitung, eine Werbung oder einen Film anschauen, ohne sexuell aufgereizt zu werden. Wie soll man da zölibatär leben können?

Es ist, so sagen mir Priester, kein Können, sondern eine Gnade, die mit der Berufung und der Weihe geschenkt wird.

Wer könnte Ihnen diese Gnade wirksamer erbitten als Maria? Wer könnte ein vollkommeneres Vorbild sein? Was könnte Sie besser vor einer Verhärtung im Männlichen bewahren als die Verehrung der über alle Maßen schönen Mutter Gottes?

Wie der Gehorsam ist auch der Zölibat ein Stachel im Fleisch einer Gesellschaft, die den Sexualtrieb entfesselt hat und ihn vergötzt. Warum dieser Druck der Welt auf die Kirche, sie müßte den Zölibat aufgeben? Es geht sie doch gar nichts an, welches Opfer der Priester bringt, um in inniger Liebe mit Gott zu leben und die Kraft, die ihm daraus zufließt, den Menschen zuzuwenden? Dankbarkeit ist die einzig angemessene Haltung. Aber allein die Existenz des Zölibatären ist eine Anklage gegen die Sexsüchtigen. Jeder, der in Sünde verstrickt ist, möchte, daß alle sündigen, denn das entlastet - scheinbar - von der Schuld.

Weil Sie ja nicht nur Keuschheit gelobten, sondern auch Keuschheit zu verkündigen haben, möchte ich Ihnen einige Ergebnisse einer hochinteressanten sozialwissenschaftlichen Untersuchung mitteilen. Das Werk heißt: Sex and Culture und stammt von J.D. Unwin. Es wurde 1934 von der Oxford University Press veröffentlicht.

Der Autor sagt: “Hätte ich erkennen müssen, wie sehr ich meine persönliche Philosophie als Ergebnis dieser Studie ändern mußte, dann hätte ich vielleicht gar nicht begonnen."

Unwin untersuchte 80 sogenannte “unicivilized societies" und die Hochkulturen der Babylonier, Sumerer, Griechen, Römer und Angelsachsen, um dem Zusammenhang von Sexualität und Kultur auf die Spur zu kommen. In groben Zügen sind dies seine Ergebnisse:

Nur wenn in einer Gesellschaft die Frauen voreheliche Keuschheit bewahren, gibt es Gottesverehrung.

Wo unbegrenzte voreheliche sexuelle Freiheit gewährt wird, gibt es weder Gottesverehrung, noch Ahnenverehrung, sondern ausschließlich Natur- und Tierverehrung. Unwin spricht von zoistischen Gesellschaften. (Zoon heißt Tier.)

Der Wandlungsprozeß von einer Stufe zur anderen dauert drei Generationen. Das heißt: Wenn eine Gesellschaft drei Generationen lang völlige sexuelle Freiheit vor der Ehe gewährt, dann sinkt sie auf das unterste Niveau. Unwin wörtlich: “Die Begrenzung der sexuellen Triebbefriedigung muß als die Ursache des kulturellen Fortschritts betrachtet werden."

Ist das nicht interessant? Unsere eigene Erfahrung bestätigt diese Ergebnisse. Wir befinden uns im Verfallsstadium dieser Zivilisation.

Die Ergebnisse von Unwin erklären auch, warum es die Klöster waren, die die christlich-abendländische Kultur prägten. Und sie erklären, warum eine Gesellschaft, die immer entschlossener gegen die Kirche kämpft, ein Interesse daran hat, den Zölibat zu Fall zu bringen.

Sind die strengen Sexualnormen, die uns Jesus auferlegt, eine schwere, eine zu schwere Last? Die Untersuchung von Unwin zeigt: Ihre Einhaltung ist die Bedingung für die Blüte der Kultur. Jesus will, daß wir in der Fülle des Lebens, in entfalteter schöpferischer Kultur leben. Es ist ein Akt der Liebe, uns diese Gebote zu geben.

Gabriele Kuby

Aus: Die Sehnsucht einer Konvertitin nach heiligen Priestern. Von Gabriele Kuby, fe-Medienverlag, D-88353 Kisslegg, Tel: 0049(0)7563 92006, 80 Seiten, Euro 8,85

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