VISION 20006/2020
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Worte des Papstes an die Ärzte

Artikel drucken Zuwendung ist heilsam

Wir alle wissen – und es ist auch erwiesen –, dass das Erleben guter Beziehungen den Kranken während der gesamten Behandlungszeit hilft und sie stützt, da in ihnen die Hoffnung neu geweckt oder gestärkt wird. Es ist gerade die Nähe der Liebe, die die Türen für die Hoffnung öffnet. Und auch für die Heilung. Der kranke Mensch ist immer sehr viel mehr als das Protokoll – viel, viel mehr! –, innerhalb dessen er unter klinischem Gesichtspunkt betrachtet wird, und das muss getan werden. Das beweist die Tatsache, dass das Vertrauen in das Ärzteteam und eine positive Perspektive zunehmen, wenn der Kranke sieht, dass seine persönliche Einmaligkeit anerkannt wird. (…)
Häufig wird zu Recht gesagt, dass die Beziehung, die Begegnung mit dem Gesundheitspersonal, Teil der Behandlung ist. Was für eine große Wohltat ist es für die Kranken, wenn sie die Möglichkeit haben, ihr Herz in Freiheit zu öffnen und jemandem ihren Zustand und ihre Situation anzuvertrauen! Auch die Möglichkeit, vertrauensvoll zu weinen: Das öffnet Horizonte und unterstützt die Heilung oder wenigstens, dass man die unheilbare Krankheit in guter Weise ertragen kann.
Nun, wie kann man dies dringend Notwendige im Rahmen der Organisation des Krankenhauses entwickeln, die stark bestimmt ist von Erfordernissen der Funktionalität? Erlauben Sie mir, meiner Trauer und Sorge Ausdruck zu verleihen hinsichtlich der weit verbreiteten Gefahr, dass die menschliche Dimension der Krankenpflege dem „guten Willen“ des einzelnen Arztes überlassen bleibt, anstatt sie als das zu betrachten, was sie ist, nämlich als wesentlichen Teil der vom Gesundheitswesen angebotenen Behandlung. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Wirtschaftlichkeit die Welt des Gesundheitswesens so stark beherrscht, dass wesentliche Aspekte wie die Beziehung zu den Kranken darunter leiden.
In diesem Sinn verdienen die verschiedenen wohltätigen Vereinigungen ein Lob, die die Patientinnen in den Mittelpunkt stellen, ihre Bedürfnisse und legitimen Fragen unterstützen und auch denen eine Stimme geben, die aufgrund ihrer verletzlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Situation nicht in der Lage sind, sich Gehör zu verschaffen.
(…) Kranke mit ihren Schwierigkeiten erinnern uns an Aspekte des Lebens, die wir zuweilen vergessen: die Prekarität unserer Existenz; die Tatsache, dass wir einander brauchen; wie unvernünftig es ist, nur auf sich allein konzentriert zu leben; die Wirklichkeit des Todes als Teil des Lebens selbst. Die Situation der Krankheit verweist auf eine für den Menschen entscheidende Haltung: das Sich-Anvertrauen. Sich anvertrauen. Sich dem anderen Bruder und der anderen Schwester anvertrauen, und sich dem ganz Anderen anzuvertrauen, unserem himmlischen Vater.
Und sie verweist auch auf den Wert der Nähe, des Nahe-Seins, wie es uns Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter lehrt (vgl. Lk 10,25-37). Wie heilsam ist eine Liebkosung im richtigen Moment! Sie wissen das besser als ich…

Auszüge aus der Ansprache an die Teilnehmer des Weltkongresses für Gynäkologische Onkologie am 11.9.20

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