VISION 20006/2013
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„Dann kommt der Augenblick einer großen Erleichterung“

Artikel drucken Erfahrungen eines Exorzisten mit dem Befreiungsgebet

Exorzismus: Wer denkt da nicht an gruselige Szenen aus reiße­rischen Filmen? Wenn sie davon hören, schütteln selbst viele Christen nur den Kopf: längst überholt, mittelalterlich… Und dabei: Überall in Europa steigt die Nachfrage nach dieser Art der Befreiung, die seit jeher zum Dienst der Kirche gehört hat. Im folgenden ein Gespräch über die Erfahrungen eines Exorzisten:

Welche Eigenschaften muss ein Exorzist aufweisen?
Piotr Markielowski: Er muss gottesfürchtig, freundlich, nicht sensationsgierig, selbstlos, aufmerksam und ein Mensch mit Tiefgang sein. Der Dienst als Exorzist ist sehr herausfordernd, er verlangt den Gebrauch des Verstandes und einen starken, lebendigen Glauben, damit man einerseits die teuflischen Tricks durchschaut und sich andererseits nicht in Versuchung führen lässt. Manchmal kann der Teufel auch die Schwächen und Sünden des Priesters aufzeigen. Mir hat er schon einmal meine Schwäche für das Internet vorgehalten.
Ich lasse mich natürlich nicht in ein Gespräch mit dem Teufel hineinziehen – weil die Dämonen viel durchtriebener sind als wir. Man soll sie nicht ausfragen, weil der Exorzismus keine spiritistische Beschwörung ist. Ich stelle nur Fragen nach der Anzahl der Dämonen (berücksichtige dabei die Tatsache, dass Dämonen na­türlich auch lügen können) und nach dem Namen dessen, mit dem ich rede. Ich befehle ihm herauszukommen. Aber es gelingt nicht immer. Manchmal versuche ich auch zu fragen, wo sich die Dämonen im Körper befinden. Einmal hat mir einer geantwortet, er befinde sich in der Bauchspeicheldrüse. Leider wusste ich damals nicht, wo dieses Organ liegt, obwohl ich seit 21 Jahren im Krankenhaus als Kaplan arbeite. Darauf habe ich ihn gefragt, wo sich die Bauchspeicheldrüse befindet und er hat darauf geantwortet: „Schau doch im Internet nach, du machst das doch gerne!“

Wie kommen Sie zur Überzeugung, dass jemand besessen und nicht krank ist?
Markielowski: Wenn es notwendig ist, führe ich versuchsweise einen Exorzismus durch. Außerdem bin ich mit einer Psychiaterin befreundet, einer tiefgläubigen Person. Sie hilft mir, die Art der Störung zu erkennen. Wenn ich sie darum bitte, kommt sie, betet mit uns und beurteilt, ob die betreffende Person besessen oder psychisch krank ist. Daraufhin entscheide ich, ob ich den Exorzismus durchführe oder stattdessen eine psychiatrische Behandlung nötig ist. Bei psychisch Kranken bete ich mit den Betroffenen, damit sie jemanden haben, dem sie sich anvertrauen können.

Gibt es viele Besessene?
Markielowski: Generell gibt es viele Leute, die den Kontakt zu einem Exorzisten suchen. Sie glauben, der Exorzismus sei ein Allheilmittel für Probleme: etwa bei Ehebruch (des Mannes), Alkoholismus des Sohnes oder wenn die Tochter in einer Beziehung mit einem Mann lebt, usw. Das sind jedoch Situationen, bei denen es reichen würde, zur Beichte zu gehen oder ein Gespräch mit dem Pfarrer zu führen. Damit der Kontakt mit solchen Leuten nicht abbricht, habe ich zweimal in der Woche in den Spitälern, in denen ich arbeite, eigene Sprechstunden eingeführt für Menschen, die beichten, ein Gespräch führen oder beten wollen.

Sind psychisch Kranke gleichzeitig auch Besessene?
Markielowski: Ja, das kann vorkommen, wenn sich jemand völlig irrational verhält. Aber dann stehe ich vor dem Dilemma, ob ich dieser Person gleich helfen oder sie zuerst zur Therapie schicken soll. Erwähnt sei auch, dass ein Exorzist für Menschen, die zu ihm kommen, keine absolute Autorität darstellt. Oft haben sie eigene Vorstellungen und wollen nicht immer auf seine Ratschläge hören.

