VISION 20005/2004
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Aus der Dunkelheit ins Licht

Artikel drucken Das geistliche Testament Henry Nouwens

Wer schon einmal durch eine längere Zeit tiefer Trauer und Angst gegangen ist, weiß wie aussichtslos das Leben sein kann. Da findet man plötzlich an nichts und niemandem mehr Gefallen, fühlt sich einsam und nutzlos, ohne ein Zuhause und von Gott verlassen. Das Essen schmeckt nicht mehr, das Zusammensein mit Freunden ist leer, die Schönheit der Welt erscheint als Greuel, das eigene Herz ist hart, und beten mag man schon gar nicht.

Meist wird eine solche Lebenskrise noch dadurch erschwert, daß man sich von niemandem verstanden fühlt. Für den schwierigen Ausweg aus der Verzweiflung braucht man aber einen Begleiter. Handelt es sich nicht um eine psychische Krankheit, kann auch ein Buch Hilfe zur Heilung sein.

Henri Nouwen, einer der erfolgreichsten geistlichen Schriftsteller unserer Zeit, durchlebte - ausgelöst durch das Scheitern einer tiefen Freundschaft - eine sechsmonatige, “beinahe endlose Agonie", wie er rückblickend schreibt. Der Priester und Psychologe sah sich am Rande eines Abgrunds, wo Hoffnung und Freude dahin waren und selbst Gott ihm nichts mehr bedeutete. Qualvoll war jeder Schritt zurück in die Freiheit, hart an der Grenze zum Selbstmord.

Im geistlichen Tagebuch dieser Zeit notierte Nouwen diese schmerzlichen Schritte aus der Dunkelheit ins Licht, aus der Verzweiflung und Verlassenheit hin zu neuem Vertrauen zu sich, anderen und Gott. Zehn Jahre später, kurz vor seinem Tod 1996, entschloß er sich, diese Notizen in ein Buch zu verwandeln, um vielleicht anderen in ihrer Krise eine Wegweisung geben zu können.

Die 65 geistlichen Impulse, jeweils auf ein bis zwei Seiten, bestechen durch ihre Schlichtheit und Aufrichtigkeit. Auf dem großen Markt von Selbsthilfebüchern sind sie fast eine singuläre Erscheinung, weil sie um die göttliche Gnade wissen, ohne die ein Auszug aus der seelischen Not nicht möglich ist.

Nouwen weiß aber auch, daß ein Motto wie “bete halt mehr, und bald geht es dir besser" allein nicht hilft. Behutsam und mit psychologischem Gespür zeigt er den mühevollen Weg zu einem neuen Lebenssinn, der erworben werden will. Er macht kein Hehl daraus, daß es sich dabei um einen geistlichen Kampf auf Leben und Tod handelt, in dem Kräfte im Spiel sind, die einen vom rechten Weg abbringen wollen. Für Nouwen ist das Böse nicht nur das Fehlen des Guten, sondern jemand, der uns verwirren und in die ausweglose Traurigkeit bringen möchte.

Wir sind aber kein Spielball zwischen guten und bösen Mächten, sondern haben einen freien Willen und können um das Leben ringen. Dazu dienen auch die vielen praktischen Hinweise, die dem Autor selbst geholfen haben, die Angst zu überwinden. Vor allem geht es ihm darum, die tiefen Schluchten in unserem Innern wahrzunehmen und die zugedeckten Mülldeponien unserer Seele aufzuräumen.

In diesem schmerzlichen Unternehmen sind wir jedoch nicht allein: Jesus hat vorgelebt, wie man sein Leben in die Hand nehmen und neu auf Gott ausrichten kann. Mehr noch: Nouwen macht klar, daß Jesus, der Christus, nicht nur ein großes Vorbild ist. Er hat den Schmerz jedes einzelnen auf sich genommen und kann so selbst zum Weg und Leben werden.

Die Lektüre dieser durchlittenen Aufzeichnungen macht vielleicht auch langsam bewußt, warum Gott es zuläßt, daß Menschen in eine Krise stürzen. Er will uns ganz haben, uns vom falschen Selbstvertrauen losreißen, die Wunden, die wir uns und anderen zufügen, heilen und nicht zudecken.

Am Ende seiner schwierigsten Lebensphase kamen die lang ersehnte Freude und der feste Glaube zurück. Nouwen war allerdings nicht mehr der gleiche Mensch wie vorher, das Leid hatte ihn verwandelt. So lesen sich auch seine Schlußbemerkungen in dem passabel aus dem Amerikanischen übersetzten Buch wie ein geistliches Testament, das den bedrängten Leser wieder aufrichten kann:

“Ich bin durch große innere Bedrängnis zur Freiheit gelangt, durch Niedergeschlagenheit zum Frieden, durch Verzweiflung zur Hoffnung. Es war für mich ohne Frage eine Zeit der Läuterung. Mein Herz, das immer wieder meine Güte, meinen Nutzen, meinen Wert in Zweifel stellt, wurde in einer tieferen Liebe verankert. ... Was einmal wie ein Fluch erschien, wurde ein Segen. Alle Qual, die mein Leben zu zerstören drohte, erscheint jetzt wie ein fruchtbarer Boden, auf dem größeres Vertrauen, größere Hoffnung und tieferes Lieben wachsen können. ... Ich habe die innere Stimme der Liebe gehört, tiefer und stärker als je zuvor. Ich will dieser Stimme immer vertrauen und mich von ihr über die Grenzen meines kurzen Lebens hinaus führen lassen, dorthin, wo Gott alles in allem ist."

Bernhard Eckerstorfer OSB

Die innere Stimme der Liebe. Aus der Tiefe der Angst zu neuem Vertrauen. Von Henri J.M. Nouwen, Herder, Freiburg 2004, 125 Seiten.

Diese und andere Bücher können bezogen werden bei: Christoph Hurnaus, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788 117; Email: hurnaus@aon.at

 

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