VISION 20004/2015
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„Habe den Puls des Lebens spüren dürfen“

Artikel drucken Rückblick auf ein bewegtes, erfülltes Familienleben (Von Elisabeth Köller)

In den Medien wird das Bild von der Karriere-Frau gepflegt, die – wenn sie überhaupt Kinder hat – Job und Heim mit links schupft. Dieser Illusion laufen viele nach  – und versäumen damit die Freuden des Mutterseins, von denen dieses Zeugnis spricht.

Familie bedeutet für mich zuerst einmal die Erfüllung eines Wunsches, den ich – wie auch heute noch viele junge Menschen – immer schon in mir getragen habe. Bei unserer Hochzeit war ich nicht mehr ganz jung und dadurch schon etwas nüchterner und realistischer als in meinen Träumen. Die Ehe habe ich nie als „sicheren Hafen“ angesehen – wäre ja auch langweilig! –, aber wie gut das von uns gewählte Evangelium (Mt 14,22-33) als Leitbild für Ehe und Familie gepasst hat, das habe ich erst in den folgenden 20 Jahren erfahren.
Matthäus erzählt, wie Petrus auf eigenen Wunsch und auf den Ruf Jesu hin über die Wellen auf seinen Meister zugeht, bis er plötzlich vor der Heftigkeit des Windes erschrickt und zu sinken beginnt: Herr, rette mich! Und Jesus nimmt ihn an der Hand und zieht ihn heraus. Ein Gang über das Wasser, ein Boot, das vom Gegenwind hin- und hergeworfen wird – das alles, verbunden mit der Erfahrung, dass sie gelingt, wenn der Blick auf Jesus gerichtet bleibt, ist für mich Familie.
Ich weiß noch, wann und wo ich das erste Mal das Strampeln des ungeborenen Kindes in mir gespürt habe. Mit – fast möchte ich sagen: heiligem – Staunen wurde mir bewusst, dass diese Bewegung nicht von mir ausgeht, sondern von jemandem, der tief in mir heranwächst, der nicht Teil von mir ist, sondern eine eigene Person, mein Kind, das mir jedoch nicht gehört, sondern mir – uns – von Gott, dem Vater und Schöpfer selbst, anvertraut ist.
Als wir ein paar Monate später überglücklich und voll Ehrfurcht am Bett dieses winzigen Wesens standen, da war mir mit einem Mal klar, dass meine Freiheit nun zu Ende ist, dass fortan mein ganzes Leben endgültig und untrennbar mit dem Schicksal dieses Kindes verbunden sein wird.
Gegen diese „Freiheitsberaubung“ – dem Ersten schickte Gott zur Verstärkung in rascher Folge noch drei Geschwister – habe ich mich später zeitweise aufgebäumt und zugleich im Innersten stets gewusst, dass ich es gar nicht anders wollte.
Miterleben zu dürfen, wie sich von frühem Säuglingsalter an die Persönlichkeiten der Kinder langsam entfalten, hat mich fasziniert und überreich beschenkt. Manches habe ich aufgeschrieben, um den Zauber dieser Zeit ein wenig festzuhalten.
Auch wenn ich mich manchmal – bedingt auch durch geografische Distanzen – von Freunden und von der Welt isoliert fühlte, so weiß ich heute doch, dass ich nichts versäumt habe, sondern vielmehr den Puls des Lebens spüren durfte, direkt an der Quelle. Und doch ist das alles nur die eine Seite. Die andere heißt Herausforderung in bis dahin ungeahntem Ausmaß, oft an die Grenzen meiner physischen und nervlichen Kräfte – und darüber hinaus.
Oft bin ich am Abend, wenn sie endlich alle schlafend wie die Engelein in den Betten lagen, in ihrem Zimmer gesessen, das Herz von Reue schwer. Fast hätte ich sie geweckt, auf den Schoß genommen und um Verzeihung gebeten für jedes harte Wort, für mein Unverständnis und meine Ungeduld. Wissen Pädagogen eigentlich, welche Last sie Müttern aufladen mit ihren unerreichbaren Idealen von gelingender Erziehung, und das in einem Umfeld mangelnder Wertschätzung für die „Vollzeitmutter“?
