VISION 20006/2020
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Sie ist in Christus gestorben

Artikel drucken Erinnerung an die letzten Jahre der Mutter (Andrea Wernhart)

Es begann im Februar 2009. Mein erster Sohn war gerade einmal ein halbes Jahr alt. Ich bin nicht abergläubisch, aber es war tatsächlich ein Freitag, der 13., als meine Mutter den Anruf vom Krankenhaus erhielt: Eierstockkrebs!

Wir waren am Boden zerstört. Meine Mutter – zu diesem Zeitpunkt 58 Jahre alt – hatte sich schon so auf ihre Aufgaben als damals vierfache Oma gefreut. Die Chemotherapie begann sofort und sollte bis September dauern. Obwohl unendlich traurig, versuchten wir dennoch, hoffnungsvoll und optimistisch zu sein. Das fiel vor allem meiner Mutter selbst anfangs nicht leicht, ist doch ihre eigene Mutter nur ein Jahr nach der Diagnose mit 65 Jahren an Leukämie verstorben.
Gegen alle Befürchtung durchlief meine Mutter die Chemotherapiezyklen größtenteils komplikationsfrei, ohne schwere Nebenwirkungen. Natürlich war sie müde, und es gingen ihr auch die Haare aus, aber aus ihrer und unserer Sicht hätte es weit schlimmer kommen können. Unsere Angst schwand allmählich. Die Ärzte waren zuversichtlich, und so galt meine Mutter im September schließlich als geheilt. Man warnte sie zwar davor, dass der Krebs wiederkommen könnte, aber das erschien uns als unzulässige „Schwarzmalerei“. Dennoch musste sich meine Mutter alle drei Monate einer Kontrolluntersuchung unterziehen.
Nach fünf Jahren geschah das, wovor wir uns alle gefürchtet hatten: Der Krebs war zurückgekehrt. Ich kann meine Gefühle von damals gar nicht richtig beschreiben. Ein Mal hatte es meine Mutter geschafft, diese tückische Krankheit zu besiegen, aber würde ihr das auch ein zweites Mal gelingen? Ein Leben ohne sie konnte und wollte ich mir nicht vorstellen. So durchforstete ich das Internet nach alternativen Behandlungsformen, die ich meiner Mutter aufnötigte.
Sie fügte sich in allem, so sehr war auch sie selbst entschlossen, nach jedem Strohhalm zu greifen, den man ihr bot. Mit Leidensgenossinnen auf der onkologischen Station der Barmherzigen Brüder in Graz schloss sie so manche Freundschaft.
Manchmal wurde dabei auch über den Glauben gesprochen. Die meisten Patientinnen hatten damit nicht sehr viel am Hut. Einmal traf meine Mutter eine Frau, die meinte, sie glaube zwar nicht an Gott, aber an Engel. „Die Engel wurden doch von Gott erschaffen!“, erwiderte meine Mutter daraufhin. „Ist es nicht unlogisch, die Geschöpfe zu verehren, den Schöpfer dabei jedoch zu vergessen?“ So brachte sie viele zum Nachdenken.
Nach Ende des zweiten Behandlungszyklus kam mein zweiter Sohn auf die Welt. Wir hofften, dieses Ereignis würde meiner Mutter neuen Mut verleihen. Doch schon kurz nach der Geburt ihres nun sechsten Enkelkindes musste sie sich einer weiteren Chemo unterziehen. Außerdem waren da noch Operationen und Medikamente ohne Ende. Nur wer Krebspatienten in seinem Bekanntenkreis hat, kann ermessen, welchen Belastungen diese ausgesetzt sind. Unsere Telefongespräche drehten sich nun fast ausschließlich um die Krankheit.
Im Juni 2017 beschloss meine Mutter, die Chemotherapie wegen der entsetzlichen Nebenwirkungen abzubrechen. Der Leidensdruck war zu groß geworden. Irgendwie hoffte ich immer noch auf ein Wunder. Das wollte sich jedoch nicht einstellen.
Ich glaube schon, dass meine Mutter manchmal mit ihrem Schicksal haderte. Doch nie, zu keinem Zeitpunkt, dachte sie daran, sich von Gott abzuwenden. Ganz im Gegenteil. Sie, die schon vorher jahrelang täglich den Rosenkranz gebetet hatte, betete nun noch mehr, noch intensiver. Sie versäumte auch nicht, durch Beichtgespräche reinen Tisch mit Gott zu machen und übernahm eine Anbetungsstunde bei der Ewigen Anbetung in Pöllau, aus der sie viel Kraft schöpfte.
Große Verehrung brachte meine Mutter der Muttergottes und dem heiligen Pater Pio entgegen. Auf Anraten des Pfarrers opferte sie ihre Krankheit für die Priester auf. Sie dachte: „Wenn ich schon sonst nicht in der Lage bin, etwas zu tun, so kann ich vielleicht wenigstens im Leiden noch ein bisschen nützlich sein.“
