VISION 20003/2010
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Ich bin froh, katholisch zu sein – trotz allem!

Artikel drucken Nach anfänglicher Verunsicherung durch die Krise im Glauben bestärkt (Von P. Karl Wallner OCist)

Es tut weh, wenn die Kirche gleich doppelt leidet: Das eine Leiden durch die himmelschreienden Sünden mancher ihrer Glieder, das andere durch die Häme, der sie in der Öffentlichkeit ausgesetzt war. Doch die Kirche wird das nicht nur überstehen, nein, sie wird sogar daraus neue Kraft schöpfen.
Denn sie ist keine von Menschen erfundene Institution, keine Firma zum Zweck des Religionsmarketings und kein Verein mit dem Ziel der Ideologie- oder Wertevermittlung. Nein! Die Kirche ist ein Glaubensgeheimnis.
Diese Kirche ist durch die Ereignisse der letzten Wochen vielen Menschen zum Ärgernis geworden; auch viele gläubige Menschen sind beschämt, verunsichert, enttäuscht. Auch ich war es. Als nach und nach einzelne Fälle von sexuellem Mißbrauch an Kindern durch kirchliche Mitarbeiter, auch durch Priester und Ordensleute, an die Öffentlichkeit drangen, ging es mir sehr schlecht. Ich wollte vor Scham weinen, denn ich liebe meine Kirche und will, daß sie so ist, wie Christus sie haben wollte: „…herrlich soll sie vor Ihm erscheinen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos.“ (Eph 5,27)
Da ich lange Zeit Pfarrer bzw. Jugendseelsorger war und als solcher mehrmals mit Mißbrauch in Familien – es waren immer nahe Verwandte – zu tun hatte, war mir von Anfang an klar, daß es sich nicht vorrangig um ein kirchliches Problem handeln kann, sondern um eine allgemeine gesellschaftliche Bedrohung. Doch es wiegt eben zehntausendmal schwerer, wenn ein Priester oder Ordensmann Mißbrauch begeht als irgendein anderer Mensch.
Ich war jedenfalls genauso verunsichert wie die vielen Menschen, die mich fragten, warum die Kirche hier scheinbar so unmoralisch reagiert habe, warum scheinbar soviel vertuscht und verharmlost worden sei. Zwar hatte ich schon dutzende Male über die Formulierungen des 2. Vatikanischen Konzils gesprochen, wonach die Kirche „unzerstörbar heilig“ ist, wo jedoch zugleich bekannt wird, daß sie „Sünder in ihrem eigenen Schoß“ umfaßt. Diese Konzilsworte waren jetzt kein Trost mehr, denn der Begriff „Sünder“ hatte ja eine ganz neue dämonische Häßlichkeit entfaltet. Das Stakkato an „Enthüllungen“ in den Medien vermieste mir regelrecht meinen Glauben an diese Kirche. Was nützt theologisches Wissen gegen diese „Fakten“, die einem täglich an den Kopf geknallt wurden, Mißbrauch hier, Mißbrauch da…
Ich muß nun kurz erzählen, wie der liebe Gott selbst eingegriffen hat, um mir das Vertrauen in die Kirche wieder zurückzuschenken, ein kleines, persönliches Erlebnis: Anfang März war ich in Berlin, als gerade der „Skandal“ hochkochte: Die Zeitungen titelten täglich von neuen Mißbrauchsfällen in kirchlichen Einrichtungen und in jedem Fernsehkanal wurde man mit der Verkommenheit der Kirche konfrontiert. Natürlich trug ich auch in Berlin mein Ordensgewand, und eines Mittags hatte ich solchen Hunger, daß ich zu einer der vielen Curry-Wurst-Buden ging. Ich mußte dazu an einem Zeitungskiosk vorbei, wo einem die Schlagzeilen die „Niedertracht“ der Kirche entgegen schrien: „Immer neue Enthüllungen“, „Mißbrauch bei Regensburger Domspatzen“, „Wie lange noch schweigt der Papst!“ Niederschmetternd. Die Verkäuferin wollte ihren Stand schon zusperren, doch für mich hatte sie gerade noch ein Paar Nürnberger Bratwürstel. So stand ich also in gedrückter Stimmung an einem Tischchen, um meine Würstel hinter mich zu bringen.
