VISION 20003/2010
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Ein Schwanken zwischen Ärger und Scham

Artikel drucken Überlegungen in Zeiten der Krise

Der Mißbrauchsskandal wirft grundsätzliche Fragen auf und ist ein Anlaß, über zukunftsträchtige Weichenstellungen in Kirche und Gesellschaft nachzudenken. Im folgenden einige Gedanken, die sich bei der Erstellung des Schwerpunkts aufgedrängt haben.
Den Tätern ist ihr schweres Vergehen vorzuwerfen. Soweit es gegen das Strafgesetz verstößt, sind die Gerichte zuständig. Das hat aber weltlich betrachtet mit der Kirche unmittelbar nichts zu tun. Wenn Richter Fehlurteile fällen, wird nicht das Justizwesen infrage gestellt. Aus weltlicher Sicht ist der Kirche allerdings aus folgendem Grund ein Vorwurf zu machen: daß die zuständigen Verantwortlichen ihre Autorität nicht angemessen eingesetzt, daß sie das Skandalöse heruntergespielt haben und so zu Komplizen geworden sind. Aber hier trifft die Bischöfe, Generalvikare und Ordensobere ein Vorwurf, der umfassender ist: daß viele von ihnen die ihnen übertragene Autorität ganz allgemein nicht entsprechend einsetzen: wenn an theologischen Fakultäten und in kirchlichen Bildungseinrichtungen die Lehre der Kirche in Zweifel gezogen, ja ihr sogar widersprochen wird; wenn in Pfarren die Liturgie bis zur Unkenntlichkeit verändert wird, wenn sie bei medialen Auftritten klare Aussagen vermeiden…
Es stimmt aber auch, daß es unsere Bischöfe extrem schwer haben, weil sie mit einem großen kirchlichen Apparat konfrontiert sind, der ihnen zwar grundsätzlich zuarbeiten sollte, der aber mit vielen Mitarbeitern durchsetzt ist, die gegen wichtige lehramtliche Festlegungen agitieren.
Es fehlt manchen Bischöfen die Gelassenheit im Umgang mit Anschuldigungen in den Medien. Und man hat oft auch den Eindruck, daß sie untereinander zu wenig eins sind. Solche Uneinigkeit erleichtert es den weltlichen Medien, sich zum Schiedsrichter über Fragen des Glaubens und der Kirche zu machen.
Der Skandal ist ein Anlaß über die Sexualisierung des gesamten Lebensraums zu sprechen. Männer werden nun einmal durch die freizügigen Bilder, Filme, Reklamen, weiblichen Adjustierungen sexuell stimuliert. Mehr oder weniger, das stimmt. Aber wer ehrlich ist, wird zugeben, daß ihn die rundum gegebenen Stimuli nicht gleichgültig lassen. Man kann nicht stimulierenden Sexunterricht in den Schulen forcieren, die totale Freiheit im Internet zum höchsten Gut in der Demokratie hoch?stilisieren und dann empört sein, wenn es zu sexuellen Übergriffen kommt – die sich ja vor allem im außerkirchlichen Bereich ergeben.
Für Christen ist es schwer, eine ausgewogene Sicht auf das Geschehen zu entwickeln. Man schwankt zwischen berechtigtem Ärger über den medialen Beschuß der Kirche, Beschämung und Entsetzen über das Vorgefallene, Bunkerstimmung, Relativierung der Vorfälle, wegen ihrer geringen Zahl und beruhigter Feststellung, man selbst zähle ja nicht zu den bösen Mißbrauchern. Letzteres wird wohl stimmen, ist aber kein Anlaß zur Beruhigung. Die Vorfälle sollten vielmehr Anlaß sein, ehrlich nach den „Leichen verschiedenster Art im eigenen Keller“ zu suchen. Wir bedürfen alle eines geschärften Sündenbewußtseins.
Die Kirche wird nicht vermeiden können, daß Priester sich an Menschen, die ihnen anvertraut sind, auch nicht an Kindern, vergehen. Es gibt zwar sicher bessere Möglichkeiten der Vorsorge, bessere Wege mit Übertretungen umzugehen, aber die Vorstellung man könne perfekte Systeme bauen, in denen alles wie am Schnürchen läuft, ist eine moderne Irrlehre. Christen, auch Priester und Bischöfe, sind Sünder, wie andere Menschen auch. Wenn sie etwas von den anderen unterscheidet, dann sollte es ihre Bereitschaft sein, ihre Sünden zu sehen und zu bereuen.
Es ist gut, daß viele Verantwortliche in der Kirche die Mißbrauchsopfer um Vergebung bitten. Das ist notwendig und eine Frage der Gerechtigkeit. Es darf dieses „Um-Vergebung-Bitten“ aber nicht zu einem von den Medien regelmäßig geforderten Ritual degenerieren. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger ist die an Gott gerichtete Bitte, Er möge unsere Schuld vergeben. Papst Johannes Paul II. kann uns diesbezüglich mit seinen sieben Vergebungsbitten im Jubiläumsjahr 2000 ein Vorbild sein.
Es stimmt tatsächlich: die sexuellen Übergriffe im kirchlichen Bereich sind – statistisch eindeutig belegt – überwiegend Mißbrauch männlicher Kinder und Jugendlicher. Viele haben also einen homosexuellen Hintergrund. Dieser gilt allerdings in unserer Gesellschaft als absolutes Tabu. Auch hier Zwiespältigkeit und Scheinheiligkeit.
Was die Medien aufführen erinnert an das frühere an den Pranger stellen. Anonyme Behauptungen, Verdächtigungen, ungeprüfte Anschuldigungen werden als Fakten herumgereicht. Ereignisse, die sich vor Jahrzehnten ereignet haben – jeder weiß, wie schwer es ist, sich detailliert an Vorgänge aus dem vergangenen Monat, oder Jahr, genau zu erinnern – werden als unumstößliche Fakten dargestellt. So gut wie nie wird in Rechnung gestellt, daß Schuld bereut und vergeben werden kann. Es hätte nie ein Paulus-Jahr gegeben, wenn an den Apostel nur die rein weltlichen Kriterien angewandt worden wären. Keinen hl. Augustinus als Bischof (uneheliches Kind).

CG

 

 

 

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