VISION 20005/2004
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Maria Orsola Bussone

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Karl-Heinz Fleckenstein)

Die ansteckende Freude von Maria Orsola, einem Teenager aus der Gegend von Turin, konnte selbst durch ihren tragischen Tod nicht ausgelöscht werden. Im Gegenteil: Seit damals hat sich das strahlende Lächeln der 16jährigen auf Tausende junger Menschen in aller Welt übertragen. (Leider haben wir nur diese eine, ernste Bild.) Der Seligsprechungsprozeß der Diözese Turin ist inzwischen abgeschlossen und wurde nach Rom weitergeleitet.

Maria Orsola hat am 2. Oktober 1954 in Vallo Torinese, einem Bergdorf in den Voralpen Piemonts, das Licht der Welt erblickt. Knapp 16 Jahre später, am 3. Juli 1970, starb sie während eines Ferienlagers mit ihrer Jugendgruppe an einem Elektroschock, während sie sich die Haare föhnte. Menschlich gesehen eine Tragödie. Kein Zweifel. Doch offenbarte dieser Tod die unauslotbare Tiefe ihrer Seele, die für viele junge Menschen zu einem Wegweiser für ihr Leben geworden ist.

Maria Orsola stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie. Intelligent, modern und dynamisch, liebte sie ihre Gitarre. Sie hatte eine herrliche Stimme und hatte bald eine Band auf die Beine gestellt. Ihr Lachen wirkte ansteckend. Und das Leben schien ihr dieses Lachen tausendfach zurückzugeben.

Ihre menschlichen Fähigkeiten, die sie so beliebt machten, erhielten eine neue Qualität, als sie mit 13 Jahren die geistliche Erneuerungsbewegung der Fokolare kennenlernte. Das Thema damals lautete: “Alle Menschen dürfen Gott dienen!" Dieser Gedanke traf das Mädchen tief ins Herz. “Alles darf in den Dienst Gottes gestellt werden", sagte sie sich. “Also auch mein Aussehen? Dann will ich mich hübsch machen, um dem Herrn noch mehr zu gefallen und ihn in allen Menschen zu lieben".

Als nach dieser Begegnung Maria Orsola nach Hause kam, hatte sie sich das Manifest dieses Kongresses zu eigen gemacht: “Willst du eine Stadt für die Liebe Christi erobern, ein ganzes Land in das Reich Gottes umformen, dann setz' dich hin und kalkuliere. Suche dir ein paar Freunde, die so denken wie du. Verbinde dich mit ihnen im Namen Jesu, stellt Gott auf den ersten Platz in eurem Leben. Dann schließe mit ihnen einen Pakt: Versprecht einander eine ununterbrochene gegenseitige Liebe, auf daß der Eroberer der Welt immer in eurer Mitte sei und euch in allem leite."

In ihrem Inneren war der Funke einer friedlichen Revolution gezündet - wie der Startpunkt für ein neues Leben. Und sie sprintete mit einem Elan los, als gäbe es einen 100-Meter-Lauf zu gewinnen. Tatsächlich erreichte sie in den letzten drei Jahren ihres Lebens eine beachtliche geistliche Höhe. Ihr natürliches Lächeln gewann eine solche Ausstrahlung, daß sie viele junge Menschen faszinierte.

Wenn man ihr Lebensprofil nachzuzeichnen versucht, stellt man fest, daß Maria Orsola ein Teenager wie alle anderen war. “Evviva la vita - es lebe das Leben!", schrieb sie am 21. Oktober 1968 in ihr Tagebuch. Sie liebte die Natur, die Freiheit, wie sie es in einem Schulaufsatz zum Ausdruck brachte: “Ich bin davon fest überzeugt, das kein Mensch das Recht hat, einem andern die Freiheit zu nehmen. Die Freiheit ist eines der höchsten Güter. Doch muß man sich davor hüten, sie mit Zügellosigkeit zu verwechseln; das wäre Selbstversklavung durch den eigenen Egoismus."

Maria Orsola liebte die moderne Musik. “Weil sie so dynamisch und voller Lebenskraft ist." Durch dieses Medium konnte sie nicht nur viele junge Menschen erreichen, sondern auch ihren Hunger nach dem Unendlichen hinausschreien:

“Auch ich suchte dich, Herr. Jetzt endlich weiß ich, wie nahe du mir bist.

Herr, laß mich eines Tages aufwachen und die Menschen singen hören, sie hätten endlich die wahre Liebe entdeckt, weil sie den Haß und die Kriege begraben haben.

Herr, ich möchte eine neue Welt sehen, die den Frieden in dir gefunden hat".

Bei einem internationalen Schülerwettbewerb zum Thema Europa hatte Maria Orsola den ersten Preis gewonnen. Ein Traum ging in Erfüllung: eine Rundreise quer durch Europa. In ihrem Fotoalbum sind viele Schnappschüsse davon festgehalten: in Luxemburg zu Füßen eines steinernen Elefanten; in Paris vor dem Louvre; in Belgien vor einer romanischen Basilika...

