VISION 20003/2010
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Der selige Vilmos Apor

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Dom Antoine Marie Beauchef OSB)

Vilmos Apor wurde 1892 in Segesvár im damals ungarischen, heute rumänischen Siebenbürgen geboren. Die Familie hatte neun Kinder, Vilmos war das siebente. Sein Vater, Baron Apor, Sproß einer berühmten Familie und brillanter Jurist, wurde 1895 von Kaiser Franz Joseph zum Staatssekretär ernannt; er zog mit seiner Familie nach Wien, starb jedoch 1898 mit 47 Jahren. Der kleine Vilmos war bestürzt, als er seine Mutter weinend trauern sah, und sagte zärtlich: „Mama, ich lerne Geige; ich werde dir so schöne Sachen spielen, daß du Papas Tod vergißt.“ Die Witwe erzog die Kinder streng und legte Wert auf deren religiöse Erziehung.
Vilmos ging bei den Jesuiten zur Schule. Schon in seiner Kindheit vernahm Vilmos den Ruf Gottes und wollte Priester werden. Ende 1909 wurde er vom Bischof von Györ in das dortige Seminar aufgenommen und, nachdem er bei Jesuiten zum Doktor der Theologie promoviert hatte, am 24. August 1915 zum Priester geweiht, bald darauf zum Pfarrvikar in Gyula ernannt. Das Land befand sich im Krieg. Während der letzten Kriegsmonate arbeitete er als Geistlicher des Roten Kreuzes an verschiedenen Fronten. 1919 kehrte er als Pfarrer nach Gyula zurück, wo er 25 Jahre blieb.
Er war kein großartiger Prediger, wirkte aber durch seinen tiefen Glauben sehr überzeugend auf die Gläubigen. Als gütiger Beichtvater gewann er alle Herzen für sich. Der Amtsantritt des jungen Pfarrers fiel in die schwere Zeit der kurzen aber brutalen kommunistischen Diktatur unter Béla Kun. Der örtliche Revolutionsrat beschloß ein Verbot des Religionsunterrichts; Vilmos organisierte eine Demonstration vor dem Rathaus und erzwang die Rücknahme des Beschlusses. Bald danach wurde die südungarische Stadt von rumänischen Truppen besetzt, die, um die Bevölkerung einzuschüchtern, ungarische Offiziere als Geiseln nahmen; um deren Freilassung zu erreichen, reiste der Pfarrer nach Bukarest, um bei der rumänischen Königin zu intervenieren.
Vilmos Apor engagierte sich voll Begeisterung für die religiöse und soziale Erneuerung und rief 1921 in seiner Gemeinde die Katholische Aktion ins Leben. 1922 führte er eine Volksmission durch, bei der er bis spät in die Nacht seinen Gemeindekindern zur Verfügung stand. Seine Freigiebigkeit war grenzenlos: Er verschenkte selbst Unentbehrliches (z.B. seine Schuhe) an Notleidende, kümmerte sich um Jugendliche, die er mit seiner Begeisterung ansteckte, und um Behinderte. Oft ging er in Altersheime, um die Messe zu lesen. Sein Lieblingsprojekt aber war ein von ihm gegründetes Waisenheim. Diese Aktivitäten hinderten den Pfarrer nicht daran, dem eigenen geistlichen Leben Vorrang einzuräumen. Er betete oft in der Kirche und nahm jedes Jahr an ignatianischen Exerzitien der Jesuiten teil.
Im Jänner 1941 ernannte ihn Pius XII. zum Bischof von Györ. Als er feststellte, daß die Priester seiner Diözese sich ihrem Oberhirten nur schwer anvertrauen konnten, empfing er sie stets herzlich und führte eine offene Mittagstafel für sie ein. Seine väterliche Güte hinderte ihn nicht daran, insbesondere in Bezug auf die Feier des heiligen Meßopfers anspruchsvoll zu sein. Die Ausbildung und das Benehmen seiner Seminaristen wurden von ihm streng überwacht. Gläubigen begegnete er mit unermüdlicher Geduld und half ihnen oft mit eigenen Mitteln aus; er wies selbst Alkoholiker und notorische Müßiggänger nicht ab.
Vilmos Apor hatte sein Amt mitten im Krieg angetreten. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Ungarn (19. März 1944) wurden die Städte von alliierten Flugzeugen heftig bombardiert. Györ wurde bis Kriegsende 25 mal angegriffen. Der Bischof war sehr bemüht, die Bevölkerung zu trösten und zu unterstützen.
Im Juni 1944 begann die Deportation ungarischer Juden in deutsche Konzentrationslager. Bischof Apor versuchte den Opfern zu helfen, indem er ihnen Lebensmittel und Kleider schickte. Als ihm ein Besuch bei ihnen verwehrt wurde, sandte er ein Telegramm an Hitler: „Die himmlischen Gebote gelten auch für den Führer. Die Zeit wird kommen, da er vor Gott und der Welt Rechenschaft ablegen muß über seine Taten.“ Der Diktator sollte an die Unausweichlichkeit des Jüngsten Gerichts erinnert werden, das über das ewige Schicksal eines jeden Menschen entscheidet.
