VISION 20006/2013
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Familie – Brennpunkt der Erneuerung

Artikel drucken Zur Entfaltung braucht der Mensch Geborgenheit und Liebe (Von Christof Gaspari)

Die 25-Jahr-Feier – Gelegenheit zu einem Rückblick, der  unsere heutige Situation beleuchten soll, um unsere gei­stige Situation klarer zu sehen. Da­durch lassen sich Ansatzpunkte für eine Erneuerung erkennen. Dabei zeigt sich: Der Familie kommt eine zentrale Bedeutung zu.

Ein kurzer Rückblick also: Vor 25 Jahren war Europa noch durch den Eisernen Vorhang geteilt. Dessen Beseitigung hat in der folgenden Zeit stark zur Ökonomisierung des Lebens beigetragen. Der Kapitalismus schien sich als das bessere System durchgesetzt zu haben. Perspektiven eines grenzenlosen Wirtschaftswachstums taten sich auf. Für Österreich bedeutete dies ein Plus von 66% beim Bruttonationalprodukt.
Weltweit entstanden riesige Wirtschaftsgebilde, eine enorme Konzentration von Macht in den Händen weniger. Dazu nur eine Zahl: Die 10 reichsten Personen der Welt verfügen über Werte, die dem gesamten österreichischen Nationalprodukt entsprechen. Im Arbeitsprozess hat sich das Gewicht zu Gunsten der Kapitalgeber verschoben. Die Entlohnung einer wachsenden Zahl von Menschen reicht kaum mehr, um als Alleinverdiener eine Familie  zu erhalten.
Noch eine Veränderung sei erwähnt: die elektronische Revolution. Vor 25 Jahren konnte man in Österreich nur zwei Fernsehstationen empfangen und – heute fast unvorstellbar: Es gab kein Handy, keine ununterbrochene Erreichbarkeit, keine fortgesetzte Musikberieselung, keine Videospiele… Vor allem aber hat der Computer Einzug in unseren Alltag gehalten – mit ihm das Internet, also Kontakte rund um den Globus.
Diese Veränderungen haben große Möglichkeiten eröffnet. Ohne sie wäre es nicht möglich gewesen, VISION 2000 zu veröffentlichen, einen Sender wie Radio Maria zu betreiben… Gleichzeitig stellen die Neuerungen aber ein enormes Verführungspotenzial dar. Stichwort Pornographie: Via Smartphone und Computer hat jeder Zugang zu schrecklichsten, menschenverachtenden Darstellungen. Und dass diese Möglichkeit – schon von Kindern – genutzt wird, zeigen einschlägige Untersuchungen.
Zu bedenken ist: Die elektronischen Medien führen zu einer Form der Kommunikation, die ohne menschliche Begegnung stattfindet: Wir treten zwar in Kontakt, tauschen Infos aus – begegnen einander jedoch nicht: Man chattet mit Pseudonym im Internet, spielt am Bildschirm mit einem Gegner, den man nicht kennt, Fußball, erfährt Details aus dem Leben von Freunden von Freunden auf Facebook…
Das alles hat Einfluss auf das Zusammenleben: Es wird flüchtiger, oberflächlicher – man erfährt viel Banales, für das eigene Leben Belangloses, „konsumiert“ das Leben anderer, ohne an ihm teilzuhaben: Der Mensch ist bedroht, an Bildschirmen zu vereinsamen.
Auch das Zusammenleben hat sich geändert: Immer mehr Menschen leben allein in ihren vier Wänden (36% der Haushalte in Österreich sind nur mehr von einer Person bewohnt). Vor allem das Alter ist oft einsam. Die Zahl der Kinder sinkt (in den letzten 25 Jahren um 17%), ebenso die Zahl der Eheschließungen (minus 15%), die Scheidungsbereitschaft steigt ebenso wie die Zahl lediger Kinder… All das ist Ausdruck von instabileren, flüchtigeren Beziehungen.
Noch eine Entwicklung sei erwähnt: Das Zuhause verliert zunehmend den Charakter, zentraler Ort des Lebens zu sein. Dort  begegnen einander Menschen, die den Großteil ihrer Kapazität außer Haus investieren und dort auch die meiste Zeit verbringen: die Eltern berufstätig, die Kinder von klein auf in außerhäuslicher Betreuung. Die Politik fördert dieses Lebensmodell. Das Ergebnis: Bei einer Umfrage stellten in Wien zwei Drittel der Befragten fest, es sei „Aufgabe des Staates, Kinder unter drei Jahren zu betreuen“.