Bei allem, was sie unternahm, blieb sie durch und durch ein junger Mensch unserer Zeit.

Der hochtourige Motor ihres Denkens und Handelns wurde jedoch angetrieben von einer unbändigen Liebe zu Jesus aus dem felsenfesten Glaube an seine Gegenwart. Diese Realität wurde mehr und mehr zum Geheimnis ihres Erfolgs mit dem Gütezeichen ihrer praktizierenden Liebe und Hilfsbereitschaft, vor allem zu den Mitgliedern ihrer Familie. Liegt doch gerade dort der Prüfstein jeglicher Echtheit; denn wie schnell kann es passieren, dass man in der ersten Begeisterung meint, man müsse die Welt nach außen verändern, aber im engsten Familienkreis lässt man sich genau so gehen wie vorher.

Obwohl ihr Tod so tragisch und überraschend kam, stimmen alle, die an diesem Tag mit Maria Orsola zusammen waren, darin überein, daß sie am Totenbett wie in eine Wolke des Friedens eingetaucht waren. Normalerweise ist eine Beerdigung nicht gerade ein froher Anlaß, doch hier läuteten die Osterglocken, und die Priester waren alle in Weiß gekleidet. Die jungen Leute trugen den Sarg ihrer Freundin hoch über den Köpfen wie im Triumphzug zum Friedhof. An ihrem Grab sang man ihre Lieblingslieder, die von der Liebe zu Jesus und zu Maria sprachen. Viele der Umstehenden kamen immer wieder zu der gleichen Aussage: “Wir konnten nicht für die Ruhe ihrer Seele beten, wir beteten zu ihr, sie möge uns durch ihre Fürbitte bei Gott helfen, den Frieden in unserer Umwelt aufzubauen, einander zu lieben und Gutes zu tun."

Heute ist ihr Grab täglich von Besuchern umgeben. Manchmal sind es Menschen aus aller Welt.

Das wahre Gesicht von Maria Orsola kam erst nach ihrem Tod so richtig ans Licht, wie es bei authentischen Christen ja immer geschieht. Ihre Mutter drückt es so aus: “Die Tiefe der Seele meiner Tochter habe ich erst nach ihrem Tod richtig verstanden. Auch warum sie jedes Opfer auf sich nahm, um täglich Jesus in der heiligen Kommunion zu empfangen."

Johannes Paul II. rief am 3. September 1988 im Sportstadion von Turin den dort versammelten 60.000 Jugendlichen zu: “Ich bin ganz einverstanden mit euch. Christsein heute bedeutet, gegen den Strom zu schwimmen. Das heißt gegen die allgemeine Ansicht von sexueller Freizügigkeit, gegen Erfolgsstreben um jeden Preis, gegen die Sucht, alles nach dem äußeren Schein zu beurteilen. Wollt ihr den Stil der Liebe Christi annehmen, dann bereitet euch darauf vor, mit Ihm und wie Er zu leiden. Ich erinnere dabei an Maria Orsola, die ihrem Seelsorger Don Vincenzo ein Geheimnis anvertraut hatte: ’Ich bin bereit, mein Leben hinzugeben, damit die Jugend kapiert, wie wunderbar es ist, Gott zu lieben'. Und der Herr hat die 16jährige tatsächlich beim Wort genommen. Erst jetzt verstehen wir tiefer, wie Maria Orsola wirklich war. Nun begreifen wir das Warum ihrer Heiterkeit und ihres Lächelns."

Hier liegt wohl das Geheimnis ihres Lebens: von Jesus selbst in Besitz genommen zu sein und Ihn vielen anderen Menschen weiterzuschenken. Durch Ihn hatte sie jene geistliche Reife erlangt, die kein Alter kennt.

In ihrem Tagebuch finden sich Worte, die etwas von diesem Geheimnis verraten:

“Meine Berufung als Christin sehe ich darin, die Liebe Gottes den andern Menschen mitzuteilen. Ich bin zwar nichts und Gott ist alles! Wenn sich doch alle Menschen bewußt machen könnten, daß sie einander nichts anderes schuldig sind als Gutes zu tun. Sagt doch Jesus selbst, daß alles, was wir dem Geringsten tun, für Ihn selbst getan haben. Trotzdem bleiben wir unnütze Knechte, weil im Grunde Gott niemanden nötig hat. Was er aber braucht, ist einzig und allein unsere Liebe."

“Ich bin nichts, Du bist alles, habe ich heute Jesus in der Kommunion wiederholt. Deshalb will ich heute jedem Menschen in seiner Liebe begegnen."

Es ist eine sehr interessante Beobachtung - man mag sie vielleicht kritisieren-, die der russische Schriftsteller Dostojewski macht, wenn er schreibt: “Wollt ihr den Menschen in seinem Innersten kennenlernen? Wollt ihr herauskriegen, wie viel ein Mensch wert ist? Beachtet nicht sein Schweigen, hört nicht auf seine Worte. Laßt euch nicht von seinen Tränen beeindrucken! Vielmehr beobachtet die Art seines Lächelns. Ist sein Lächeln gut, dann ist auch der Mensch gut".

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