VISION 20004/2015
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Freude kann auch in schweren Momenten lebendig sein

Artikel drucken Ansätze, die um sich greifende Freudlosigkeit zu überwinden

Reportagen aus der Dritten Welt zeigen zwar Armut, aber oft fröhliche Ge­sichter. Ganz anders in Europa: Lebensfreude ist hier kaum aus den Gesichtern abzu­lesen. Der Alltag ist geprägt von Stress, ne­gativen Schlagzeilen, Sorge… So übersehen viele, dass das Leben schön ist. Gespräch mit dem Direktor von Missio-Austria über Ansätze, die Freude am Leben zu stärken.
 
Raubt der komplizierte, überfüllte Alltag heute nicht vielen Menschen in Europa die Freude am Leben?
P. Leo Maasburg: Ja, der überfüllte Alltag setzt unserem Leben einen Dämpfer auf; es sind aber weniger die vielen Dinge an sich, die wir tun. Viel mehr stellt sich die Frage, warum wir so viele Dinge tun. Die Antwort, so glaube ich, ist der Konsum als verborgener Lebenszweck. Er bringt uns in Beschaffungszwänge. Die Frage ist: Wie komme ich aus diesen Zwängen und Gewohnheiten heraus? Ist Aussteigen die Antwort? Kein Fernsehen, kein Computer – ist das die richtige Antwort? Nur teilweise. Wir müssen vor allem aus einem Konsumverhalten aussteigen, das mit unserem Glauben nicht vereinbar, das nicht in ihm begründet ist.

Wie ist das zu verstehen?
Maasburg: Was sind die Hauptpfeiler unseres Glaubens? Wir sind Träger einer Botschaft, die uns im Leben ein klares Verhalten zeigt und abverlangt. Vor allem das zentrale Gebot: „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe.“ Ferner die Hoffnung, die der Mensch gewordene Gott uns gibt, übersteigt alles, was die Welt bieten kann, grenzenlos: die Hoffnung, dass alles, was im Leben geschieht, aus einer höheren, einer gottnahen Sicht einen Sinn hat, der in die Ewigkeit hineinreicht. Diese beiden zentralen Botschaften haben wir, meiner Ansicht nach, heute in Mitteleuropa weitgehend aus den Augen verloren. In der Dritten Welt ist diese Sichtweise zum Teil aus der Natur heraus noch vorhanden. Jeder noch so einfache Afrikaner oder Latino glaubt an einen Gott, der über ihm steht und die Dinge in der Hand hat. Und wenn ihm Gutes widerfährt, freut er sich und dankt Gott. Diese Sichtweise ist uns Mitteleuropäern tatsächlich abhanden gekommen… Ja, wir haben den Eindruck, wir müssen alles selbst unternehmen, die Freude selbst beschaffen. Und davon werden wir irgendwie erschlagen.

Kannst Du das an einem Beispiel illustrieren?
Maasburg: Wir haben eine riesige Unterhaltungsindustrie, die damit beschäftigt ist, unsere Freizeit zu füllen. Da sollten wir uns doch die Frage stellen: Ist dieses Angebot etwas, was uns zu fröhlichen, glücklichen Menschen macht?

Meist nicht. Wenn man sich am Abend vor den Fernseher setzt und eine Sendung (oft „hüpft“ man ja von einer zur anderen) anschaut, legt man sich oft nicht mit dem Bewusstsein ins Bett: Das war ein guter Abend, das hat mich aufgebaut. Das Leben ist schön…
Maasburg: Stimmt. Dem heiligen Ignatius ist es übrigens auch so ergangen. Er lag im Krankenhaus, und man hat ihm Bücher gebracht, darunter Heldenromane, die er sehr gern las. Im Moment haben sie ihn befriedigt, aber letztlich hinterließen sie in ihm eine Leere. Ganz anders Bücher über das Leben und die Tugenden der Heiligen: Sie waren zunächst zwar mühsam zu lesen, aber auf lange Sicht hinterließen sie in ihm eine tiefe Freude. Wir erleben etwas Ähnliches.