Gemeinsame Mahlzeiten kommen da oft zu kurz. Das Essen wird außer Haus eingenommen: MacDonalds, der Würstelstand, die neu eröffneten Bäckerladen florieren. Da jeder zu anderen Zeiten heimkommt, nimmt er sich aus dem Kühlschrank, was da ist und verzehrt es vor dem Bildschirm – allein. Ein Trend zur Vereinsamung also.
Dabei ist die Erwartungshaltung aller Familienmitglieder an das Zusammensein groß. Jeder sucht Geborgenheit, Angenommensein, will, dass man an seinen Sorgen Anteil nimmt. Aber nach einem stressigen Tag hat kaum einer die Kapazität, dem anderen all das zu vermitteln. Darf man sich wundern, dass familiäre Beziehungen da leiden?
Kommt dazu, dass diese Entwicklung von Politik und Medien als unausweichlich, ja als das Zukunftsmodell schlechthin dargestellt wird. Und die von diesen „Kanzeln“ verkündete Gender-Ideologie propagiert nun die unmöglichsten Formen des Zusammenlebens. So wird etwa die Familie zu jedem Ort, „wo Kinder sind“ (Verena Remler, Ex-ÖVP-Familienstaatssekretärin).
Dieser Realität müssen wir uns stellen, klar sehen, welcher geistigen Beeinflussung der Mensch heute ausgesetzt ist.
Was tun? Keineswegs geht es darum, die Rückkehr zu den „guten, alten Zeiten“ zu predigen, verklärt in die Vergangenheit zu blicken, wohl aber um angemessen auf die heutige Herausforderung, die Perspektivelosigkeit unserer Tage zu reagieren. Die meisten spüren es ja: Die Glücksverheißungen der vergangen Dekaden sind nicht wirklich tragfähig. Dazu ein paar Schlaglichter:
Noch nie gab es in Europa eine so lange Phase ununterbrochener materieller Wohlstandsmehrung, noch nie einen so hohen Standard der Gesundheitsversorgung, noch nie eine so hohe Lebenserwartung, noch nie ein so breit gefächertes Informationsangebot – und dennoch ist das Wort Krise in aller Munde und beherrscht FS-Nachrichten und Schlagzeilen, ist Thema von Expertengesprä­chen… Man denke nur an die weltweiten Schuldenberge, die wachsende Kluft von Arm und Reich, die Terrorgefahr, die Jugendarbeitslosigkeit, die Immigrationsproblematik…
Die Frage ist: Wie reagieren wir auf all das? Mit einem einschneidenden Wandel auf politischer, wirtschaftlicher oder medialer Ebene ist nicht zu rechnen. Das lehrt die Erfahrung: Etablierte Strukturen verändern sich meist nur durch Umbrüche. Eventuell könnte ein verbreiteter geistiger Wandel in der Bevölkerung eine Kurskorrektur auslösen, etwa wenn eine Partei ein neues Wählerpotenzial, die Medien eine neue Klientel entdecken. Aber ausgehen wird der Wandel zum Guten nicht vom öffentlichen Raum, obwohl die meisten von uns sich genau von dort entscheidende Impulse erwarten.
Nun muss ich das sofort präzisieren: Selbstverständlich kommt uns das Heil von außen zu – aber von Jesus Christus. Und Er will es mit uns und durch uns wirken – und zwar durch jeden von uns. In welcher Form? Dass in uns und durch uns Orte der Hoffnung entstehen. Unsere Zeit braucht Menschen, die erfahrbar machen: Leben kann gelingen – und zwar anders, als es die Gurus heute verkünden. Die Sehnsucht nach solchen Orten der Hoffnung ist da.
Wer die Jugendwertestudie liest, erkennt, dass auf die Frage, was im Leben wichtig sei, den Beziehungen Vorrang eingeräumt wird: zu Freunden (71%) und in der Familie (69%). Familie ist nach wie vor ein Hit! Und was das Zusammenleben anbelangt, gibt es auch klare Antworten: Treue (84%), weit vor Sex und Geld.
Es gilt also, Orte der Hoffnung zu schaffen, in denen diesen Wünschen Rechnung getragen wird. Diese Forderung bedeutet weder Aufwärmen einer Famili­en­ideologie noch Anheizen einer Wertedebatte. Es geht um das eigene Leben, um die Frage: Wie lebe ich mit meinen Mitmenschen zusammen? Wir sind gefordert, liebe Leser, Sie und ich!