Bald war es meiner Mutter nicht mehr möglich, Nahrung zu sich zu nehmen, so dass sie stark an Gewicht verlor. Am 11. August kam sie wegen eines Darmverschlusses ins Krankenhaus. Ich wusste, dass nun das letzte Stückchen ihres Lebensweges angebrochen war. Sie so schwach und mit all den Schläuchen zu sehen, brach mir fast das Herz. Doch am meisten berührte mich, als ich beobachtete, wie mein Vater liebevoll ihre Hand hielt.
Schließlich erhielt meine Mutter ein Einzelzimmer, was einen großen Vorteil für uns alle darstellte. Wir konnten nun rund um die Uhr bei ihr sein. Sie segnete ihre Enkelkinder, und wir redeten, aber am meisten beteten wir. Noch am Sterbebett lehrte mich meine Mutter den Barmherzigkeitsrosenkranz, den ich vorher nicht gekannt hatte.
Am Samstag, dem 12. August, erhielt meine Mutter die letzte Ölung und die Heilige Kommunion. Ich brachte eine Kerze von zu Hause mit, die ich auf das Nachtkästchen stellte. Sie zeigte die Fotos ihrer verstorbenen Eltern. Als ich die Kerze entzündete, meinte ich, dass nun bald ihre geliebte Mutter käme, um sie abzuholen und in der Ewigkeit zu erwarten. Darauf würde sie sich sehr freuen, flüsterte meine Mutter.
Es fiel mir schwer, ihren „Todeskampf“ auszuhalten, obwohl es eigentlich kein Kampf war. Trotzdem betete ich, dass Gott sie bald heimholen möge, da ich es nicht ertrug, an ihre Leiden zu denken.
Am Montag verfiel meine Mutter zusehends in Agonie. Zwischenzeitlich meinte sie einmal, was ich dazu sagen würde, dass sie jetzt an einem Sonntag stürbe. Da musste ich sie darüber aufklären, dass wir bereits Montag hätten. Sie war etwas enttäuscht, doch ich wies sie darauf hin, dass wir am nächsten Tag das Fest Mariä Himmelfahrt feierten. „Und wäre das nicht schön, Mama, wenn die Muttergottes selbst kommen würde, um dich in den Himmel mitzunehmen?“ Meine Mutter strahlte. „Ja, das wäre schön.“
Da wir nicht wussten, wie lange es noch dauern würde, beschlossen mein Mann und ich, am Abend mit unseren Kindern nach Graz zurück zu fahren, um frische Kleidung etc. zu holen. Mein Onkel übernahm die Nachtwache im Krankenhaus.
Um 21.45 Uhr kam schließlich der Anruf. Meine Mutter hatte wenige Minuten zuvor im Krankenhaus ihren letzten Atemzug getan … am Vorabend von Mariä Himmelfahrt. Ich kann gar nicht die Stimmung beschreiben, in der ich mich damals befand. Es war so friedlich – schön und traurig zugleich. Ich hatte nicht das Bedürfnis zu weinen. Mir fiel vor allem das Schriftwort ein: „Es ist vollbracht!“ Ja, sie hatte es geschafft. Es war vorbei.
In dieser Nacht hatte ich einen seltsamen Traum: Ich träumte, mit meiner Mutter gemeinsam in einem Bus zu sitzen. Wir fuhren die Straße zu meinem Elternhaus entlang. Plötzlich hielt der Bus, und meine Mutter stieg aus. Sie ging auf ein Haus zu und bewunderte die prächtigen Blumen und rief begeistert: „Ist das schön! Ist das schön hier!“ Sie schickte sich an, das Haus zu betreten. Da sprang ich auf und schrie ihr nach: „Mama! Du kannst noch nicht gehen. Ich habe mich ja noch gar nicht richtig von dir verabschiedet.“ Doch sie hörte mich nicht mehr und entschwand meinen Blicken.
Für mich ist dieser Traum ein großer Trost. Es ist, als wollte mir meine Mutter mitteilen, dass es ihr gut geht. Ich war so dankbar.
„Denn Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn“ (Phil 1,21) – das steht auf dem Partezettel meiner Mutter. Auch das ist kein Zufall. Meine Tante zog diesen Bibelspruch bei der Ewigen Anbetung, als sie für meine Mutter betete. Ich fand ihn großartig.
So hat Gott am Ende alles gut gefügt. Ja, wir sind nach wie vor traurig, und wir vermissen meine Mutter jeden Tag, aber anderseits habe ich ihr Sterben als eine gesegnete Zeit empfunden, die mir ewig in Erinnerung bleiben wird. Gott ist gut – darauf dürfen wir vertrauen.


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