Meinem Eindruck nach ist auch die Überfülle der Angebote ein Problem: Viel Schönes und auch Gutes wird zur Bürde, wenn es Schlag auf Schlag an einen herangetragen wird oder wenn man sich zu viel davon zumutet.
Maasburg: Auch das Schöne darf nicht inflationär verabreicht werden. Damit Feste zu Festen werden, muss man sich Zeit nehmen, um sie auszukosten. Das erinnert mich an ein Erlebnis in Afrika. Mit einem Kardinal hatte ich einmal die seltene Gelegenheit, einen Pygmäen-Stamm zu besuchen. Als wir ankamen, empfing uns ein unbeschreiblicher Lärm und Staub. Denn der ganze Stamm tanzte, trommelte, sang, warf Staub in die Luft. Das war die Art, wie sie ihrer Freude über den Besuch Ausdruck verliehen haben. Und dies nicht nur, als wir ankamen, sondern der ganze Stamm tat dies schon 48 Stunden vor unserer Ankunft! Das war Teil des Festes, Teil dessen, sich auf einen hohen Gast vorzubereiten. Damit nicht genug: Als wir das Dorf nach Stunden verließen, ging das Trommeln und Tanzen noch viele Stunden weiter. Das zeigt, welche Freude sich einstellt, wenn Außergewöhnliches in einem nicht überfüllten Leben stattfindet.

Kommen wir zurück auf das Thema Änderung des Lebensstils. Ein Aspekt wäre somit das Auswählen, um nicht im Überfluss unterzugehen…
Maasburg: Um eine richtige Wahl zu treffen, brauche ich Disziplin. Um sie zu erwerben, brauche ich ein Ziel. Das ist die Aufgabe jeder christlichen Mission: aus einem Angebot das Richtige wählen zu können und bei einem Unterangebot nicht zu verzweifeln.

Es geht also um einen Maßstab, der Orientierung gibt, damit man erkennt, was das Leben schön und wertvoll macht. Vermittelt die Kirche diese positive Sichtweise in ausreichendem Maß?
Maasburg: Die letzten zwei Päpste haben sehr deutlich darauf hingewiesen: Papst Benedikt mit seiner Enzyklika Spe salvi über die Hoffnung, aber auch über das Umgehen mit dem Leiden, und Papst Franziskus mit Evangelii gaudium. Da wird an vielen Stellen ausgeführt, wohin es führt, wenn unsere Hoffnung nicht auf Christus gegründet ist. Wer seine Hoffnung aber auf Ihn setzt, der erlebt „immer und immer wieder Freude“ (EG 1). In seiner letzten Enzyklika Laudato si sagt Papst Franziskus, dass unser Konsumverhalten aufs Engste verbunden ist mit dem Leiden der Armen in der Welt – ein deutlicher Hinweis darauf, dass unser Konsumverhalten zutiefst verändert werden muss.

Aber wie?
Maasburg: Damit ich mich nicht jeden Abend gewohnheitsmäßig vor den Fernseher setze, muss ich irgendetwas anderes haben, das mir wertvoller ist. Erstmals wohnte ich vor kurzem in einer Wohnung, die mit einem Fernseher ausgerüstet war. Selbst habe ich nie einen Fernseher besessen. Jetzt erlebte ich sehr deutlich eine Spannung: Drehe ich das Gerät an oder lese ich in der neuen Enzyklika? Fernsehen ist natürlich spannend und entspannend. Aber wenn die Sendung vorbei ist, steht man auf und denkt sich: Wieder ein Abend verschwendet. Entscheide ich mich für die Enzyklika, erlebe ich: Sie ist wirklich interessant. Und man begreift: Da wird Wahres gesagt. Es vermittelt eine tiefe Freude, wenn man Wahres hört. Einer der Gründe, warum ich Priester geworden bin, war: Ich habe die Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils gelesen. Dabei habe ich nicht nur die schöne Sprache genossen, sondern immer auch mit Freude erfahren: Ja, so ist es. Das ist wahr. Jetzt verstehe ich. Ich war bereichert. Und diese Freude an der Wahrheit hat in der Folge mein ganzes Leben neu orientiert. Der Wahrheit zu begegnen, ist eine tiefe Quelle der Freude. Suchet zuerst das Reich Gottes (vergl. Mt 6,33) und seine Gerechtigkeit (= Wahrheit) … und alles wird Euch dazugegeben werden – auch die Freude.

