Wer sich heute Sorgen um die Zukunft der Kirche macht, dem kann ein Blick auf die Kirchengeschichte helfen. Die Liste der (schweren) Krisen ist lang. Trotz aller Gefahren boten sie jeweils die Chance einer tiefgreifenden Erneuerung.
Als Kaiser Napoleon im Jahre 1801 über ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl verhandelte, hatte er im Kardinalstaatssekretär Consalvi einen Partner, dessen Hartnäckigkeit ihn wütend machte. So fuhr er Consalvi an: Ist es Ihnen klar, daß ich Ihre Kirche jederzeit zerstören kann? Darauf Consalvi: Ist es Ihnen klar, Sire, daß dies selbst uns Priestern in 18 Jahrhunderten nicht gelungen ist? An diesen Wortwechsel mag man erinnern, wenn in unseren Tagen die Kirche wieder einmal von außen bedroht und im Inneren von Krisen geschüttelt wird. Wir vergessen zu oft, daß dies, solange diese Weltzeit dauert, zwar keinesfalls der Idealfall, wohl aber der Normalfall ist. So jedenfalls das Evangelium: „In der Welt werdet Ihr Bedrängnis haben …“ Sich daran zu erinnern, ändert zwar weder an den Angriffen von außen etwas, noch am Verrat von Innen. Wohl aber mag es helfen, beiden mit Gelassenheit und Zuversicht zu begegnen. Zahllose Irrlehren
Noch in ihren Anfängen hat die Kirche eine Krise erlebt, die wahrhaft Existenz bedrohend, weil die Fundamente des Glaubens angreifend, zu nennen ist. Es ist die sogenannte Gnosis, manche sprechen auch von Gnostizismus, die bzw. der so gefährlich war. Unter dem Vorwand, tiefere Erkenntnis (= griechisch Gnosis) als die Masse der Gläubigen, ein religiöses Geheimwissen, zu besitzen. Eine Anzahl von solchen Gruppen, die jeweils ihre eigenen Geheimlehren hatten, unterwanderten und verwirrten die Gemeinden. Gemeinsam war ihnen – in verschiedener Form – die Ablehnung des zentralen christlichen Glaubens an die Mensch?werdung Gottes in Jesus von Nazareth. Daß damit das Ganze des Christentums auf dem Spiel stand, ist offenkundig. Ebenso bedrohlich war die Irrlehre des Markion im 2. Jahrhundert, der das gesamte Alte Testament verwarf, und vom Neuen Testament nur zehn Paulusbriefe und eine eigene Version des Lukasevangeliums gelten ließ. 144 gründete er eine eigene gnostische „Kirche“. Noch viel schlimmer wirkte sich die Irrlehre des Arius aus, der die Gottheit Jesu leugnete und in ihm nur ein gottähnliches Geschöpf sah. Er hatte vor allem im Osten des Römischen Reiches ungeheuren Erfolg, so daß der hl. Hieronymus schreiben konnte: „Ingeminit totus orbis et Arianum se esse miratus est“: Der ganze Erdkreis seufzte auf und wunderte sich, daß er arianisch geworden war. Nun erfaßte diese Irrlehre auch die Stämme der Germanen, besonders die Ost- und Westgoten und es bedurfte mehrerer Konzilien – so zu Nicaea 325, Konstantinopel 381, Ephesus 431 und Chalkedon 451 – bis diese den Grundbestand des Glaubens bedrohende Irrlehre überwunden war. Zeitenweise waren ihr große Teile des Episkopats verfallen, die dann z. B. den hl. Athanasius mehrfach von seinem Bischofssitz vertrieben. Auch die späteren Jahrhunderte erlebten Irrlehren, die nicht nur die Kirche, sondern auch das seit Konstantin I. († 336) christliche Reich erschütterten, zumal sie nicht selten von den Kaisern gefördert wurden. Ein neuerlicher Ausbruch von Häresie ereignete sich ab dem 11. Jahrhundert, als, vom Balkan eingeschleppt, die Irrlehre der Katharer, auch Albigenser genannt, verbreitete. Eine radikale Verwerfung der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus verband sich mit einem ebenso radikalen Nein zur Schöpfung, die den Katharern als Werk eines bösen Gottes galt. Sie lehnten die kirchlichen Sakramente, Ehe und Zeugung, sowie den Eid als Teufelswerk ab und untergruben so auch die Grundlagen der zivilen Gesellschaft und der weltlichen Herrschaft. Besondere Anziehungskraft eignete ihnen wegen ihres sittenstrengen Lebens. Ihre Anhänger drangen bis in die höheren Ränge des Klerus ein, sie bildeten schließlich eine Art Untergrund-Gegenkirche. Existenziell gefährlich wurden sie für die Kirche, weil sie in ihr gleich einer „Fünften Kolonne“ wirkten. Der Schrecken, den ihre Entdeckung hervorrief, führte zur Einführung der Inquisition. Schließlich gelang es den eben in dieser Zeit entstandenen Bettelorden der Dominikaner und der Franziskaner – denen weitgehend die Inquisition übertragen wurde – sie durch die ebenso fromme wie gelehrte Predigt der Dominikaner und das arme und der Nächstenliebe gewidmete Leben der Franziskusjünger geistig, religiös zu überwinden. Die Rolle der Inquisitionsgerichte und die Zahl der von diesen verhängten Todesurteile werden – besonders letztere – in populären Darstellungen meist grotesk übertrieben. Das Abendländische Schisma
Prälat Walter Brandmüller war Professor für Kirchengeschichte an der Universität Augsburg und Präsident der Päpstlichen Kommission der historischen Wissenschaften in Rom. |
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