Können Sie tatsächlich unterscheiden, wer wirklich Ihre Hilfe braucht?
Markielowski: Ich versuche das herauszubekommen. Ich bin erst seit vier Jahren Exorzist und behaupte nicht, dass ich mich in allem auskenne und keine Fehler mache. Aber der Heilige Geist hilft mir; Er flüstert mir zu und so können wir es gemeinsam schaffen. Schlimm ist es, wenn eine Person so von Dämonen manipuliert ist, dass sie sich nicht ganz von ihnen befreien lässt. Das ist irrational, kommt aber leider oft vor. So jemand kommt zwar zum Exorzisten, kooperiert aber nicht mit ihm. Vielleicht ist er innerlich immer noch im Bund mit dem Dämon. Das kann man nie ausschließen. Wenn das Gebet nicht hilft, sich womöglich die Lage sogar noch verschlimmert, kann ich annehmen, dass die Person den Exorzismus über sich ergehen lässt, aber innerlich an ihrer Zugehörigkeit zum Satan festhält, weil dieser Angst macht, sie durch Versprechungen benebelt und irreführt.

Warum muss für manche lange gebetet werden, oft Jahre lang?
Markielowski: Jesus kann natürlich ein Wunder wirken und die Person in einem einzigen Augenblick befreien. Ich glaube aber, dass es Jesus manchmal auch um die Heilung ganzer Familien geht. Es kommt vor, dass andere Personen oder Umstände an der Besessenheit eines Menschen schuld sind, worauf die betroffene Person von Gott und der Kirche weggekommen, etwa zu einer Sekte gegangen ist und einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Wenn jemand sich durch Exorzismus befreien lassen will und mit Eltern und Geschwistern gemeinsam kommt und sie miteinander beten und die Befreiung unterstützen, ist das eine ausgezeichnete Familientherapie. Aber es gibt auch Fälle, wo dies nicht zutrifft. Die Betroffenen schämen sich oft, von ihrer Belastung zu reden. Sie haben Angst, sie könnten bei ihren Angehörigen kein Verständnis finden. Diese würden sie eher zum Psychiater schicken, auch wenn wir überzeugt sind, dass es sich um Besessenheit handelt.

Wie alt sind Menschen, die zu Ihnen kommen?
Markielowski: Die meisten sind zwischen 15 und 25-30 Jahre alt. 90 Prozent sind Frauen.

Nach Ansicht von P. Gabriele Amorth, dem römischen Exorzisten, haben Männer eine große Scheu, bei einem Exorzisten um Hilfe zu bitten. Auch herrscht die Überzeugung, Frauen seien eher für die Wirkung des bösen Geistes anfällig...
Markielowski: Das kann sein.

Zurück zum Problem lang andauernder Exorzismen. Wieso sind manche so widerstandsfähig und gehen auf die Macht des Gebetes nicht ein? Könnte das sogar Gottes Wille sein?
Markielowski: Dafür gibt es viele Ursachen: einerseits ein nicht ausreichend tiefer  Glaube. Vielleicht hat sich die Person nicht wirklich bekehrt und von ihren Sünden losgesagt, etwa weil sie immer noch stark von Horoskopen oder Pornographie abhängig ist. Daher bleibt ihr Wille sehr geschwächt. Möglicherweise ist es auch Gottes Wille, dass durch ein lang andauerndes Gebet die ganze Familie geheilt wird, sich die Tochter dann etwa doch zu einer kirchlichen Trauung entschließt oder eine Sucht überwindet. Das ist sehr wichtig, wenn zum Beispiel die Eltern einer Sucht verfallen sind. Sieht ein Kind nämlich die Eltern betrunken, kann in ihm Hass entstehen, der viel Böses bewirkt: Selbstmordgedanken, Selbstverstümmelungen oder andere Formen von Selbstaggression. Auch da kann ein Exorzismus nicht wirksam werden.