Diese Freude hat wohl auch etwas damit zu tun, dass ich etwas erkenne, das positive Auswirkungen auf mein Leben haben wird. Es wird erfüllter, schöner sein…
Maasburg: Die Freude ist gewissermaßen die Anzahlung für diesen neuen Weg. Sie gibt dann die Kraft, Dinge im Leben umzusetzen, die nicht so einfach sind, wie Verzeihen, Geduld, Keuschheit. Das geht eigentlich nur aus der Freude heraus. Warum sollte ich sonst geduldig sein, keusch leben? Der Spaß ist ja verlockend.

Genau diese Freude müssten wir Christen eigentlich aufleuchten lassen. Die Menschen könnten dann erkennen: Wer den Wegweisungen Christi folgt, lebt besser, schöner.
Maasburg: Die wichtigste Form dieser Vermittlung ist unser Zeugnis. Der heilige Franz von Assisi soll seinen Brüdern aufgetragen haben: „Heute verkündet das Evangelium – nur wenn es gar nicht anders geht, auch mit Worten!“ Ähnlich bei den Schwestern der Mutter Teresa: Sie machen nie viele Worte. Aber: Sie sind fröhlich, sie sind liebevoll, sie sind hilfsbereit. Das ist Verkündigung. Sie erfolgt zuerst durch mein Sein, wie ich bin, dann erst durch meine Worte. Meine Freude steckt an. Dieses Sein müssen wir alle lernen.

Wie lernt man am besten?
Maasburg: Durch das Beispiel: Menschen, die aus der Freude leben, geben diese Freude weiter. Die Selige Mutter Teresa sagte einmal: „Lass keinen zu Dir kommen, der nicht fröhlicher von dir weggeht, als er gekommen ist.“ Es gibt solche Menschen. Woher aber kommt das? Aus der Hoffnung auf Gott. Bei Mutter Teresa war das zu erleben: Sie hatte schwer zu leiden, vermochte aber dieses Leiden mit friedlichem Herzen anzunehmen. Als sie z.B. einmal auf einer Intensivstation lag, angeschlossen an eine Unzahl von Monitoren mit blinkenden Warnlampen, erwachte sie einmal, schaut die vielen Lämpchen an und sagt zur Schwester, die neben ihr saß: „Ich wusste gar nicht, dass wir schon wieder Weihnachten haben.“ Die Freude kann auch in schweren Momenten lebendig sein.