Die Frau hatte mein bodenlanges Ordensgewand bemerkt und lehnte sich neugierig aus ihrer Bude: „Sagen Sie mal, sind sie vielleicht ein Priester!“ „Ja, ein katholischer Priester. Aus Österreich.“ „Also Herr Priester, da haben Sie es im Augenblick nicht leicht.“ „Nein, zur Zeit ist es schwer in der Kirche!“, antwortete ich. „Wissen Sie, Herr Pfarrer, meine Kinder waren auch in einem katholischen Kindergarten.“ Oje! Bei dieser Eröffnung lief mir eine Gänsehaut über den Rücken. Was würde jetzt folgen?!
„Und, wie war das?“, fragte ich in Erwartung des Schlimmsten. „Also ich sage ihnen: das war toll, denn die waren alle so lieb zu meinen Kindern.“ „Uff,“ dachte ich. „Und dann habe ich meine Kinder gleich auch in eine katholische Schule geschickt! Die in der Schule waren noch netter, haben sich wirklich um die Kinder gekümmert. Und dann hab ich mir gedacht, daß an dem Glauben doch was dran sein muß.“ „Das freut mich“, sagte ich. Sie muß mir meine Erleichterung angehört haben. „Und dann habe ich mich taufen lassen, denn bis dahin hatte ich ja mit dem lieben Gott nichts auf dem Hut. Jetzt bete ich immer, und wissen Sie, der“ – sie verdrehte die Augen nach oben - „hat mir wirklich schon viel geholfen.“
Und dann wollte sie mich gar nicht gehen lassen, weil sie mal einem Pfarrer erzählten wollte, was sie schon alles in ihrem Leben von Gott bekommen hatte und warum sie so rundherum zufrieden sei mit ihrem Leben… Diese Begebenheit ist mir vorgekommen, als hätte mir Gott in Gestalt der Würstelbudenfrau einen Engel geschickt, um mich zu trösten und um den Nebel zu vertreiben, der durch die Medienberichterstattung entstanden war. Gottes Botschaft ist bei mir angekommen: „So schlecht ist die Kirche nicht!“ Fast fröhlich, auf jeden Fall aber mit einem weit klareren Kopf bin ich von meinen Bratwürsteln weggegangen.
In den letzten Wochen haben wohl viele Gläubige einen ähnlichen dunklen Nebel von kirchenskeptischen Gefühlen und Gedanken, von Urteilen und Meinungen in sich erleben müssen. Jetzt möchte ich versuchen, den nüchternen Blick auf die Wirklichkeit – und damit auch auf das Schöne an und in der Kirche – zu lenken. Halten wir fest: Wir müssen immer und überall mit dem Bösen, mit dem Falschen und sogar mit dem Abartigen rechnen, auch in unserer Kirche. Christus ist um der Sünde willen gestorben, Er hat sie durch Seine Barmherzigkeit besiegt. Darum gibt Er der Kirche nicht die schon vollendete Reinheit, wohl aber das immer neue Bemühen um Heiligkeit.
Darum ist diese Kirche seit 2000 Jahren der Nährboden der selbstlosen Heiligen, der hin?gabe?bereiten Bekenner und der unerschrockenen Märtyrer der Liebe. Diese Kirche trotzt seit der Auferstehung Christi den Todesmächten der Unterwelt, in welcher Gestalt auch immer sie in Welt und Geschichte daherkommen. Die Kirche verbindet uns, die wir alle mehr oder weniger Sünder sind, mit Gott. Sie gießt durch die Sakramente göttliche Kraft in unser Leben.