Bischof Apor versteckte mehrere Personen in seinem Bi?schofs?palast und auf dem Dachboden der Kathedrale. Einer von ihnen, den niemand in Györ aufzunehmen gewagt hatte, schilderte später die herzliche Aufnahme, die ihm zuteil wurde, und das persönliche Engagement des Bischofs bei der Suche nach einem sicheren Versteck in Budapest.
Im März 1945 rückten die Russen bis Györ vor. In der Stadt spielten sich heftige Stra?ßen?kämpfe ab. Am 28. März stürzte der brennende Turm der Kathedrale ein und steckte das ganze Gebäude in Brand. Der Bischof zog sich in seine Residenz zurück, die bei den Bombardements verschont geblieben war und in deren weitläufigem Keller rund hundert Frauen aus Angst vor Vergewaltigungen Zuflucht gesucht hatten.
Am Mittwochabend drangen die ersten russischen Soldaten bewaffnet und heulend in den Bischofssitz ein. Der Bischof konnte sie besänftigen, indem er ihnen Uhren und andere Wertgegenstände gab. Er blieb die ganze Nacht auf: „Ich muß doch für den Fall, daß etwas passiert, da sein.“ Am folgenden Tag las er die Messe im Keller. Immer wieder kamen plündernde und prügelnde Soldaten vorbei. Einer von ihnen forderte den Bischof auf, ihm Zugang zum Keller zu gewähren. Als dieser sich weigerte, rief ein anderer Soldat: „Verpaß ihm doch ein paar Kugeln in den Bauch!“ Vilmos rührte sich nicht von der Stelle. Er hielt eine zweite Nacht (von Gründonnerstag auf Karfreitag) Wache und las den Gläubigen den Passionsbericht vor.
Am Freitag gegen 19 Uhr erschien eine Gruppe betrunkener Soldaten unter der Führung eines Majors, der verlangte, daß man ihm die jungen Frauen, die gerade für die Armen Suppe kochten, mitgebe, „zum Kartoffelschälen und um kleine Näharbeiten auszuführen“, und der mit einigen Soldaten den Keller betrat. Der Bischof stürzte hinterher und versprach, ihm eine Gruppe Freiwilliger aus der Reihe der älteren Männer und Frauen zu schicken.
Der Ton verschärfte sich, der Bischof weigerte sich weiterhin standhaft, die jungen Frauen gehen zu lassen. Wutentbrannt packte der Major den Bischof am Arm und zog seine Pistole, doch er zögerte zu schießen. Vilmos Apor nutzte den Augenblick, um ihn aus dem Keller zu stoßen und sich vor dem Eingang zu postieren. Sogleich drangen Schreie voller Panik aus dem Keller: „Onkel Vilmos ... Hilfe!“ Die unten gebliebenen Soldaten schickten sich an, die jungen Frauen zu bedrängen. Bischof Apor stürzte hinunter. Ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit rief er der Soldatenmeute zu: „Hinaus! Hinaus!“ Einer eröffnete daraufhin das Feuer. Der Bischof wurde von drei Kugeln getroffen. Die dritte traf ihn in den Bauch.
Auf die Frage, ob er Schmerzen hätte, antwortete Bischof Apor ruhig: „Ich danke Jesus dafür, am Karfreitag leiden zu dürfen.“ Der Krankenwagen, der ihn ins Krankenhaus brachte, wurde von russischen Soldaten angehalten und durchsucht. Als sie dem Verletzten mit ihren Taschenlampen ins Gesicht leuchteten, sah er sie mit sanften Augen an und segnete sie.
Am nächsten Tag wurde er von einem Priester besucht, der ihm versicherte, daß keine einzige Frau, die in den Bischofspalast geflohen war, vergewaltigt worden sei. Der Bischof lächelte vor Freude und murmelte: „Das war die Mühe wert ... Ich danke dem lieben Gott, daß er mein Opfer angenommen hat.“ Später entdeckte man, daß allen Personen, für die Bischof Apor bereitwillig sein Leben eingesetzt hatte, himmlischer Schutz zuteil geworden war.
Am Ostermorgen empfing er die Kommunion, am Abend begann sein Blutdruck zu sinken; der Arzt stellte eine Bauchfellentzündung fest. Der Sterbende beichtete, vergab seinen Mördern und bot sein Leben als Sühnopfer für seine Heimat dar. Vilmos Apor gab seine Seele am Ostermontag, dem 2. April 1945, in die Hand Gottes zurück. Er wurde am 9. November 1997 von Papst Johannes-Paul II. seliggesprochen und mit folgenden Worten gerühmt: „Nach dem Vorbild des Guten Hirten, der sein Leben für seine Lämmchen opfert, lebte der neue Selige sein Bekenntnis zum Ostergeheimnis in der ersten Person und bis zum höchsten Opfer durch. Seine Ermordung fand ausgerechnet am Karfreitag statt: Er wurde zu Tode getroffen, als er gerade seine Herde verteidigte. So machte er durch den Märtyrertod die Erfahrung eines persönlichen Osterns. Möge er die Gläubigen ermutigen, Christus ihr ganzes Leben lang ohne Zögern nachzufolgen. Zu dieser Heiligkeit ist jeder Getaufte berufen!“

Der Autor ist Abt der Benediktiner-Abtei Saint-Joseph de Clarival, sein Beitrag ein Auszug aus deren Rundbrief vom 6.1.2010.

 

 

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