Muss man heilig sein, um in dieser Spannung von Leiden und Freude leben zu können?
Maasburg: Als Menschen haben wir alle zu leiden. Keinem, ob gläubig oder ungläubig, bleibt es erspart, ein Kreuz zu tragen. Der große Unterschied besteht darin, wie ich es ertrage. Ich denke jetzt an das Evangelium der Bootsfahrt Jesu über den See (Mk 4,38): Jesus liegt hinten im Boot und schläft. Die armen Apostel schlagen sich mit einer stürmischen, lebensgefährlichen See herum. Sie rütteln Jesus wach und machen ihm den Vorwurf: „Scherst Du Dich nicht um uns“?! Und Jesus antwortet darauf nicht: „Tut mir leid, das habe ich jetzt verschlafen…“ Sondern Er sagt: „Habt ihr keinen Glauben?“ Das macht den Unterschied im Sturm des Leidens aus: Ob wir es mit oder ohne Jesus tragen. Mit oder ohne Glauben. Jesus ist auf jeden Fall da und – wie wir in der Erzählung hören – Er macht auch etwas. Vielleicht nicht immer das, was wir erwarten. Aber Er ist immer da, um etwas zu machen.
Von uns aber verlangt Er den Glauben. Dieser Glaube wandelt jedes Leiden in etwas anderes. Ich denke an den heiligen Thomas Morus und seine bevorstehende Hinrichtung wegen Hochverrats – keineswegs ein leichtes Kreuz. In seinem festen Glauben konnte er das Leid in einer fast fröhlichen Weise ertragen: Vor seiner Köpfung habe er seinen Spitzbart zur Seite geschoben und dem Scharfrichter erklärt: der Bart sei ja schließlich nicht des Hochverrats schuldig. Welche Leichtigkeit!
Menschlich gesehen, unerklärlich. Aber das bewirkt der Glaube: Er stellt Jesus neben uns, und wir sind nicht allein. Ob Er dann das Leiden mitträgt, erleichtert oder wegnimmt, ist Seine Sache. Aber mit Ihm bekommt das Leiden einen anderen Sinn.
Ich glaube daran: Jede Art von Prüfung, ein Leiden, ein Verlust, alles, was wir sofort mit dem Herrn und der Gottesmutter annehmen, wird erträglich und gewinnt einen neuen Sinn. Sehr oft eröffnet es neue Perspektiven, lässt uns schneller reifen, lässt Entscheidungen anders ausfallen, als man vorher gedacht hätte. Die Sicht verändert sich. Das Leiden wirft einen dann nicht mehr so leicht um, sondern stellt uns erst richtig auf die Füße.
In unserer Konsumgesellschaft führen wir ja teilweise ein Leben, das von so vielen Muss-ich-noch-tun bestimmt ist, dass wir das eigentliche Leben verpassen. Nun kann ein plötzliches Leiden, das wir an der Hand Gottes annehmen, dazu führen, dass sich die Gewichtungen und damit die Prioritäten verschieben. Oft erkennst du: Hoppla, das war ein Irrweg, da muss eine neue Entscheidung gefällt werden. Du siehst vieles plötzlich klarer, als wenn du nur für den Konsum lebst.
Das Leiden hat noch eine zweite große Aufgabe: Es lässt uns teilnehmen an der Erlösung der Welt. Jesus Christus hat uns nicht nur erlöst, Er lässt uns auch an der Erlösung mitwirken. Der heilige Paulus spricht davon (Kol 1,24), dass er sich „in den Leiden freut“ die er erträgt, weil er so „für den Leib Christi, die Kirche, in (seinem) irdischen Leben ergänzt, was an den Leiden Christi noch fehlt.“

Wenn schon schwer leidende Menschen Freude zu transportieren vermögen, um wie viel mehr müssten wir nicht so schwer geprüfte Christen es dann tun?
Maasburg: Täglich mit dem Wort Gottes zu leben, würde uns da sehr helfen. Wir würden erkennen, dass es keine Lebenssituation gibt, kein Problem, keine Schwierigkeit, zu denen ich nicht ein Pendant, ein Beispiel oder ein Wort Jesu finde. Meist sogar finden sich im Leben Jesu selbst analoge Situationen zu den meinen. Wir können dann fragen: Wie hat Er sich da verhalten? Sobald ich mich diesem Vergleich stelle, gehe ich ja mit Jesus. Der Herr ist verraten, schwer enttäuscht, ungerecht behandelt, beschimpft worden. Wenn ich das sehe, erkenne ich: Er hat das alles akzeptiert – und zwar ohne Hadern, ohne Vorwürfe, ohne Selbstmitleid… – und mit gleichbleibender, unveränderter Liebe zu den Menschen. Das ist der Kern der Herausforderung, vor der wir stehen und gleichzeitig das Geheimnis einer tiefen Freude: dass nämlich das Vertrauen zu Gott und die Liebe zu den Mitmenschen nie gebrochen wird.
Das Gespräch hat Christof Gaspari geführt.

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