Der erste Ansatz zu dieser Erneuerung: In der Welt des Gender-Mainstreaming erfahrbar machen, dass die Polarität von Mann und Frau lebensträchtig, lebensbegründend, das Wachstum der Persönlichkeit fördernd ist. Warum? Weil das der Schöpfungsordnung entspricht. In der Polarität von Mann und Frau sind wir Abbilder Gottes. Denn Gott ist kein Monolith. Die lebenslängliche Ehe bildet das Geheimnis der Dreifaltigkeit wunderbar in der Schöpfung ab, wie Papst Johannes Paul II. festgestellt hat: eine Einheit von Personen, die in der Person des Kindes fruchtbar ist. Selbst die Völkerkunde erkennt: Wo Monogamie gelebt wird, blüht die Kultur auf. Und der Niedergang tritt ein, sobald sich diese Struktur auflöst (Man lese bei Joseph D. Unwin nach).
Die lebenslange Ehe ist eben der ideale Ort menschlicher Entfaltung – vor allem auch geistig-seelisch. Als Abbilder Gottes sind wir ja auf Liebe angelegt. Dabei ist es wichtig, daran zu erinnern, dass Liebe weit mehr als ein Gefühl ist: nämlich eine Haltung, die unbedingt Ja zum geliebten Wesen sagt. Um uns menschlich entfalten zu können, brauchen wir die Erfahrung: Du bist geliebt.
Es muss Klarheit geschaffen werden, was Liebe bedeutet. Wenn ich jemandem sage: Ich liebe dich, so spreche ich ihm zu: Es ist gut, dass du bist. Ich nehme dich an, so wie du bist. Was immer du tust – ich stehe zu dir. Unabhängig von allem anderen: Du bist wertvoll. Damit sich der Mensch entfalten kann, braucht er die Erfahrung, dass er für jemanden einmalig, unaustauschbar, in seinem ganzen Wesen angenommen ist.
In einer Welt, in der die Ehe kaum mehr von außen gestützt wird, ist es umso wichtiger, dass die Ehepartner das innere Band der Liebe immer wieder festigen, erneuern – besonders in der Krise. Das gelingt umso leichter, je tiefer wir die Ehe sakramental leben. Denn dann sind wir nicht auf unseren guten Willen, unsere Standfestigkeit allein angewiesen, müssen nicht Supermenschen sein, sondern können aus der Gewissheit leben, dass der allmächtige Gott sich in unsere Ehe einmischt und als Garant unseres Durchhaltevermögens wirkt. Er ist es auch, der die Kraft zum Verzeihen gibt. Denn ohne Verzeihen ist in Beziehungen auf Dauer gar nichts möglich. Das liegt an unserer Unvollkommenheit, die fortgesetzt zu gegenseitiger Kränkung und Verletzung führt.
Wo nun diese Sicherheit des Angenommenseins gewachsen ist, kann jeder auch der Mensch sein, der er nun einmal ist. Er muss nicht schauspielern, dauernd die Butterseite hervorkehren. So geschieht dann in der Polarität von Mann und Frau, die einander unverbrüchlich annehmen, ein Wachstumsprozess, der hilft, immer mehr der zu werden, den Gott sich gedacht hatte: ein mütterlicher oder väterlicher Mensch.
Daher meine Überzeugung: Die christliche Ehe ist der Brennpunkt der Erneuerung. Sie ist der Raum, in dem Kinder erfahren: Man kann sich auf einen anderen einlassen; meine Eltern gehen trotz vieler Schwierigkeiten durch dick und dünn miteinander; sie verzeihen einander immer wieder, fangen neu an. Auch mein Leben kann einmal gelingen. In einer Zeit, in der so viele Beziehungen scheitern, wird dadurch klar: Niemand ist durch das Versagen der anderen präjudiziert. Alles hängt von der eigenen Bereitschaft zur Bindung ab – eine Entscheidung die tagtäglich neu getroffen werden kann.
Der Garant dafür, dass wir diese Entscheidung tatsächlich auch treffen, ist unser Herr Jesus Christus. Er ist die Hoffnung der Welt, die Quelle jeder Erneuerung. Und Sein Wirken wird umso deutlicher erkennbar für eine Welt, die Abschied vom Glauben nimmt, je mehr wir Ihn in unser Leben, in unsere Beziehung einlassen.
In den kleinen Dingen des Alltags werden trotz aller äußeren Hindernisse die Weichen für morgen gestellt, wird die Welt erneuert. Das wirkt unscheinbar und unbedeutend, ist aber der Schlüssel für die Krisenbewältigung – und es ist in der Reichweite von jedermann. Da bedarf es keiner neuen Gesetze, keiner internationalen Verträge – da haben wir freie Bahn. Und dann mag es sein, dass Menschen rund um uns aufmerksam werden, anfragen, wie es möglich ist, so zu leben. Dann ist der Moment gekommen, Zeugnis zu geben, Zeugnis davon, dass Jesus Christus die Hoffnung der Welt ist.

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