Meinen liebevollen Blick auf meine Kirche habe ich auch deshalb zurückgewonnen, weil mir bald klar wurde, daß der Nebel der Schändlichkeit vielfach bewußt produziert worden ist. Je länger ich die Berichterstattung verfolgte, desto weniger konnte ich mich des Eindrucks erwehren, daß hier eine lustvolle Inszenierung gegen die Kirche und dann schließlich vor allem gegen den Heiligen Vater betrieben wurde. Unter dem Titel „Immer neue Enthüllungen“ wurden alte und urälteste Fälle hervorgeholt, die nicht nur schon vor Jahrzehnten passiert waren, sondern auch in den allermeisten Fällen von den kirchlichen Autoritäten klar sanktioniert worden waren.
Mir fiel auf, daß begriffliche Unschärfen absichtsvoll verstärkt wurden, indem – seltener – sexueller Mißbrauch mit irgendwelchen Mißhandlungen, die aus veralteten und aus heutiger Sicht abzulehnenden Erziehungsmethoden kamen, vermischt wurden (siehe S. 11-12). Und da die Kirche sowohl zeitlich (wir waren immer da) als auch geographisch (wir sind überall) ein Global-Player ist, war es ein leichtes, durch das Hervorholen von weit auseinandergestreuten Fällen den Eindruck hervorzurufen, die Kirche sei ein einziges Horrorszenario. So beschämt und verunsichert ich am Anfang war, so wurde mir doch bald klar, daß es den „Enthüllern“ immer weniger um die Sorge für die Opfer ging, sondern um die Beschädigung der Kirche. Das wurde umso deutlicher, als man die Vorwürfe bald mit völlig absurden Argumenten gegen Papst Benedikt XVI. selbst richtete.
Freilich wäre es falsch, die Schuld nur bei „den Medien“ oder den geschickten Hintergrundleuten zu sehen, die es geschafft haben, eine solche verzerrte Optik zu schaffen. Kardinal Schönborn hat richtig gesagt, daß wir Katholiken ob der Pauschalierungen nicht wehleidig sein dürften, weil wir zum einen im Guten wie im Schlechten in diesem einzigen Leib der Kirche vereint sind, und weil es ja tatsächlich Mißbrauch gegeben hat und dieser um ein Vielfaches schlimmer ist, wenn er von Priestern und Gottgeweihten begangen wird.
Das Bischofswort nehmen wir gerne an und sind auch bereit, Schläge einzustecken. Auf der anderen Seite haben wir aber das Recht und die Pflicht, klar zu sagen, daß es Unrecht und Lüge ist, wenn mit Hilfe von Verallgemeinerungen eine Stimmung der Kirchenhetze erzeugt wird.
Ich meine, daß wir uns nicht verbieten lassen dürfen, uns ungerecht behandelt zu fühlen. Wo die Wahrheit aber bewußt verzerrt wird, wo manipuliert und gelogen wird, da dürfen wir nicht schweigen, vor allem nicht, wenn es sich um den Inhaber des Petrusamtes, den Heiligen Vater handelt: Wenn Papst Benedikt XVI. einen klaren, deutlichen und an Schärfe nicht zu übertreffenden Brief über die Mißbrauchsfälle (in der irischen Kirche) veröffentlicht und dann am nächsten Tag manche Medien titeln „Der Papst schweigt“, dann ist dies eine infame Irreführung der Öffentlichkeit, eine bösartige Manipulation und der verlogene Versuch, ein X als ein U vorzumachen. Die Schuld der Sünder in der Kirche wollen wir gerne in Sühne mittragen, aber weiß muß weiß und schwarz muß schwarz genannt werden dürfen.
Wir sind es der Wahrheit schuldig, daß wir Ungerechtigkeiten benennen, wenn diese unserer Kirche widerfahren. Zugleich werden wir uns aus einer übernatürlichen Sicht heraus dazu rüsten, diese demütig anzunehmen. Und natürlich gibt es Korrekturbedarf auch innerhalb der Kirche: Das was wir – und auch andere gesellschaftliche Instanzen – wirklich lernen müssen, ist eine neue Bewertung der Leiden der Opfer. In der Vergangenheit wurde oft die psychische Verwundung nicht in ihrer ganzen Dramatik wahrgenommen und aufgearbeitet.
