VISION 20005/2004
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Ich regle das selbst mit meinem Gott

Artikel drucken Die Beichte: eine umwerfende Erfahrung

Viele sagen: Meine Sünden - das mach' ich mir selbst mit dem Herrgott aus. Wozu einen Priester? Und: Ist es nicht ehrlicher direkt mit Gott zu reden? Im folgenden eine Antwort.

In den archaischen Religionen gibt es Spezialisten für das Heilige: Hexer, Magier, Medien, Schamanen usw. Sie sind sozusagen Mittler zwischen der Gottheit und dem Volk, zwischen “Himmel" und Erde. Sie allein kennen die Geheimnisse der Götter und jene Riten, die ein gutes oder böses Los beschwören. Man billigt ihnen Fähigkeiten zu, die andere nicht haben - entweder, weil es besondere, über den Rest der Sterblichen herausragende Menschen sind oder weil sie zu einer besonderen Kaste gehören.

Das Evangelium hat dieser heidnischen Vorstellung von Religion ein Ende bereitet. Nunmehr gibt es keinen Platz für solche Vermittler, denn “einer ist Gott, einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus" (1Tim 2,5). Zugleich ist Jesus unumgänglich, denn, “es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen." (Apg 4,12)

Das ist die große Offenbarung, die uns am Abend des Gründonnerstag dank der naiven Frage: Wir kennen den Weg nicht?, der Apostel Thomas und Philippus zuteil wurde. Darauf antwortet Jesus: “Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben." (Joh 14,6) Wer kann uns den Vater zeigen, den unsichtbaren Gott? Jesu Antwort: “Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Niemand kommt zum Vater außer durch mich." (Joh 14,6-9)

Trotz allen Anscheins ist also die Vorstellung, man könne sich direkt mit Gott kurzschließen, durchaus nicht christlich. Es ist eine andere Form des Heidentums. Man begegnet ihr im Dunstkreis des New Age und in Programmen zur Persönlichkeitsentwicklung oder der spirituellen Erweckung. Im Grunde genommen handelt es sich um den Anspruch, sein eigener Priester sein zu wollen, um die Anmaßung Wissen und Macht zu erlangen, die einen Zugriff auf Gott ermöglichen. Im Grunde genommen ist es das Bemühen, sich selbst retten zu wollen durch Askese, Konzentrationsübungen oder rechte Gedanken.

All das hat Auswirkungen auf die Versöhnung des Sünders mit Gott. Man sieht das sehr gut in den synoptischen Evangelien, in einer farbigen Szene: Die Vergebung und die Heilung, die dem Gelähmten zuteil werden, den die vier Männer herbeischaffen. Jesus unterbricht das Raunen ringsum, den Streit mit den Schriftgelehrten, die Proteste der Pharisäer - gestern wie heute. Er verkündet die Frohe Botschaft: Die Vergebung ist nicht mehr eine unerreichbare Gegebenheit im Himmel. Von nun an geschieht sie hier auf Erden, in der Geschichte, weil “der Menschensohn Vollmacht hat, hier auf Erden Sünden zu vergeben." (Lk 5,24) Markus und Lukas streichen die Verblüffung der Menge heraus. Matthäus liefert eine Erklärung dafür: Die Menschen priesen Gott, “der den Menschen eine solche Vollmacht gegeben hat." (Mt 9,8)

Dieses Wort in der Mehrzahl ist bedeutungsvoll. In der Nachfolge der Apostel erhalten die Priester den Auftrag, also auch die Macht, Sünden zu vergeben. Darin steckt allerdings keinerlei Magie. Sie setzen sich auch nicht an die Stelle des einzigartigen Retters: Sie vertreten Ihn, handeln an Seiner Stelle. Und das ist ein großer Unterschied.

Gott ist Mensch geworden, um die Menschen zu retten: Es wäre wahrlich unsinnig, wenn der auferstandene Christus auf diesen Kontakt mit den Menschen verzichtete. Die göttliche Gnade will uns wahrhaft und nicht nur gedanklich berühren: “Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert." (Joh 20,22)

So wie Christus der direkteste Weg zum Vater ist, so sind die Sakramente der Kirche der direkteste und sicherste Weg, um Christus zu begegnen. Wer vorgibt, sich “direkt" die Vergebung zu holen, der vergibt sich in Wahrheit selbst. Er rechtfertigt sich, indem er sich auf schöne Gedanken oder edle Gefühle, die man durchaus haben kann, verläßt. Weit davon entfernt, direkt zu sein, ist dies ein Weg, der sich im Grunde genommen auf Schlangenlinien durch unsere Subjektivität windet.

Man verstehe mich recht: Es ist nie schlecht, sich Gottes barmherzige Liebe ins Bewußtsein zu rufen. Es ist gut, wenn in uns ein Gefühl der wahren Reue wächst - das sind sogar die Ausgangspunkte jeglicher sakramentalen Vergebung. Was ich hervorheben möchte, ist: Wenn man es dabei beläßt, geht man am Wesentlichen vorbei. Wesentlich ist die Begegnung. Wie bei Zachäus im Evangelium: “Heute ist das Heil in mein Haus gekommen!" Ein Gnadenmoment, in dem das Jetzt der Vergebung dem Jetzt meiner Sünde begegnet. Auf die Knie fallen und sich von Christus sagen lassen: “Ich vergebe dir." Da geschieht etwas. Etwas Umwerfendes.

Alain Bandelier

Aus: Famille Chrétienne Nr. 1304

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