Ohne den festen Glauben, dass nicht alles von meinem menschlichen Unvermögen abhängt, wäre ich verzweifelt. Nimm Du sie an der Hand, Mutter Maria, und schützt ihr sie, ihre Engel, die ihr das Angesicht des himmlischen Vaters schaut.
Getragen weiß ich mich durch den Bund der Ehe, durch das Versprechen meines Mannes, das er mir vor Gott und der Kirche gegeben hat und auf das ich mich auch in mühseligen Zeiten verlassen kann. Welche Weisheit, welch tiefe Menschenkenntnis birgt das gegenseitige Eheversprechen, dieses „Ich will dich lieben, achten und ehren …“! Schade, dass darüber so wenig gesprochen wird.
Als ich meinen „Therapiekindern“ ankündigte, dass ich wegziehen und heiraten werde, da fragte mich eines von ihnen: „Weißt du schon wen?“ Diese Frage hat mich damals belustigt. Aber wusste ich denn wirklich, wem ich da mein Ja-Wort gab? Wusste ich, wie dieser junge Mann, den Kinder wenig interessierten und kleine schon gar nicht, als Vater sein würde? Wusste er es selbst?
Laut gelacht hätte er, wäre ihm damals prophezeit worden, dass er künftig seine Freizeit damit verbringen werde, seine Kinder zu baden, zu wickeln und anzuziehen, sie zu füttern und auf Berge zu schleppen. Niemals hätte er sich vorstellen können, dass ihm das allabendliche Freudengeheul bei seiner Heimkehr mehr bedeuten würde als jedes Lob eines Kunden, die Überreichung einer futuristisch anmutenden Kinderzeichnung („Das hab´ ich für dich gemalt!“) mehr als jedes Diplom, dass er über die Aussprüche seiner Kinder mehr lachen würde als je zuvor in seinem Leben.
Auch das ist für mich Familie: Dass das Kleine und Schwache im Mittelpunkt steht und seine Umgebung verwandeln kann. Ich sehe den großen Mann, der beteuert, dass er sicher nicht mit drei Kindern einkaufen geht, und vor ihm das kleine Mädchen, das ihn unverwandt anschaut, die winzigen Schuhe – seine ersten – in den Händen. Und er, vor dessen Dickschädel schon so mancher Chef kapituliert hat, kniet sich mit einem Seufzer nieder und zieht der Tochter die Schuhe an. (Später ist er sogar mit vier Kindern einkaufen gegangen.)
Immer wieder durfte ich dankbar die im Sakrament der Ehe zugesagte Gnade spüren. Was ist Gnade? Für mich bedeutet Gnade ein unverdienter, unerwarteter Lichtstrahl vom Himmel, der mich wieder ein Stück weiterträgt – zum Beispiel als die entnervte Mutter, die mit dem Jüngsten zu einem dringenden Termin muss, wieder einmal zu spät dran, seine Schuhe findet, nicht aber die Socken. Damals noch dem hohen Erziehungsideal der Ordnungsliebe verpflichtet, verlange ich doch allen Ernstes von dem Dreijährigen, dass er wisse, wo er diese gelassen habe. Die Schwester sieht das Gewitter sich über dem armen Kleinen zusammenbrauen, setzt sich kurzentschlossen auf den Boden, reißt sich die Schuhe von den Füßen, dann ihre Socken und reicht sie dem Bruder. Da jubelt das Herz der Mutter: Vergiss die Kleinigkeiten, schau auf das große Ganze!
Zur Taufe unseres dritten Kindes predigte der Priester, inspiriert vom mittelalterlichen Namen des Täuflings, über das Bild eines gotischen Bogens. Wir Eltern sollten wie zwei aufeinander zulaufende Säulen einen schützenden Bogen bilden, unter dem unsere Kinder in Geborgenheit heranwachsen können. Der Schlussstein des Bogens aber sei Gott selbst.