Worin besteht die Macht des Gebets des Exorzisten? Warum reicht es beispielsweise nicht, wenn  freie Gebete gesprochen werden? Warum braucht es das kirchliche Ritual?
Markielowski: Die anderen Gebete, wie z.B. der Rosenkranz, können ebenfalls wirksam sein. Aber die Tradition der Kirche ist wichtig, weil sie die Rituale zur Heilung bewahrt. Es gibt zwei Rituale: eines aus dem Jahr 1614 in lateinischer Sprache und eines aus dem Jahre 1998. Ich benütze beide. Es ist wichtig, dass solche Gebete gesprochen werden. Sie rücken dem Teufel zu Leibe. Ich befehle dem Dämon, dass er vor seinem Austritt aus einer Person ein „Gegrüßet seist du Maria“ beten soll. Das ist ein Zeichen, dass er die betreffende Person verläßt. Eine große Macht hat auch die Eucharistie. Im Film „Das Zeugnis“ wird gezeigt, wie der selige Papst Johannes Paul II. an jemandem erfolglos einen Exorzismus vollzieht. Am Ende sagt er zu der Person, er werde am Morgen eine Messe feiern. Darauf ist der Dämon mit Riesengeschrei aus der besessenen Person ausgefahren.

Noch eine Frage zu jenen, die einen Teufelspakt unterschreiben. Inwieweit ist das ernst oder eher ein Spiel?
Markielowski: Da gibt es ein breites Spektrum vom Spiel bis zum ernsten Verfall. Aber in allen Fällen ist es so, dass dann das Bewusstsein bereits vom Bösen manipuliert ist.

Bedeutet die Tatsache, dass vor allem junge Menschen besessen sind, dass sie durch die heutige Kultur beeinflusst werden, die von teuflischen Inhalten durchdrungen ist?
Markielowski: Ursachen finden sich sowohl in der heutigen Kultur wie auch in der Schwäche des persönlichen Glaubens, der keine Kraft mehr hat im Kampf gegen die Versuchung. Wenn der Glaube stark ist, kann jeder Christ sein eigener Exorzist sein.

Die westlichen Gesellschaften orientieren sich nach einer wertneutralen Weltanschauung. Ist daher die Meinung, dass das Problem der Besessenheit nur Gläubige betrifft, noch gültig, wenn es heißt: „Hör auf, in die Kirche zu gehen, dann löst sich dieses Problem“?
Markielowski: Es gibt viele Christen, die den Satan nicht ernst nehmen und ihn eher für ein Maskottchen halten und nicht für das, was im Evangelium über ihn geschrieben steht.

Was halten Sie von der Meinung Nichtgläubiger, es reiche, nicht mehr an Gott zu glauben, dann sei man auch das Böse los?
Markielowski: Ich glaube, dass der Teufel sie durchaus schon in der Hand hat, weil sie in Wirklichkeit bereits auf seiner Seite stehen.  Eine besessene Person kann sich in einer zivilen Gesellschaft ganz normal verhalten und gut funktionieren. Für sie beginnen die wirklichen Probleme erst dann, wenn sie versucht, sich zu bekehren.

Wie geht es den Betroffenen nach einer Befreiung?
Markielowski: Wenn ein Exorzismus wirksam war und die Dämonen aus einer Person ausgefahren sind, kommt der Augenblick einer großen Erleichterung. Alle Probleme verschwinden im Nu. Wenn aber ihr Glaube noch schwach ist, ist auch die Bindung an Jesus schwach. Dann ist auch eine Zeit der Rekonvaleszenz notwendig. Für solche Menschen habe ich folgende Empfehlungen: Tägliches Gebet und Messbesuche, Rosenkranzgebet, Anbetung des Allerheiligsten, geistige Kommunion, wenn man nicht in die Messe kommen kann, geistliche Schriftlesung, gemeinsames Gebet der Eltern mit ihren Kindern, usw.

Gespräch mit dem polnischen Exorzisten: P. Piotr Markielowski ist Krankenhausseelsorger und Exorzist in der polnischen Diözese Kielce. Das Interview ist ein Auszug aus einem Beitrag in der Zeitschrift Miesiecznik Egzorcysta. Nr 9 vom September 2013.

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