Beschämt ist uns auch zu Bewußtsein gekommen, daß vielen Mißbrauchsopfern eine geradezu dämonische Schändung angetan wurde, weil dort wo Priester oder Gottgeweihte sich an jungen Menschen vergehen, der innerste Kern ihrer Gottesbeziehung verletzt, ja zerstört wurde. Kardinal Schönborn hat von der Sünde der „Gottesvergiftung“ gesprochen, die da von kirchlichen Tätern begangen wurde. Hier bedarf es aber nicht nur neuer Maßnahmen im natürlichen Bereich (z.B. psychologische Be?treuung und andere Formen der Unterstützung), sondern auch der übernatürlichen Sorge durch Gebet, Sühne und Opfer, um Heilung zu schaffen.
Wir müssen noch etwas lernen: wacheren Auges in die Zukunft zu gehen, was unsere Position als gläubige Christen in der Öffentlichkeit betrifft. Es ist deutlich geworden, daß wir immer weniger Freunde in einer Welt haben, in der die Gottesfurcht sich verflüchtigt hat und christliche Glaubens- und Wertevorstellungen ein Minderheitenprogramm geworden sind.
Doch Schluß mit den Analysen, denn gegen die Finsternis zu reden und zu argumentieren, bringt nichts. Da ist es viel wirkungsvoller, ein Licht anzuzünden. Das eine Licht wird darin bestehen, daß die zuständigen Kirchenstellen besser mit allfälligem Mißbrauch umgehen werden. Hier wurden in den letzten Jahren bereits Neuanfänge gesetzt wie die strengen Normen des Vatikans von 2003 deutlich zeigen. Die Kirche geht aber nicht nur mit höchsten Standards und klaren Richtlinien in die Zukunft, sondern auch mit dem Willen zur Sorge für die Opfer.
Ich denke, daß Gott von uns allen noch ein zweites Licht einfordert, das jeder von uns nach diesen Wochen der Dunkelheit anzünden sollte, das ist das Bemühen um persönliche Heiligkeit. Da die Kirche ein Werk des Heiligen Geistes ist, dürfen wir sie auch weiterhin mit Recht die „heilige Kirche“ nennen. Doch um wie viel mehr muß sich gerade jetzt jeder von uns Gläubigen bemühen, durch sein Leben die Heiligkeit der Kirche neu zum Leuchten zu bringen!
Als Zuständiger für die Öffentlichkeitsarbeit in meinem Kloster erhielt ich während der „Krise“ unzählige Anrufe von Journalisten, einige hatten den Unterton: „Und was werden Sie nun machen, wenn die Kirche untergeht?“ Trotz meiner inneren Bedrückung hat diese inszenierte Kirchenuntergangsstimmung bei mir das Gegenteil bewirkt: Sie hat meinen Glauben gestärkt! Ja, ich spüre so etwas wie Kampfesmut, weil ich weiß, daß Christus der Herr Seine Kirche zwar hin und wieder reinigt, sie aber niemals untergehen läßt. Mir kam sogar manchmal das Sprichwort in den Sinn: „Was uns nicht umbringt, macht uns stark!“
Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt: Auf Phasen der Krisen folgten immer Phasen schwungvoller Erneuerung und übernatürlicher Fruchtbarkeit. Und darum gehe ich zuversichtlich und fröhlich in die Zukunft und will mit Gottes Hilfe meinen Beitrag leisten, indem ich mich noch mehr Gott zur Verfügung stelle, damit der Glanz der Heiligkeit von neuem auf dem Antlitz der Kirche aufleuchtet.

P. Karl Wallner OCist
Der Autor ist Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz.

 

 

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