An diesen Bogen denke ich oft und sehe ihn eingefügt in ein Gewölbe, das für mich die Kirche ist. Die Kirche ist es, die uns Gott bringt im Wort und in den Sakramenten. Ich bin meiner Kirche dankbar für das Sonntagsgebot.
Da es uns als Ehepaar immer wichtig gewesen ist, gemeinsam zur Messe zu gehen, neben einander zu knien wie damals vor dem Traualtar, konnten wir gar nicht anders, als unsere Kinder von klein auf Sonntag für Sonntag mitzunehmen. Natürlich war das manchmal mühsam, natürlich ist der Gottesdienst ihnen oft lange geworden („Wie viele Lieder noch?“). Und doch bin ich überzeugt, dass es Kinder prägt, wenn sie sehen, wie der große, starke Vater sich hinkniet und klein macht vor Gott, wie die sonst so rastlose Mutter eine Stunde ruhig mit im Schoß gefalteten Händen sitzt, wie die scheinbar unfehlbaren Eltern ihre Schuld bekennen und einander die Hände zum Friedensgruß reichen, auch wenn kurz vorher das Fertigwerden zum Kirchgang noch von einigen Turbulenzen begleitet war.
 Ich habe vor Jahren einmal unsere drei „Großen“ im Kindergartenalter in einer ihnen kaum bekannten Kirche zurückgelassen, um mit dem schreienden Jüngsten im Kinderwagen draußen Runden zu drehen. Eingebettet in das ihnen vertraute Geschehen der Hl. Messe vermissten sie mich nicht.
Ich bin der katholischen Kirche dankbar, dass sie unseren Kindern Heimat gibt – weltumspannend. Das ist weit mehr, als wir Eltern ihnen zu geben vermögen.
Was ich mir von der Kirche, von ihren Priestern und Bischöfen wünsche, ist die Treue zum Evangelium und eine echte Nähe zu den Menschen, die meiner Meinung nach nicht über Gremien, Verbände und Räte zu verwirklichen ist, sondern nur durch den direkten Kontakt. Aus den Worten unseres Papstes spürt man, dass er als Erzbischof von Buenos Aires täglich mit dem Bus gefahren ist, die Menschen in ihren Wohnungen besucht, mit ihnen gesprochen und ihnen zugehört hat. Vielleicht gelingt der Kirche auf diese Weise das Wunder wieder, das Jesus an der Frau am Jakobsbrunnen vollbracht hat.
Unsere Kinder sind jetzt Teenager. Im Sommer sind wir wieder einmal auf einen Berg gestiegen. Die, die ich jahrelang auf Wanderungen gezogen, geschoben, gehoben und mit Geschichten bei Laune gehalten habe, sind weit voraus, ich stapfe schweigend hinterher, in ungewohnter Ruhe meinen Gedanken nachhängend.
Nach einer der Geburten, als die Hebamme das Neugeborene wog, kam mir spontan und nicht wirklich passend das Wort Johannes´ des Täufers in den Sinn: Er muss wachsen, ich aber abnehmen. Plötzlich ist dieser Gedanke wieder da. Als ich endlich oben ankomme, sitzen die Vier schon gemütlich unterm Gipfelkreuz. Eine springt auf, läuft mir entgegen und nimmt mir den Rucksack ab.
Manche Ideologien sprechen von Lebensentwürfen, für sie ist mein Muttersein eine Rolle, aus der sie mich unbedingt befreien müssen. Die Kirche nennt es Berufung. Berufung – ein hehres Wort angesichts meines täglichen Kampfes gegen Wäscheberge, hungrige Mägen und permanente Unordnung. Doch wie kündigte der Engel des Herrn den Hirten die Geburt des Erlösers an? Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und gleich darauf stimmten die himmlischen Heere das Gloria an.
So wie die Windeln und der Futtertrog zur Menschwerdung des Gottessohnes dazugehören, ohne auch nur annähernd das Eigentliche dieses Wunders auszumachen, so gehört das Stehen am Herd nun einmal zum Muttersein dazu. Das unfassbare Geheimnis ist aber ein anderes, nämlich als schwache Menschen, als Eltern, als Mann und Frau, mitwirken zu dürfen am Schöpfungsauftrag Gottes.

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